PD Dr. Georgia Schilling und Prof. Dr. Dirk Arnold bewerten die Top-Studien zu Darmkrebs vom ASCO-Kongress. Gezielte Medikamente ersparen Patienten sogar die OP und den künstlichen Ausgang.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling und Prof. Dr. Dirk Arnold, Hamburg:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
mein Name ist Georgia Schilling, ich bin die leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg.
Ich freue mich, dass ich hier in guter alter Tradition gemeinsam mit meinem Chef, Prof. Dr. Dirk Arnold, dem Medizinischen Vorstand des Asklepios-Tumorzentrums, sitzen darf. Wie in jedem Jahr geht es um die Highlights beim ASCO-Jahreskongress im Bereich der gastrointestinalen Tumoren. Wir haben uns dieses Mal den unteren Verdauungstrakt vorgenommen.
Dirk, ich danke Dir ganz herzlich, dass Du als ausgewiesener Experte wieder dabei bist.
Ich möchte gern Deine Meinung zum Late-Breaking-Abstract LB01 hören, der in der Plenarsitzung als erster Beitrag präsentiert wurde. Es geht um die PARADIGM-Studie [1]. In der Studie aus Japan wurde Panitumumab plus FOLFOX direkt mit Bevacizumab plus FOLFOX verglichen bei Patienten mit linksseitigen metastasierten RAS-Wildtyp Kolonkarzinomen. Was sagst du zu dieser Studie und dass sie in der Plenarsitzung präsentiert wurde?
Arnold: Dieser Sachverhalt ist tatsächlich sehr erstaunlich, denn wir halten die Frage aufgrund unserer Therapiegewohnheiten und Guidelines in Europa für gelöst, nämlich, dass wir bei linksseitigem RAS-Wildtyp-Primärtumor eine Therapie mit einem Anti-EGFR-Rezeptor-Antikörper favorisieren würden. Genau das kam aus dieser Studie auch heraus.
Aus Deutschland gab es ja die FIRE-3-Studie, die vor fast 10 Jahren vorgestellt worden ist, sie hat dies schon gezeigt. Auch die amerikanische CALGB-Studie hat dies zwar nicht signifikant, aber im Trend ergeben. Für uns waren die Daten klar.
Jetzt kann man nochmal darüber spekulieren, ob es in die Plenarsitzung gewandert ist, weil von den bisherigen Studie nur 1 positiv gewesen ist, weil es noch keine prospektive Studie mit der gleichen Fragestellung gegeben hat, weil es jetzt asiatische Patienten in Ergänzung zu amerikanischen und europäischen Patienten waren. Es gibt viele Gründe. Das Ergebnis ist das Gleiche. Da gibt es kein Vertun. Bei linksseitiger Lokalisation und RAS-Wildtyp ist eine Anti-EGFR-Rezeptor-Antikörper-Therapie Standard in der Erstlinienbehandlung.
Schilling: Ich würde gerne noch bei linksseitigen, metastasierten Kolonkarzinomen bleiben. Es gab eine weitere Studie, die italienische TRIPLETE-Studie der GONO [2]. In dieser Phase-3-Studie erhielten nicht vorbehandelte Patienten mit linksseitigem nicht resezierbarem metastasiertem BRAF/RAS-Wildtyp-Kolorektalkarzinom eine Chemotherapie-Doublette (mFOLFOX6) versus eine Chemotherapie-Triplette (mFOLFOXIRI) jeweils mit Panitumumab. Wie ist hier Deine Einordnung?
Arnold: Auch hier eine klare Fragestellung insofern als der Antikörper sicher ist. Wir wussten auch von der GONO-Studiengruppe, dass in dieser Situation die Zugabe eines Anti-EGFR-Antikörpers sinnvoll ist. Hier wird die Chemotherapie-Intensität untersucht: Wenn wir jetzt schon Anti-EGFR-Antikörper geben, müssen wir dann eine Dreifach-Chemotherapie einsetzen oder reicht eine Zweifach-Chemotherapie?
Die prospektive randomisierte TRIPLETE-Studie, vielleicht die letzte dieser Generation, zeigt klar, für Patienten mit linksseitigem BRAF/RAS-Wildtyp-Kolorektalkarzinom reicht eine Zweifach-Therapie. Eine Dreifach-Therapie hat keine so großen Vorteile, dass man dies als Standard bezeichnen sollte.
Schilling: Was machen wir bei den rechtsseitigen Kolonkarzinomen?
Arnold: Bei den rechtsseitigen Kolonkarzinomen wird bei uns auch immer diskutiert, wenn wir Bevacizumab als Backbone haben wie auch bei RAS-mutierten, sollten es Zweifach- oder Dreifach-Chemotherapien sein. Dazu hat die Autorin der TRIPLETE-Studie Chiara Cremolini vor einigen Jahren in einem schönen Review geschrieben, dass Dreifach-Therapien bei diesen Patienten in der Tat einen Vorteil haben. Die niederländische Studiengruppe hat dies in der CAIRO-5-Studie jetzt auch beim ASCO-Kongress gezeigt [3].
Also auch hier nicht wirklich substanziell Neues, aber klare Beurteilung: Man sollte bei rechtsseitigem Primarius oder bei RAS-Mutation lieber eine Dreifachtherapie mit Bevacizumab einsetzen als eine Zweifachtherapie.
Schilling: Jetzt zu der Studie, die gerade überall zu lesen ist (Abstract LBA5), eine PD1-Monoblockade mit Dostarlimab beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom in kurativer Intention, keine Chemotherapie, keine Bestrahlung [4, 5]. Sind das reife Daten, es waren ja nur 14 Patienten?
Arnold: Nein, das sind keine reifen Daten, aber es sind faszinierende Daten. Weil man zum ersten Mal einen Primärtumor am Darm nur durch eine medikamentöse Therapie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eradizieren kann, er ist nach der Behandlung klinisch verschwunden.
Es waren 14 Patienten mit Rektumkarzinom, alle sprachen komplett klinisch an. Es gibt eine 2. Studie zu diesem Themenkomplex von der niederländischen Studiengruppe bzw. aus dem NCI in Amsterdam um Myriam Chalabi. In der NICHE-Studie haben sie über 30 Patienten mit MSI-high-Kolonkarzinom untersucht, die sie mit einer Zweifachkombination aus Nivolumab und Ipilimumab behandelt haben [6]. Auch in dieser Studie haben alle, bis auf einen Patient auf die Behandlung angesprochen
Wenn man das jetzt alles zusammen nimmt haben wir doch über 40 behandelte Patienten, wo bis auf einen alle ein klinisch komplettes Ansprechen hatten. Die Daten dieser beiden Studien zusammen sind schon ganz schön reif und belastbar.
Das Besondere an dieser amerikanischen Studie mit den 14 Patienten ist, dass es sich um Patienten mit Rektumkarzinom handelte, die sonst eine intensive Lokaltherapie mit Strahlenbehandlung, Chemotherapie und möglicherweise Operation und eventuellem Sphinkter-Verlust oder Sphinkter-Funktionsverlust bekommen haben.
Jetzt bleiben z. B. noch die Fragen, ob wir das bei mehr Patienten auch sehen, sehen wir das auch bei einem längeren Follow-Up? Sind diese klinischen Daten schon so belastbar, dass wir schon bald sagen können, dass dies ein klinischer Standard sein wird?
Schilling: Was mir ein bisschen Sorge macht, weil dieses Thema jetzt so in stark in den Medien ist, ist eine solche Therapie für jeden Patienten mit einem MSI-high-Tumor geeignet? So wurde diskutiert, dass es hauptsächlich Lynch-Patienten waren und es auch bei den MSI-high-Tumoren Unterschiede gibt.
Arnold: Ja, aber wir haben das nicht aus den Studien der lokalisierten Tumoren und nicht aus den Studien des metastasierten Darmkrebses mit MSI-high mit Immuntherapie herausbekommen. Wir sehen da keinen Unterschied in der Effektivität zwischen Lynch und Nicht-Lynch oder zusätzlich BRAF-mutiert oder BRAF-Wildtyp. Wir haben Effekt den bei der metastasierten Situation nicht gesehen.
Deswegen würde ich schon denken, dass das ein Ansatz ist, den man heute schon sehr gut gehen kann.
Schilling: Also Du würdest das machen?
Arnold: In der Tat, wir haben das auch gemacht und mit überraschend gutem Ansprechen. Das ist aus jetziger Sicht nicht mehr überraschend.
Schilling: Würdest Du dann auch Dostarlimab nehmen? Oder ist es für Dich Proof-of-Principle und Du nimmst einen anderen PD1-Inhibitor, mit dem wir vielleicht schon mehr Erfahrung haben?
Arnold: Das ist eine gute Frage. Wir haben jetzt 2 Studien mit 2 unterschiedlichen Immuntherapien. In der amerikanischen Studie mit dem Rektumkarzinom war es Dostarlimab, in der niederländischen Studie beim Kolonkarzinom war es Nivolumab/Ipilimumab. Bei beiden hat es gleich gut gewirkt. Ich glaube, dass es eher ein Klasseneffekt ist als eine Substanz-spezifische Wirkung.
Die viel relevantere Frage ist, ob man eine Mono- oder eine Kombi-Therapie einsetzt. Aber da es in der Monotherapie schon so gut gewirkt hat, braucht man eine Kombinationstherapie vielleicht gar nicht.
Schilling: Organerhaltende Therapie beim Rektumkarzinom war für mich als Nicht-Gastroenterologin ein Fokus, hierzu gab es noch mehr Studien.
Arnold: Insgesamt gab es 6 oder 7 Studien, die alle in verschieden fortgeschrittenen Stadien, mit verschiedenen Modi und Modifikationen der Therapie (welche Chemotherapie, welches Bestrahlungsfeld, welche Bestrahlungsdosis bis zu 62 Gy) durchgeführt worden sind. Diese hatten alle im randomisierten Phase-2-Design nur 1 Ziel, nämlich die Rate an pathologischen Komplettremissionen zu erhöhen, um auf eine Operation verzichten zu können.
Je nach Studie, je nach Kollektiv ging diese Strategie bei 40% bis zu 90% der Patienten auf. Damit verdichtet sich die Datenlage zu dem, was wir vor 1 und 2 Jahren auf dem ASCO-Kongress gesehen haben mit RAPIDO und neoadjuvanter Therapie. Wir können also durchaus als realistisches Ziel bei Studien mit einer pathologischen Komplettremission planen. Das können wir sicher auch schon in die Klinik nehmen. Bei Patienten mit einem gefährdeten Sphinkter können wir eine maximale Intensität einsetzen und hoffen, dass der Patient eine klinische Komplettremission erreicht.
Schilling: Für die Patienten ist dies von sehr hoher Bedeutung. Zum Thema Liquid Biopsy – ctDNA - gab es auch ein Late-Breaking Abstract [7, 8]. Eine ct-DNA-geführte Therapie vermeidet überflüssige adjuvante Therapien bei Kolonkarzinom im Stadium II. Vielleicht kannst Du das für uns kurz interpretieren?
Arnold: Das ist die Frage der minimalen Resterkrankung, die beim Kolonkarzinom mit der ctDNA gemessen werden kann. Dann stellt sich die Frage, welche Konsequenzen man daraus zieht, wie eine Intensivierung oder eine Deeskalation der Chemotherapie.
Die Studiengruppe um Jeanne Tie aus Australien hat in die randomisierte DYNAMIC-Studie über 400 Patienten eingeschlossen. Dieses Konzept der minimalen Resterkrankung nach Resektion und dann der möglichen Therapiemodifikation findet ubiquitär Anwendung. Da gibt es schon verschiedene Spielarten, das gibt es auch für nicht-chirurgische Therapien, für ablative Therapien, für das Belassen der Patienten auf Chemotherapie und das Deeskalieren der Chemotherapie bei adjuvanter oder perioperativer Systemtherapie.
Alle diese klinischen Szenarien werden jetzt sehr umfangreich mit ctDNA untersucht. Das Schöne ist, dass die ctDNA-Bestimmung ein gut verfügbares, leicht zugängliches und ubiquitär standardisiertes Verfahren ist.
Die Definition der minimalen Resterkrankung und der Therapiekonsequenzen wird man bei Kolon- und Rektumkarzinomen und wahrscheinlich nicht nur da in den nächsten Jahren ganz neu schreiben.
Schilling: Damit sind 3 meiner weiteren Fragen beantwortet. Wir werden hier im Tumorzentrum dazu jetzt Studien durchführen, das ist sicher spannend.
Zum Schluss noch ein paar Worte zur SYNCHRONOUS-Studie, die mit Daten aus der spanischen CCRe-IV-Studie gepoolt wurde [9]. Es ging um die Relevanz der Resektion des Primärtumors bei Patienten mit Kolonkarzinom und synchronen Metastasen. Ist jetzt mit der Studie diese Frage endlich vom Tisch?
Arnold: Ich glaube ja. Wir haben es ja durchaus geahnt, aber es ist schön, es nochmal zu sehen. Die Frage war, was bei Patienten mit asymptomatischer primärer Obstruktion und einer synchronen Metastasierung im Vordergrund steht. Soll zunächst die chirurgische Resektion und dann die Chemotherapie durchgeführt werden oder ist ein Verzicht auf die chirurgische Resektion möglich und nur eine Chemotherapie ausreichend?
Die Hypothese der Studie war, dass die zusätzliche Operation des Primärtumors eine 30%ige Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit bringt. Das ist natürlich nicht gezeigt worden, im Gegenteil, Patienten, die direkt mit Systemtherapie begonnen haben, liefen besser. Der Unterschied war allerdings nicht signifikant, sondern nur im Trend. Dies entspricht den Ergebnissen einer japanischen Studie, die vor einem Jahr berichtet worden ist.
In Europa gibt es jetzt noch 2 Studien, auf die wir noch warten, von der französischen und von der niederländischen Gruppe. Mich würde es sehr wundern, wenn dabei noch was anderes rauskommen würde.
Die Daten sind bis jetzt eindeutig. Ein asymptomatischer Primärtumor muss nicht reseziert werden und sollte nicht zu einer Verzögerung der Einleitung der Systemtherapie führen.
Schilling: Vielen Dank für Deine Statements. Ich könnte jetzt auch noch viel länger diskutieren und fragen. Aber unsere Zeit ist nun um. Ich danke Dir nochmal ganz herzlich, dass Du dabei warst und uns Deine Meinung, Deine Interpretation der Daten mitgegeben hast.
Ihnen liebe Zuschauer Tschüss aus Hamburg und vielen Dank fürs Reinschauen.
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Onkologie im Gespräch: „Faszinierende Daten“ zu Darmkrebs – sogar eine Therapie ohne OP und künstlichem Ausgang wird möglich - Medscape - 14. Jun 2022.
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