MEINUNG

Neuro-Talk: Macht Schlafmangel dement? Antikörper zur Migräne-Prophylaxe, mRNA-Vakzine am sichersten und MS-Therapie sofort?

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

18. Oktober 2021

Als Top-Studien vom September präsentiert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener neue Daten zu den Auswirkungen des Schlafs auf vaskuläre Erkrankungen und kommentiert die Debatte um die frühe Therapie von MS.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich möchte Ihnen berichten, welche interessanten Studien es in der Neurologie im September gab.

Krankheitsmodifizierende Therapie der MS

Ich beginne mit der krankheitsmodifizierten Therapie bei der Multiplen Sklerose (MS). Hier gab es eine heftige Diskussion zwischen der Leitlinienkommission und anderen MS-Spezialisten, ob die initiale krankheitsmodifizierende Therapie der MS möglichst aggressiv oder am Anfang eher schonend erfolgen sollte.

Dazu gibt es bisher natürlich keine randomisierten Studien, aber eine Auswertung der Nationalen MS-Register aus Schweden und Dänemark [1]. Hier sind die Strategien in diesen beiden Ländern verglichen. In Dänemark bekommen praktisch alle MS-Patienten zu Beginn eine eher leichte oder mittelgradig wirksame Therapie. In Schweden erhält immerhin ein Drittel aller Patienten initial eine hoch wirksame Therapie.

Die Kollegen haben sich über 24 Wochen angesehen, was das für die Krankheitsprogression bedeutet. Sie haben eine Reduktion der Zunahme der Behinderung von etwa 30% in Schweden im Vergleich zu Dänemark gefunden. Außerdem wurde eine 24%ige Reduktion der Verschlechterung auf der EDSS-Skala festgestellt.

Das ist zwar keine randomisierte Studie, sie würde aber den Standpunkt unterstützen, dass wahrscheinlich doch ein Teil der Patienten von einer initial hoch wirksamen Therapie profitieren kann. Dies gilt allerdings unter Berücksichtigung der Tatsache, dass damit auch mehr Nebenwirkungen auftreten und ein Monitoring notwendig ist.

Nebenwirkungen von mRNA-Impfung gegen COVID-19: beruhigende Nachrichten

Eine große Analyse aus den Vereinigten Staaten mit 11 Mio. Personen, die mit mRNA-Impfstoffen geimpft worden sind, führt zur beruhigenden Nachricht, dass es kein erhöhtes Risiko für Impffolgen gibt [2]. Das gilt sowohl für thrombotische Ereignisse, Sinusvenenthrombosen, ischämische Insulte, Myokardinfarkte, Guillain-Barré-Syndrom, Perikarditis oder Myokarditis. Das sind alles Nebenwirkungen, die bei den Vektorimpfstoffen, wie von AstraZeneca oder Johnson& Johnson, beobachtet wurden.

Schlaf und Begleiterkrankungen

Ein ganz neues Thema ist der Einfluss von Schlafdauer und Schlafqualität auf Begleiterkrankungen. Das begann mit einer Studie in Nature Communications[3] mit 8.000 Personen in der Whitehall-II-Studie im UK, die über 25 Jahre verfolgt worden sind. Bei Personen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren erhöht sich das Demenzrisiko, wenn sie 6 Stunden oder weniger schlafen.

Dazu passt eine weitere Studie im European Heart Journal[4]. Hier wurde untersucht, wie die Schlafdauer mit dem Risiko von vaskulären Ereignissen zusammenhängt. Wenn man 6 Stunden oder weniger oder 9 Stunden und mehr schläft, erhöht sich das Risiko für alle vaskulären Erkrankungen.

Es gibt möglicherweise einen Confounder, nämlich dass z.B. Menschen, die zu neurodegenerativen Erkrankungen neigen, schön sehr früh Störungen ihrer Schlafarchitektur haben.

Es wäre aber m. E. ein starkes Argument, v.a. auch für Hochleistungsmediziner unter den Kollegen, doch zu überlegen, ob 6 Stunden Schlaf pro Nacht wirklich reichen.

Atogepant zur Migräneprophylaxe?

Es gibt neue Ansätze zur Migräneprophylaxe mit den monoklonalen Antikörpern gegen CGRP und jetzt seit neuestem mit einem CGRP-Rezeptorantagonisten. Diese Substanzen wurden bisher nur zu Therapie akuter Migräneattacken verwendet.

Die ADVANCE-Studie mit Atogepant zur Migräneprophylaxe hat 910 Patienten eingeschlossen [5]. Sie wurden mit 10, 30 oder 60 mg Atogepant täglich über 12 Wochen im Vergleich zu Placebo behandelt.

Unter Verum findet sich eine Reduktion der mittleren Migränetage pro Monat zwischen 3,7 und 4,2 Tagen und unter Placebo von 2,5 Tagen. Das ist also ein geringer therapeutischer Effekt. Die Substanz wird allerdings gut vertragen.

Wenn allerdings die Gerüchte aus den USA stimmen, dass die Jahresbehandlungskosten bei 9.000 Euro liegen, dürfte das wohl keine Therapie sein, die unser Gemeinsamer Bundesausschuss in Deutschland erstatten wird.

Neuigkeiten vom Cluster-Kopfschmerz

Zwei tolle Studien in Annals of Neurology zeigen, dass es offenbar beim Cluster-Kopfschmerz doch eine genetische Komponente gibt.

Eine Studie aus Holland mit 840 Patienten hat 4 Genloci für Cluster-Kopfschmerz gefunden [6]. Eine zweite Studie aus UK und Schweden mit über 1.000 Patienten hat 2 Genloci auf Chromosom 2 nachgewiesen [7].

Damit zeigt sich, dass nicht nur die Migräne, sondern auch der Cluster-Kopfschmerz eine wesentliche genetische Komponente hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, spannende Ergebnisse von Studien im September 2021.

Ich bin Christoph Diener aus Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
 

Kommentar

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