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Davon bekommen Sie Ihre Blähungen! Ein Gastroenterloge erklärt alle Ursachen des Volksleidens und wie man Patienten davon erlöst

David A. Johnson

Interessenkonflikte

11. Oktober 2021

Fast jeder 3. leidet häufig unter den Gasen in seinem Abdomen. Hier erklärt ein Gastroenterologe die möglichen Ursachen und wie man Patienten davon erlösen kann.

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit und Klarheit wurde in diesem Transkript die Länge der Aussagen redaktionell bearbeitet.

Guten Tag! Mein Name ist Dr. David Johnson und ich bin Professor für Medizin und Leiter der Gastroenterologie an der Eastern Virginia Medical School in Norfolk, Virginia. Ich freue mich, Sie zu einer weiteren Ausgabe von GI Common Concerns begrüßen zu dürfen.

Heute möchte ich über einen hervorragenden Review von Dr. Brian Lacy und seinem Team von der Mayo Clinic in Jacksonville, Florida, sprechen, in dem es um ein weitverbreitetes Problem geht: die Behandlung des chronischen aufgetriebenen Abdomens und des Blähbauches.

Der Blähbauch macht sich subjektiv durch ein Druck- und Völlegefühl im Bauch bemerkbar. Im Gegensatz dazu spiegelt das aufgetriebene Abdomen eine objektive Vergrößerung des Bauchumfangs wider.

Diese beiden Probleme sind bei einer Prävalenz zwischen 16% und 31% in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet. Beim Reizdarmsyndrom treten sie bei 66% bis 90% der Fälle auf. Auch bei Patienten mit Verstopfung und bei Frauen sind die Zahlen höher.

Die Folgen für die Lebensqualität sind beachtlich. Etwa 75% der Patienten mit Blähbauch bezeichnen ihre Beschwerden als mäßig bis stark und 50% sehen sich dadurch in ihren normalen täglichen Aktivitäten beeinträchtigt. Die Patienten, die mit diesen Symptomen zu mir kommen, sagen oft, sie fühlten sich wie „schwanger“ oder mit einem „Ballon im Bauch“, was kaum noch zu ertragen sei.

Ein aufgetriebenes Abdomen und ein Blähbauch gehen nicht immer Hand in Hand. Nur etwa 50% bis 60% der Patienten mit einem Blähbauch berichten auch von Auftreibungen.

Wie werden diese Beschwerden verursacht?

Die meisten Patienten glauben, dass ihren Symptomen ein Zuviel an Gasen zugrunde liegt. Tatsächlich gilt dies jedoch nur für eine Minderheit der Betroffenen. Die Ursache liegt weniger in einer Zunahme der Gase als vielmehr in einer erhöhten Sensibilität.

Die wichtigsten pathophysiologischen Faktoren, die hierzu beitragen, sind eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms sowie eine Kohlenhydratintoleranz vor allem mit Blick auf Laktose und Fruktose.

Der Laktosemangel an sich verursacht nicht zwangsläufig eine Malabsorption, und nicht alle Personen mit Laktasemangel entwickeln nach Laktosezufuhr Beschwerden. Die Entstehung von Symptomen erfordert bei einigen Patienten weitere Einflussfaktoren wie eine genetische Prädisposition oder eine viszerale Überempfindlichkeit.

Die Pathogenese kann, wie so oft, auch von einem veränderten Mikrobiom beeinflusst werden. Die Rolle des intestinalen Mikrobioms für die gastrointestinale Motilität, das Empfinden oder die Permeabilität hat weitreichenden Einfluss auf die Symptome eines Blähbauches und das aufgetriebene Abdomen.

Der Blähbauch ist bei Patienten mit einer gestörten gastrointestinalen Motilität häufig. Wir sehen dies insbesondere bei Patienten mit Gastroparese, bei denen die Prävalenz bei 50% oder darüber liegen kann.

Ähnlich verhält es sich bei Patienten mit einer Funktionsstörung des Beckenbodens. Bei einer nachgewiesenen anorektalen Bewegungsstörung kann es zu Problemen bei der Entleerung von Flatus und Stuhl kommen. Auch eine Beckenausgangsobstruktion kann zu einer verzögerten Darmentleerung beitragen.

Ein weiteres assoziiertes Syndrom ist die sog. abdominophrenische Dyssynergie. Dabei handelt es sich um eine paradoxe Reaktion, bei der sich das Zwerchfell während der Nahrungspassage zusammenzieht und die Bauchdecke sich entspannt. Normalerweise würde man erwarten, dass sich die Bauchmuskeln zusammenziehen und das Zwerchfell entspannt, um das kraniokaudale Fassungsvermögen zu erhalten und eine Aufdehnung zu vermeiden. Eine Umkehrung dieses Vorgangs kann allerdings zu den Symptomen eines Blähbauches und eines aufgetriebenen Abdomens führen.

Es gibt auch einen klaren kausalen Zusammenhang mit der viszeralen Hypersensibilität. Diese kann sowohl durch komplexe neuronale Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Darm als auch durch Faktoren wie Angst, Depression, Somatisierung und Hypervigilanz verstärkt werden. Viele dieser Erkrankungen werden auch durch den Schlaf beeinflusst, was in letzter Zeit immer häufiger diskutiert wird. Bei einem immer wieder unterbrochenen Schlaf sind die sensorischen Schwellenwerte herabgesetzt, was wiederum zu einer erhöhten viszeralen Überempfindlichkeit führt.

Diagnosestellung

Durch Atemtests lässt sich sehr leicht ein übermäßiges bakterielles Wachstum feststellen. Es gibt Laktose- und Fruktose-Atemtests sowie die häufigeren Glukose- und Laktulose-Atemtests. Diese Tests sind leicht im Handel erhältlich.

Auch die gar nicht so seltene Zöliakie darf als mögliche Ursache nicht vergessen werden. Bei entsprechendem Verdacht ist eine serologische Testung angebracht.

Wenn es entsprechende alarmierende Anzeichen gibt, ist eine endoskopische Untersuchung des oberen GI-Traktes ebenso gerechtfertigt wie die abdominale Bildgebung. Natürlich kommen auch gastrointestinale Motilitätsstörungen und andere Erkrankungen des Verdauungstraktes infrage.

Bei Verdacht auf eine Beckenbodenfunktionsstörung besitzt die Messung der anorektalen Motilität, eventuell in Kombination mit einer Defäkographie, die größte Aussagekraft.

Verschiedene Therapieoptionen

Wenn es um die Behandlung geht, ziehe ich zunächst diätetische Maßnahmen in Betracht. Ich empfehle eine sorgfältige Ernährungsanamnese, um dem Blähbauch und dem aufgetriebenen Abdomen auf die Schliche zu kommen.

Die Verwendung künstlicher Süßstoffe ist eine sehr häufige Ursache für diese Symptome. Diese enthalten nicht fermentierbare Kohlenhydrate. Solche Kohlenhydrate werden im Darm fermentiert und führen zu einer Zunahme der Blähungen.

Wir sollten auch die Auswirkungen von Kohlenhydraten in Fructanen und FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) berücksichtigen, welche die osmotische Belastung deutlich erhöhen können.

Viele Patienten machen sich indes Sorgen über die Rolle von Gluten. Etwa 70% der Patienten, bei denen man davon ausgeht, dass sie eine Glutensensitivität ohne Zöliakie besitzen, berichten über Blähungen. Dies ist jedoch nicht unbedingt auf das Gluten zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Glutenprodukte, insbesondere Weizen und Gerste, Fruktane und FODMAPs. Diese Nahrungsmittel vom Speiseplan der Patienten zu streichen, kann für die Bekämpfung von einem Blähbauch und einem aufgetriebenen Abdomen sehr hilfreich sein.

Wir sollten auch daran denken, dass sich Kohlenhydrate durch die Verwendung von z.B. Glukose-Fruktose-Sirupe in zahllosen Lebensmitteln (Süßwaren, Getränke, Marmeladen, Konserven, Backwaren, Lebkuchen, Getreideprodukten, Milchprodukte usw.) Fructosegehalt in die Ernährung einschleichen können.

Obwohl es für Ärzte einfach ist, FODMAPs zu berücksichtigen, ist dieses Konzept für Patienten sehr schwer zu verstehen. Untersuchungen von Dr. Bill Chey und seinem Team haben gezeigt, dass es am besten ist, einen Ernährungsberater hinzuzuziehen, wenn man über FODMAPs sprechen will, um einen therapeutischen Nutzen zu erzielen.

Probiotika haben nachweislich keinen nennenswerten Einfluss auf die Symptomatik.

Antibiotika haben sich bei der Behandlung des Blähbauches als wirksam erwiesen, insbesondere Rifaximin (550 mg 3 x tgl. über 14 Tage). Antispasmodika sind ebenfalls eine sinnvolle Option, mitunter auch in Kombination mit einem Entschäumer, wie z.B. Simeticon.

Sekretagoga sind eine weitere Option, wenn Sie einen Patienten mit Verstopfung behandeln, da sie den Stuhlgang verbessern können.

Es gibt auch eine Reihe von alternativen Therapien. Pfefferminzöl ist ein probates Mittel, da es kaum Nachteile hat. Bei Problemen mit der Zwerchfell-Distension kann eine Biofeedback-Behandlung sehr hilfreich sein. Ich persönlich sehe, dass die Zwerchfellatmung einigen Patienten hilft. Es gibt auch Hinweise darauf, dass eine Hypnotherapie zu einer gewissen Verbesserung führen kann.

Es geht wirklich darum, die Vorteile dessen zu nutzen, was vor Ort verfügbar ist und für Ihre Patienten am besten ist.

Zusammenfassung

Der 1. Schritt in der Therapie des Blähbauches und des aufgetriebenen Abdomens besteht darin, die Ursache zu ermitteln. Das hilft Ihnen dann auch dabei, den richtigen Weg für eine diagnostische Bestätigung zu finden.

2: Achten Sie auf Warnzeichen und Symptome, die zusätzliche, gezielte Tests rechtfertigen, sei es ein Atemtest oder vielleicht sogar ein invasiver Test.

3. Schauen Sie sich genau die Ernährung und die Medikamenteneinnahme an. Gab es vielleicht chirurgische Eingriffe oder Verhaltensfaktoren, die zur Pathogenese beitragen können?

Schließlich sollten Sie auf der Grundlage der vermuteten Pathophysiologie eine spezifische Therapie einleiten, also z.B. diätetische Maßnahmen gegen eine Kohlenhydratintoleranz oder FODMAP-Alternativen, Verhaltenstherapie, eine medikamentöse Behandlung von Angstzuständen oder Schlafstörungen oder andere Maßnahmen.

Ich hoffe, dass Ihnen diese Diskussion einige Einblicke in die Behandlung des Blähbauches und des aufgetriebenen Abdomens gegeben hat, mit denen Ärzte und Ärztinnen häufig konfrontiert sind und unter denen die Patienten sehr leiden können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag.

Dr. David A. Johnson schreibt und spricht regelmäßig für Medscape. Er ist Professor und Leiter der Gastroenterologie an der Eastern Virginia Medical School in Norfolk, Virginia, und ehemaliger Präsident des American College of Gastroenterology. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der klinischen Praxis der Gastroenterologie. Er kann auf zahlreiche Fachpublikationen für Innere Medizin und speziell Gastroenterologie verweisen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Erkrankungen der Speiseröhre und des Dickdarmes sowie in jüngerer Zeit auch die Bedeutung des Schlafes und des Mikrobioms für die Gesundheit des Magen-Darm-Trakts.
 

Kommentar

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