Den Nobelpreis für Chemie erhalten in diesem Jahr der Deutsche Prof. Dr. Benjamin List und der in Schottland geborene Prof. Dr. David W.C. MacMillan. Sie entwickelten unabhängig voneinander eine präzise Methode, um Moleküle herzustellen – die asymmetrische Organokatalyse. Dieses „Werkzeug“ wird auch für die Medikamentenentwicklung verwendet – beispielsweise bei dem HIV-Medikament Darunavir, des Antidepressivums Paroxetin oder des Neuraminidase-Hemmers Oseltamivir.
Als „geniales Werkzeug für die Herstellung von Molekülen“ bezeichnete die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm die Entdeckung in ihrer Begründung [1]. Sie habe einen „großen Einfluss auf die pharmazeutische Forschung“ und die „Chemie grüner“ gemacht.
Der 1968 in Frankfurt/Main geborene List ist seit 2005 Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim/Ruhr. MacMillan wurde 1968 in Schottland geboren und ist Professor an der Princeton University in New Jersey, USA.
Neue Form von Katalysatoren
Vor dem Jahr 2000 waren 2 Formen von Katalysatoren bekannt: Metalle und Enzyme. In 2000 entwickelten die beiden Chemiker unabhängig voneinander in Kalifornien – List am Scripps Research Institute in La Jolla, MacMillan an der University of California in Berkely – einen 3. Typ der Katalyse: die asymmetrische Organokatalyse. Sie stellten fest, dass sich kleine organische Moleküle als Vermittler chemischer Reaktionen eignen, um die Reaktionen zu beschleunigen und in die gewünschte Richtung zu lenken.
Organische Katalysatoren bestehen aus einem stabilen Gerüst von Kohlenstoffatomen mit angelagerten aktiveren chemischen Gruppen wie Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor. Sie sind damit kostengünstig und umweltfreundlich – im Gegensatz zu metallischen Katalysatoren, die oft aus giftigen Schwermetallen oder seltenen und teuren Edelmetallen bestehen.
Wie bedeutend die Katalyse für unser Leben und die weltweite Wirtschaft ist, betonte die Nobelpreis-Akademie auch mit Zahlen: Eine Vielzahl von Molekülen und damit Tausende Produkte des täglichen Lebens werden mithilfe von katalytischen Prozessen hergestellt (z.B. Medikamente, Kunststoffe, Geschmacksstoffe oder Batterien) – schätzungsweise 35% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts haben in irgendeiner Form mit chemischer Katalyse zu tun.
Die beiden Nobelpreisträger haben ein neues Konzept der Katalyse entwickelt – „so einfach wie genial“, dass sich manche fragten, warum niemand früher auf diese Idee gekommen ist, so Johan Ǻquist, Vorsitzender des Nobel-Komitees für Chemie.
Asymmetrische Synthese als besonderes Merkmal
Das Besondere an Organokatalysatoren ist, dass sie sich vor allem für die asymmetrische Synthese eignen: Dabei entsteht nur eines von 2 Enantiomeren oder Spiegelbildisomeren (die sich wie eine rechte und linke Hand gleichen, aber sich räumlich nicht zur Deckung bringen lassen). Oft unterscheiden sich die beiden Formen auch in ihrer Funktion oder ihren Eigenschaften. So riecht z.B. S-Limonen nach Zitrone, R-Limonen nach Orange, erklärte die Akademie.
Enantiomere sind an allen biologischen Prozessen beteiligt und spielen auch als medizinische Wirkstoffe eine wichtige Rolle, so die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in einer Mitteilung. Besonders wichtig ist es in der Medizin, die unterschiedliche Wirkung von Enantiomeren zu beachten. Die MPG erinnerte an den Contergan-Skandal Anfang der 1960er-Jahre: Eine Form von Thalidomid wirkte beruhigend und gegen Übelkeit, die andere führte zu Fehlbildungen. In diesem Fall hätte jedoch nicht geholfen, nur eine Variante als Medikament einzusetzen, da sie im Körper in die andere Form umgewandelt wird.
Entdeckung unabhängig voneinander
List entdeckte das Prinzip der Organokatalyse an der Aminosäure L-Prolin, MacMillan anhand einer Iminiumionen-Katalyse. L-Prolin wurde später bei der Produktion des HIV-Therapeutikums Darunavir eingesetzt.
Auf die Idee mit Prolin als Katalysator kam List, als er mit katalytischen Antikörpern experimentierte – und darüber nachdachte, wie Enzyme eigentlich katalytisch wirken: Bei manchen Enzymen wirkt nur eine Aminosäure oder wirken nur wenige Aminosäuren an der eigentlichen Reaktion mit. Könnte also eine einzige Aminosäure oder ein anderes einfaches Molekül eine chemische Reaktion katalysieren? List erinnerte sich an Forschungen aus den frühen 1970er-Jahren mit Prolin. Seine Experimente mit dieser Aminosäure zeigten ihm, dass sie sich als effizienter Katalysator eignet – und auch für die asymmetrische Katalyse.
Inzwischen haben die Gruppen der beiden Nobelpreisträger, aber auch viele andere Forscher weltweit, unzählige organische Moleküle gefunden, die chemische Reaktionen katalysieren und dabei nur eine Variante eines chiralen Moleküls erzeugen. Mit der Organokatalyse lassen sich große Mengen asymmetrischer Moleküle relativ einfach herstellen, so die schwedische Akademie: Z.B. könnten potenzielle neue Wirkstoffe künstlich synthetisiert werden, die sonst nur in kleinen Mengen aus seltenen Pflanzen oder Tiefsee-Organismen isoliert werden könnten.
Benjamin List stammt aus einer Familie mit „durchaus bemerkenswerter naturwissenschaftlicher Tradition“, so die MPG: Sein Ururgroßvater war der Chemiker Jacob Volhard, seine Tante Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard ist Medizin-Nobelpreisträgerin des Jahres 1995.
Der Nobelpreis für Chemie ist mit 10 Mio. schwedischen Kronen (umgerechnet 980.000 Euro) dotiert und wird am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, in Stockholm überreicht.
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Diesen Artikel so zitieren: „So einfach wie genial“ – warum Mediziner dieses Jahr auch den Chemie-Nobelpreis feiern sollten - Medscape - 7. Okt 2021.
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