Gespräche mit Patienten, die Impfgegner sind oder eine sehr kritische Haltung dazu haben, sind anstrengend. Experten von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben erkannt, dass dies auch für viele Ärzte ein Problem ist.
Im Jahr 2017 erstellte die WHO einen Leitfaden, wie man mit jemandem sprechen soll, der nicht geimpft werden will. Forscher, die sich mit Anti-Impf-Bewegungen befasst haben, konnten inzwischen einige Schlüsselelemente identifizieren, die man kennen sollte, bevor man mit jemandem diskutiert, der sich gegen eine Impfung ausspricht.
1. Umgang mit Skepsis
Wer zögert oder sich weigert, sich impfen zu lassen, dem fehlend nicht zwangsläufig Informationen. Meist ist die Haltung bezüglich des Impfens nicht binär („dafür“ oder „dagegen“), sondern ein Kontinuum. Und das Angebot von Impfinformationen erhöht nicht unbedingt die Zustimmung. Diejenigen, die zögern, geimpft zu werden, sollten mit Empathie, Einfühlungsvermögen und Respekt behandelt werden.
2 der wichtigsten Bedenken, die Menschen in Bezug auf Impfungen haben, sind die Risiken und die Sicherheit. Vor allem ihre Wahrnehmung der Risiken ist oft größer als das echte Risiko. Die Idee, dass Impfstoffe nicht sehr sicher sind, kann paradoxerweise durch Botschaften untergraben werden, die übermäßig vereinfacht sind, wie Kampagnen, die behaupten, dass Impfstoffe immer sicher sind, was aber durch die Existenz schwerwiegender, aber seltener Nebenwirkungen widerlegt wird.
Die persönliche Einschätzung der Krankheit spiet auch eine Rolle: Menschen, die tendenziell geimpft werden möchten, glauben eher, dass sie dem Risiko, an COVID-19 zu erkranken ausgesetzt sind, dass die Auswirkungen der Krankheit schwerwiegend sein können und dass der Impfstoff sicher und wirksam ist.
2. Transparenz als Grundvoraussetzung
Transparenz und das Informieren der Öffentlichkeit ist wichtig, um Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Die Menschen sind besorgt, weil die Entscheidung, die Bevölkerung zu impfen gerade im Fall von COVID-19 sehr schnell getroffen wurde. Diese Bedenken müssen angesprochen und nicht heruntergespielt werden.
Darüber hinaus sollten den Patienten alle Informationen zu den Impfstoffen und das aktuelle Wissen über unerwünschte Ereignisse zur Verfügung gestellt werden. Die möglichen negativen Auswirkungen eines Impfstoffs müssen Patienten mit einfachen Erklärungen mitgeteilt werden. Denn wenn Sie überschüssige Details und Fachsprache verwenden, riskieren Sie es, Menschen abzuschrecken. Um die möglichen negativen Auswirkungen zu erklären, ist es besser, sich auf Infomaterialien zu verlassen, die von Kommunikationsfachleuten, Wissenschaftsjournalisten oder Bildungsstätten vorbereitet wurden.
3. Eine auf jedes Publikum zugeschnittene Kommunikation ist unerlässlich .
Die Einstellung zu Impfungen kann je nach demografischen Daten, Risikofaktoren, Religion, Persönlichkeit, Kultur, politischen Meinungen und sogar entsprechend dem Nachrichtenkonsum sehr unterschiedlich sein. Ein einziger Ansatz für die Überzeugungsarbeit wird nicht ausreichen. Andererseits konzentriert sich die Forschung zur Kommunikation von Wissenschaft immer mehr auf Umweltfaktoren, die Einfluss auf die Art und Weise haben, wie Menschen die Botschaften empfangen. Dies gilt insbesondere für wissenschaftliche Themen, die in der öffentlichen Debatte polarisieren, wie Impfungen oder Klimawandel.
4. Randgruppen abholen
Einige gesellschaftliche Gruppierungen haben weniger Vertrauen in Impfungen als andere. Häufig aufgrund einer ambivalenten Einstellung zu Gesundheitssystemen und Institutionen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich auf diese Gruppen zu konzentrieren, indem man ihnen ein für sie passende Aufklärung zukommen lässt, um zu vermeiden, dass sie sich selbst isolieren oder sich auf Informationsquellen beziehen, die nicht zuverlässig sind, aber als annehmbarer empfunden werden.
5. Die Anti-Impf-Bewegung darf nicht ignoriert werden
Während überzeugte Impfgegner ihre Meinung durch ein Gespräch kaum ändern werden, hat die Gruppe der Impfgegner großen Einfluss auf diejenigen, die noch unentschlossen sind. Es ist daher wichtig, dass Sie über die wichtigsten Themen informiert werden, die diese Gruppe in ihren Kampagnen verwendet, um Gegenargumente bereit zu halten. Öffentliche Einrichtungen (Ministerien, nationale Gesundheitseinrichtungen) sollten mit Aufklärungsaktionen gegensteuern. Aber es ist wichtig, dass auch Ärzte die korrekten Informationen parat haben und wissen, wie sie diese im Gespräch mit Patienten einsetzen können.
6. Erzählen Sie Geschichten, nicht Statistiken
Geschichten und Anekdoten über Menschen, die durch Impfungen geschützt waren, ziegen viel eher Wirkung als Statistiken. Einige lassen sich auch impfen, da sie ihrem Arzt oder Freunden vertrauen. Oder sie wollen ihre Angehörigen schützen... Offizielle Mitteilungen über das Impfen sollten klar und einfach sein und eine Geschichte erzählen, die leicht zu merken ist und eine emotionale Reaktion hervorruft.
7. Versuchen Sie zu verstehen, warum Ihr Patient voreingenommen ist
Die Neigung, sich nicht impfen zu lassen, geht bei Vielen mit einem Hang zu Passivität einher – selbst wenn Handeln vorteilhafter wäre.
Die Neigung zu Optimismus führt dazu, dass manche Menschen ihr Risiko falsch einschätzen und glauben, dass sie eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, an COVID-19 zu erkranken, als das tatsächliche Risiko beträgt.
Voreingenommenheit führt dazu, dass Menschen nur jene Informationen suchen und an sich herankommen lassen, die die eigenen Überzeugungen bestätigen. Das kann zur Radikalisierung und Polarisierung von Debatten führen. Wer diese kognitiven Prozesse der Voreingenommenheit besser versteht, kann denjenigen helfen, die kommunizieren müssen, um Strategien zur Überwindung zu entwickeln.
Auch das Vaccine Confidence Project sowie andere europäische Initiativen wie TellMe und Asset, die nach der europäischen Krise im Zusammenhang mit der Vogelgrippe entstanden sind, haben Vorschläge erarbeitet, wie man konstruktive Gespräche mit Impfskeptikern führen kann.
Man sollte als erstes das Ziel des Gesprächs definieren. Gleichzeitig geht es darum, dem Patienten die Angst zu nehmen, verurteilt oder sanktioniert zu werden. Im Folgenden gibt es einige Verhaltensregeln, die Ärzte und Ärztinnen befolgen sollten:
1. Mit Empathie zuhören
Hören Sie zunächst einfühlsam zu, wenn Ihre Patienten Fragen zur Impfung haben. Weisen Sie sie nicht zurück und respektieren Sie ihre Gefühle (ohne notwendigerweise zuzustimmen – zum Beispiel, indem Sie zum Ausdruck bringen, dass „es gut ist, Fragen zu haben oder mehr Informationen zu wünschen, bevor Sie sich bereit erklären, sich impfen zu lassen“).
2. Offene Fragen stellen
Stellen Sie offene Fragen, wie z.B. „Was haben Sie über COVID-19-Impfungen gehört?“ oder „Warum denken Sie so?“. Diese Fragen führen zu einer anderen Antwort als „Ja“ oder „Nein“ und können dazu beitragen, die Bedenken des Patienten besser zu verstehen und ihm dabei zu helfen, die neuen Informationen zu verarbeiten.
3. Verlässliche Informationen teilen
Wenn Sie die Antwort auf eine Frage nicht kennen oder sich nicht sicher sind, wie Sie die Bedenken des Patienten angehen sollen, antworten Sie nicht. Geben Sie stattdessen zu, dass Sie etwas nicht wissen und bieten Sie an, Informationen und Antworten zu suchen. Wenn Sie bei der Aufklärung ein neues Thema anschneiden, moderieren Sie es an und fragen Sie den Patienten, ob er offen ist für weitere Informationen. Das motiviert ihn vielleicht, Ihnen aufmerksamer zuzuhören. Das Ziel ist zu vermeiden, als jemand wahrgenommen zu werden, der versucht, um jeden Preis unerwünschte Informationen anzubieten.
4. Die Vorteile der Impfung erklären
Wie bereits in den Richtlinien der WHO erwähnt, hat nichts mehr Einfluss als persönlichen Erfahrungen, wenn es um Impfungen geht. Teilen Sie Ihre Gründe für die Impfung und Ihre Impferfahrung. Sprechen Sie mit Ihren Patienten darüber, wie die Impfung gegen COVID-19 eine Chance bieten könnte, wieder zur Normalität zurückzukehren. Erläutern Sie die Vorteile der Impfung – sei es, Familie und Freunde wieder zu besuchen, ins Büro zurückzukehren, Kindern wieder den Schulbesuch zu sichern, Zeit mit Kollegen zu verbringen oder andere Aktivitäten, die wegen COVID-19 auf Eis gelegt werden mussten.
Es ist wichtig zu betonen, wie die Impfung Menschen hilft, sich selbst, ihre Familie und ihre Gemeinschaft zu schützen. Es kann auch nützlich sein, zu beachten, dass nur mit Impfungen wirtschaftliche Aktivitäten wiederbelebt werden können und Raum für die Freuden des Lebens geschaffen werden kann, die wir aufgeben mussten.
5. Aufbau von Vertrauen
Unterstützen Sie jeden, der zur Impfung kommt und Fragen hat oder um Ihren Rat bittet. Hören Sie sich alle Bedenken an, kommunizieren Sie respektvoll und schaffen Sie Vertrauen. Die Beendigung der Pandemie bleibt das Hauptziel. Aber dafür sind Impfstoffe im Moment nicht ausreichend. Erinnern Sie die Menschen daran, dass sie weiterhin andere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen sollten, wie z.B. physische Distanz, das Tragen einer Maske, das Lüften von Räumen, das Vermeiden von Menschenmassen, Händewaschen und Husten in den gebeugten Ellbogen oder ein Taschentuch.
6. Abbau von Barrieren
Die Zustimmung zur Impfung hängt oft davon ab, wie einfach sie zu bekommen ist. Versuchen Sie zu verstehen, ob der Patient logistische Probleme hat, an eine Imfpung zu kommen, die aber gelöst werden können, wie z.B. Schwierigkeiten, einen Termin zu vereinbaren, finanzielle Probleme oder Schwierigkeiten, das Impfzentrum zu erreichen.
7. Niemals lügen
Es macht keinen Sinn, zu sagen, dass Impfstoffe zu 100% sicher sind oder dass niemand unter schwerwiegenden Nebenwirkungen leidet, wenn dies nicht der Fall ist. Versuchen Sie, die Risiken der Impfstoffe in Bezug auf die Risiken einer natürlichen Infektion einzugrenzen, die um ein Vielfaches höher sind. Einige schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfstoffe, wie Myokarditis, können auch bei natürlichen Erkrankungen auftreten. Dies ist ein Punkt, der schwer zu erklären ist, aber wichtig ist, damit der Patient eine fundierte Entscheidung treffen kann.
8. Lernen, wann man aufgeben soll
Es gibt Patienten, die Sie niemals überzeugen werden und die dazu neigen werden, dass sich das Gespräch immer mehr in eine unangenehme und unproduktive Richtung entwickelt.
In diesen Fällen ist es besser, aufzugeben, bevor die Vertrauensbeziehung vollständig verloren geht. Bleiben Sie offen für weitere Diskussionen. Das Ziel eines Arztes sollte es sein, die Zahl von ungeimpften Patienten zu reduzieren, indem man denjenigen hilft, die logistische Probleme haben, oder die Bedenken im Zusammenhang mit früheren oder aktuellen Erkrankungen haben: Ärzte sollten Ihre Energie für zögerliche Menschen verwenden.
Es liegt nicht allein in der Verantwortung des Arztes soziale Probleme, wie Polarisierung von Meinungen, Verschwörungstheorien oder die Verbreitung von Fake News zu bekämpfen. Sie müssen eher auf institutioneller Ebene angegangen werden.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de .
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Diesen Artikel so zitieren: Gespräche mit Impfgegnern und Impfskeptikern: 15 Tipps für Ärzte – von der WHO und europäischen Initiativen - Medscape - 6. Okt 2021.
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