Warten auf Suizid: Patienten haben das Recht auf assistierte Selbstötung, aber das Gesetz stockt, Medikamente nicht genehmigt

Christian Beneker

Interessenkonflikte

12. Oktober 2021

Sterbewillige müssen warten. Bisher hat das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte (BfArM), das dem Bundesgesundheitsministerium untersteht, alle Anträge auf den Kauf tödlicher Medikamente abgewiesen. Ungeklärt ist damit die Situation vieler todkranker Menschen, die sich einen assistierten Suizid wünschen.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Februar vergangenen Jahres entschieden, dass alle Bürger das Recht haben, sich das Leben zu nehmen und sich beim Sterben helfen zu lassen. Aber wie ein entsprechendes Gesetz konkret aussehen soll, ist unklar. Das Gesetzgebungsverfahren stockt.

 
Die Entwicklung und die genaue Ausgestaltung eines legislativen Schutzkonzeptes zur Absicherung der freiverantwortlichen und dauerhaften Entscheidung für den Suizid, bedürfen einer sorgfältigen Prüfung aller vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Anforderungen. Bundesministerium für Gesundheit
 

„Die Entwicklung und die genaue Ausgestaltung eines legislativen Schutzkonzeptes zur Absicherung der freiverantwortlichen und dauerhaften Entscheidung für den Suizid, bedürfen einer sorgfältigen Prüfung aller vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Anforderungen“, erklärt das BMG auf Anfrage von Medscape. „Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, sodass auch weiterhin eine vertiefte Diskussion im Parlament und auch innerhalb der Bundesregierung notwendig sein werden. Insofern bleibt die weitergehende Entwicklung der politischen Diskussion in der kommenden Legislaturperiode abzuwarten.“

BfArM: 144 Anträge abgelehnt

Unterdessen steigt die Zahl der Anträge Sterbewilliger an das BfArM. Betroffene fordern, Präparate für ihre Selbsttötung zu erwerben. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor.

Darin heißt es, seit dem 2. März 2017 seien beim BfArM insgesamt 223 Anträge auf Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung gestellt worden. „In keinem Fall wurde ein Antrag bewilligt, 144 Anträge wurden abgelehnt. 52 Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid zurückgewiesen, 2 Widersprüche wurden zurückgenommen“, so die Bundesregierung in ihrer Antwort. Allein in diesem Jahr seien seit Februar 13 Anträge eingereicht worden und bisher 6 davon abgelehnt, Stand August 2021.

Spahn bremst das BfArM

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2017 unheilbar erkrankten Patienten im Extremfall das Recht auf Medikamente zur schmerzfreien Selbsttötung zu, vorausgesetzt, Patienten haben sich frei entschieden und es gibt keine zumutbaren Alternativen. Doch das BfArM verweigerte bisher allen Antragstellern, Natrium-Pentobarbital oder andere Betäubungsmittel zu erwerben. Der Grund: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dem BfArM untersagt, die Abgabe von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung zu erlauben.

Offen ist, ob Deutschland und damit das BfArM dazu verpflichtet werden könnten. Die Entscheidung darüber unterliege derzeit der „gerichtlichen Überprüfung“, so die Bundesregierung. Im Übrigen verweist sie in ihrer Antwort auf Urteile des Verwaltungsgerichts Köln vom November 2020. Demnach hätten „schwerkranke Menschen nach derzeitiger Rechtslage keinen Anspruch auf den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung“.

Ärzte und Pflegende bei der Suizidbeihilfe nicht zuständig

Unterdessen meldet sich die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (dgp) mit einer Handreichung zu Worte. Zu Unrecht würden Mitarbeiter von Hospizen oder Palliativstationen als „kompetent oder sogar zuständig“ für die Suizidassistenz gehalten, heißt es darin. „Aufgrund vieler offener Fragen zur möglichen gesetzgeberischen Ausgestaltung und praktischen Umsetzung ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig“, folgert DGP-Geschäftsführer Heiner Melching. Anstelle von Suizidbeihilfe könnten Pflegende und Ärzte den Sterbenden auch die Beendigung der Behandlung anbieten oder den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken.  Es sei wesentlich, den Sterbenden diese Optionen anzubieten, so DGP-Vizepräsident Dr. Bernd Oliver Maier. Im Extremfall könne man mit dem Patienten die Option einer gezielten Sedierung zur Leidensminderung besprechen.

In keinem Fall sei Suizidassistenz eine ärztliche Aufgabe, betont die dgp. Umso mehr müssten Mitarbeitende und Institutionen der Hospizarbeit und Palliativversorgung die eigene Haltung zum Suizid reflektieren und sich mit dem Themenfeld der Suizidhilfe und der Suizidprävention auseinandersetzen.
 

Kommentar

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