Der SGLT2-Hemmer Dapagliflozin kann das Risiko eines erstmals auftretenden Typ-2-Diabetes bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung oder Herzinsuffizienz um rund ein Drittel reduzieren.
Das zeigen neu gewonnene Daten aus der DAPA-CKD- und der DAPA-HF-Studie, die auf der diesjährigen virtuellen Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) vorgestellt wurden [1]. Besonders deutlich ist der schützende Effekt des Medikaments demnach bei Patienten, die bereits an Prädiabetes leiden.
„Das ist ein sehr schönes, wenn auch nicht ganz überraschendes Ergebnis“, sagt Prof. Dr. Thomas Forst, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Herz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), im Gespräch mit Medscape. „Primäres Ziel des Medikaments war und ist ja die Senkung des Blutzuckerspiegels.“ Allerdings habe der SGLT2-Hemmer einen Riesen-Siegeszug angetreten, nachdem man festgestellt habe, dass er auch kardiovaskuläre und nephrologische Erkrankungen positiv beeinflussen könne.
Die DAPA-CKD-Studie wurde vergangenes Jahr vorzeitig abgebrochen
Die ersten Ergebnisse der Phase-3-Studie DAPA-CKD waren bereits im vergangenen Jahr auf den Jahrestagungen der European Society of Cardiology (ESC) und der EASD präsentiert und später im New England Journal of Medicine (NEJM) publiziert worden. Die damaligen Daten zeigten, dass bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (Chronic kidney disease, CKD), unabhängig vom Vorhandensein oder Fehlen eines Typ-2-Diabetes, das Risiko für einen anhaltenden Rückgang der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (estimated Glomerular Filtration Rate, eGFR) um mindestens 50% unter Dapagliflozin signifikant reduziert war.
Zudem konnte das Medikament, das ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt worden war, das Risiko für eine Nierenerkrankung im Endstadium oder Tod aufgrund renaler oder kardiovaskulärer Ursachen deutlich senken. Die Ergebnisse waren so eindeutig, dass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde, da das Ethikkomitee eine weitere Behandlung mit Placebo für die nierenkranken Probanden als unzumutbar einstufte. Alle Patienten hatten unabhängig von der Schwere ihrer Krankheit von dem SGLT2-Hemmer, der die Ausscheidung von Glukose über die Niere verstärkt, profitiert.
Dapagliflozin wirkt nicht nur bei Diabetes, sondern schützt auch davor
Zur Wirkung von Dapagliflozin bei Herzinsuffizienz (Heart failure, HF) mit reduzierter Ejektionsfraktion war bereits im Jahr 2019 die DAPA-HF-Studie im NEJM publiziert worden.
Auch an dieser Untersuchung waren Patienten mit und ohne Typ-2-Diabetes beteiligt gewesen. Primärer Endpunkt der Studie war die Verschlechterung der Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingter Tod. Wichtigstes Ergebnis war, dass Dapagliflozin diesen Endpunkt – und auch seine beiden Einzelkomponenten – im Vergleich zu Placebo signifikant verringerte.
Bei der diesjährigen Tagung der EASD wurden in einer Session mit dem Titel „Neue Daten aus DAPA-CKD“ erstmals Ergebnisse der beiden Studien DAPA-CKD und DAPA-HF zusammengefasst und neue Erkenntnisse aus den Bereichen Stoffwechsel, Nephrologie und Kardiologie präsentiert. Die Auswertung metabolischer Daten zeigte, dass Dapagliflozin bei den insgesamt 4.003 Teilnehmern beider Untersuchungen, die zu Studienbeginn nicht an Typ-2-Diabetes gelitten hatten, das Risiko für ein Neuauftreten der Erkrankung gegenüber Placebo um 33% reduzieren konnte. In Vergleich zu anderen präventiv wirkenden Maßnahmen weist Dapagliflozin damit einen ähnlich guten Effekt auf wie das Medikament Metformin.
Patienten mit HF oder CKD haben ein erhöhtes Diabetesrisiko
„In den gepoolten Daten der DAPA-CKD- und der DAPA-HF-Studie konnten wir einen statistisch signifikanten Rückgang der Rate neu auftretender Diabetesfälle in der Dapagliflozin-Gruppe feststellen“, berichtete der US-Endokrinologe Prof. Dr. Silvio Inzucchi von der Yale School of Medicine in New Haven, Connecticut. Besonders deutlich sei der Effekt bei den 2.408 Probanden mit Prädiabetes gewesen.
Von den insgesamt 211 Teilnehmern (5,3%), die im Studienverlauf Diabetes entwickelten, hätten bei Studienbeginn 199 Probanden (94,3%) die Kriterien eines Prädiabetes nach den Vorgaben der American Diabetes Association (ADA) erfüllt, also einen HbA1c-Wert zwischen 5,7 und 6,4%.
Hauptaufgabe von Dapagliflozin bei Herzinsuffizienz mit verminderter Ejektionsfraktion sei es zwar, die kardiovaskuläre Sterblichkeit und die Verschlechterung der Herzinsuffizienz zu reduzieren, und bei chronischer Nierenerkrankung, deren Fortschreiten zu bremsen, sagte Inzucchi. Die Senkung der Zahl neu auftretender Fälle von Typ-2-Diabetes könne hier aber als zusätzlicher Nutzen des SGLT2-Hemmers angesehen werden, betonte der Mediziner.
Der Effekt ist vor allem auch deswegen von Bedeutung, weil das Risiko für ein Entstehen von Typ-2-Diabetes bei beiden Erkrankungen, HF und CKD, erhöht ist. „Viele dieser Patienten sind übergewichtig, haben große Mengen Viszeralfett, hohe Inflammationswerte und weisen deshalb bereits eine Insulinresistenz auf“, erläutert der deutsche Internist und Endokrinologe Forst.
Die offenbar zahlreichen Wirkmechanismen sind bisher unverstanden
Im Gegensatz zu anderen Studien zur Diabetesprävention habe es beim HbA1c-Wert keine signifikanten Unterschiede zwischen der Dapagliflozin- und der Placebo-Gruppe gegeben, berichtete Inzucchi auf der Tagung. Das deute darauf hin, dass der beobachtete Effekt nicht nur auf eine „glykämische Maskierung“ zurückzuführen sei, sondern eine grundlegendere Wirkung auf die Pathogenese von Typ-2-Diabetes habe. Möglicherweise übe Dapagliflozin einen schützenden Effekt auf die Beta-Zellen aus.
„Tatsache ist: Wir wissen es nicht“, kommentiert der Vorsitzende der DDG-Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Niere, Dr. Ludwig Merker, gegenüber Medscape. Dass SGLT2-Hemmer einen Einfluss auf die Beta-Zellen haben, sei bislang reine Spekulation.
„Die Mechanismen, über die die Medikamente wirken, sind noch fast vollständig unerforscht“, stimmt ihm sein Kollege Forst zu. Allerdings habe man beobachten können, dass die Wirkstoffe offenbar zur Gewichtsreduktion, zur Senkung der Inflammation und zur Verbesserung der Insulinresistenz beitragen könnten.
Der SGLT2-Hemmer hilft unabhängig von der Art der Nierenerkrankung
Wie der britische Nierenspezialist Prof. Dr. David Wheeler vom Centre for Nephrology am University College London in der Session ausführte, zeigen die nephrologischen Daten der beiden Studien, dass die vorteilhaften Wirkungen von Dapagliflozin, unter anderem auf die eGFR der Probanden und die Zahl der tödlich endenden Nierenerkrankungen, in einer Reihe von Patientenuntergruppen konsistent waren – etwa bei Patienten mit oder ohne Typ-2-Diabetes, mit oder ohne vorheriges kardiovaskuläres Ereignis und mit oder ohne Herzinsuffizienz.
Zudem zeige das Medikament seine positiven Effekte weitgehend unabhängig von der Art und vom Schweregrad der CKD, sagte Wheeler. Insbesondere bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, aber auch bei den anderen Probanden, habe Dapagliflozin darüber hinaus besser als Placebo vor Albuminurie geschützt.
„Das sind für mich eigentlich die interessantesten der jetzt vorgestellten Ergebnisse“, sagt der deutsche Mediziner Merker. Insbesondere die Beobachtung, dass Dapagliflozin seine positiven Effekte unabhängig von der Art der vorliegenden Nierenerkrankung und vom Vorhandensein eines Typ-2-Diabetes erziele, habe ihn durchaus überrascht. „Wie es dazu kommt, ist ebenfalls noch unklar“, sagt Merker. „Und es bleibt spannend abzuwarten, ob andere SGLT2-Hemmer ähnliche Wirkungen erzielen werden.“
Der Nutzen von Dapagliflozin für die Gesamtmortalität sei den aktuellen Daten zufolge vor allem auf eine Reduzierung der nicht kardiovaskulären Todesfälle – etwa bedingt durch Infektionen, maligne Erkrankungen oder Nierenversagen – zurückzuführen, sagte Wheeler in seiner Präsentation. Warum das so sei, habe man allerdings bisher nicht verstanden.
Neue Details zum Sicherheitsprofil des SGLT2-Hemmers haben Wheeler zufolge zudem ergeben, dass bei den mit Dapagliflozin behandelten CKD-Patienten fast ein Drittel weniger schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wie akute Nierenschäden gemeldet wurden.
Nierenpatienten mit Herz-Kreislauf-Komorbiditäten profitieren besonders
Der schottische Kardiologe Prof. Dr. John McMurray vom Institute of Cardiovascular & Medical Sciences der University of Glasgow warf schließlich noch einen Blick auf 3 häufige kardiovaskuläre Begleiterkrankungen bei CKD: HF, periphere arterienerkrankung (Peripheral arterial disease, PAD) und Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation, AF). Wie McMurray berichtete, erhöhen alle 3 Erkrankungen das Risiko für eine Verschlechterung der Nierenfunktion, eine Nierenerkrankung im Endstadium oder den Tod aufgrund von Nieren- oder kardiovaskulärer Ursachen.
Dapagliflozin allerdings konnte McMurray zufolge das Risiko für diese Endpunkte um 39% senken – und zwar weitgehend unabhängig davon, ob eine der 3 kardiovaskulären Begleiterkrankungen vorlag oder nicht. Das Risiko für sekundäre Endpunkte wie kardiovaskulär bedingter Tod oder Klinikeinweisung wegen Herzinsuffizienz wurde ebenfalls bei allen Probanden in ähnlichem Ausmaß um 29% gesenkt. Da diese beiden Folgen aber gerade bei Patienten mit HF, PAD oder AF sehr häufig seien, würden die Betroffenen in absoluten Zahlen besonders von der Dapagliflozin-Gabe profitieren, sagte McMurray.
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Diesen Artikel so zitieren: SGLT2-Hemmer Dapagliflozin schützt auch vor Diabetes: Neue Daten der DAPA-CKD- und der DAPA-HF-Studie - Medscape - 5. Okt 2021.
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