Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich möchte Ihnen berichten, welche interessanten Studien es in der Neurologie im Oktober 2021 gab. Es war insgesamt ein wissenschaftstechnisch eher frustrierender Monat.
Losartan zur Vorbeugung der Hirnatrophie bei Morbus Alzheimer
Ich möchte mit der Alzheimer-Krankheit beginnen. Man weiß aus präklinischen Modellen mit Alzheimer-Mäusen, dass eine hohe Aktivität des Angiotensin-Conversions-Enzyms zu einer vermehrten Ablagerung von Beta-Amyloid und Tau-Protein im Gehirn führt.
Das war die Rationale für eine Studie bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit. Sie ist in Lancet Neurology publiziert [1]. Man hat untersucht, ob Losartan, ein Angiotensin-Rezeptorantagonist (ARA), das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann, gemessen anhand des Gesamtvolumens des Gehirns.
In der Studie waren 211 Patienten eingeschlossen. Das Hirnvolumen wurde zu Beginn und nach 12 Monaten gemessen. Es ist m.E. keine Überraschung, dass diese Studie keinen positiven Effekt gezeigt hat.
Man fragt sich natürlich, wenn wir in der Schlaganfall-Forschung zwischen 5.000 und 10.000 Patienten brauchen, um einen therapeutischen Effekt zu zeigen, warum die Alzheimer-Forscher glauben, sie könnten das mit 200 Patienten lösen.
Mirtazapin zur Therapie von Unruhezuständen bei Patienten mit Demenz
Eine weitere wichtige Frage ist, wie man Unruhezustände bei Patienten mit Demenz behandeln kann. Eine ganze Reihe von Patienten mit Demenz vertragen Neuroleptika nicht.
Eine britische Studie – publiziert in Lancet - untersuchte deshalb, ob sich dafür das Antidepressivum Mirtazapin eignet [2]. In der Study of Mirtazapine for Agitated Behaviours in Dementia (SYMBAD) wurden 200 Patienten randomisiert mit Mirtazapin oder Placebo behandelt. Endpunkt war der Score der Cohen-Mansfield Agitation Inventory (CMAI), der die Häufigkeit und das Ausmaß von Unruhezuständen misst.
Auch hier war leider kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu sehen.
Thiamin, Ascorbinsäure und Hydrocortison bei Sepsis
Ich komme nun zur Intensivmedizin. Es gab hier vor 3 Jahren eine kleinere Studie bei Patienten mit Sepsis, nach der möglicherweise ein Cocktail aus Vitamin B1, Ascorbinsäure und Hydrocortison die Prognose einer Sepsis verbessern kann.
In Critical Care Medicine wurde nun eine Metaanalyse von 8 randomisierten Studien mit insgesamt über 1.300 Patienten publiziert [3]. Primärer Endpunkt war der Sequential Organ Failure Assessment Score, der ein zunehmendes Organversagen innerhalb von 72 Stunden misst.
Auch dies war leider eine negative Analyse, es zeigte sich kein signifikanter Nutzen, auch nicht bezüglich Nierenfunktion und Sterblichkeit. Es wurden lediglich etwas weniger Vasopressoren benötigt, wenn die Patienten den Cocktail im Vergleich zu Placebo erhalten hatten.
Prophylaxe der chronischen Migräne
Bei der chronischen Migräne sind nur 2 Migräneprophylaktika wirksam und zugelassen, nämlich Topiramat und Onabotulinumtoxin A und darüber hinaus die 4 monoklonalen Antikörper.
Eine indische Arbeitsgruppe hat jetzt die randomisierte TOP-PRO-Studie durchgeführt und den Betablocker Propranolol mit Topiramat bei Patienten mit chronischer Migräne verglichen [4]. 95 Patienten wurden randomisiert. Die End-Dosis von Propranolol betrug 160 mg/Tag, von Topiramat 100 mg/Tag, beide langsam eintitriert.
Beide Therapien waren wirksam mit einer Reduktion der Migränetage pro Monat zwischen 5 und 7 Tagen. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Substanzen. Propranolol war numerisch etwas wirksamer, Topiramat hatte etwas mehr Nebenwirkungen.
Erstaunlich in dieser Studie war, wie wenige Patientinnen – es waren überwiegend Frauen – diese Therapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen haben. Die Arbeit ist in Cephalalgia publiziert.
Vorbeugung der Demenz
Ich komme nochmals auf die Demenz zurück, jetzt zur Vorbeugung der Demenz. Man weiß, dass Patienten mit Vorhofflimmern eindeutig ein erhöhtes Risiko für eine Demenz haben. Das gilt sowohl für die vaskuläre Demenz, als auch für die Alzheimer-Demenz.
Viele Studien haben gezeigt, dass eine Antikoagulation - in älteren Studien mit Vitamin-K-Antagonisten – das Auftreten und Fortschreiten einer Demenz bei Patienten mit Vorhofflimmern reduzieren kann
Eine Arbeitsgruppe, die jetzt dazu in der Zeitschrift Heart publiziert hat, hat insgesamt Daten aus dem englischen Gesundheitssystem von 39.200 Patienten mit Vorhofflimmern erfasst, davon wurden 53% mit Vitamin-K-Antagonisten und 47% mit direkt wirkenden oralen Antikoagulanzien (DOAKs) behandelt [5].
Sie haben gefunden, dass die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Demenz beim Einsatz von DOAKs um 16% niedriger war als mit Vitamin-K-Antagonisten. Es gibt also jenseits des reduzierten Blutungsrisikos durch DOAKs auch einen Langzeit-Benefit mit der Verhinderung der Entwicklung einer Demenz
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, 5 Studien aus dem Oktober 2021 – ich hoffe, dass es im November wieder etwas spannender wird mit mehr positiven Studien.
Ich bin Christoph Diener von der Universität Duisberg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Frustmonat für Demenz, Sepsis und Migräne-Patienten – trotzdem bringen diese Studien-Ergebnisse Klarheit für die Therapie - Medscape - 22. Nov 2021.
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