KI hilft bei AML-Diagnose; Weniger Chemo-Nebenwirkungen durch geriatrisches Assessment; Zu viel Unwirksames in Phase 3?

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

5. Oktober 2021

Im Onko-Blog dieser Woche berichten wir über ein in Dresden entwickeltes KI-basierte Computersystem, das bei der Diagnose einer AML hilft. Schwere Nebenwirkungen einer Chemotherapie bei älteren Patienten können durch ein multidisziplinäres geriatrisches Assessment verringert werden. Eine Analyse von 362 randomisierten klinischen Phase-3-Studien ergab, dass viele der hierbei untersuchten onkologischen Substanzen das Gesamtüberleben der Patienten nicht verlängern. Eine Heidelberger Arbeitsgruppe fand, dass online verfügbare Informationen für Patienten zu monoklonaler Gammopathie häufig qualitativ minderwertig und veraltet sind.

  • Akute myeloische Leukämie: KI-basiertes Computersystem hilft bei Diagnose

  • Chemotherapie: Geriatrisches Assessment kann Nebenwirkungen verringern

  • Zu viele unwirksame Substanzen in onkologischen Phase-3-Studien?

  • MGUS: Online-Patienteninformationen oft qualitativ minderwertig

Akute myeloische Leukämie: KI-basiertes Computersystem hilft bei Diagnose

Ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Computersystem kann die Erstdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML) unterstützen. Es wurde am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC), am Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden und der TU Dresden entwickelt. Die Ergebnisse sind nun in Leukemia publiziert worden. Darüber hinaus lässt sich mit dem System in den meisten Fällen eine für die Erkrankung wichtige Mutation entdecken. Die KI-basierte Analysesoftware soll Ärzte künftig bei der Diagnosestellung im medizinischen Alltag unterstützen.

Die AML erfordert aufgrund ihres raschen Fortschreitens eine präzise Diagnostik und einen möglichst frühen Therapiebeginn. Die Diagnose basiert u.a. auf der Analyse eines Knochenmarksausstrichs, dessen Bewertung allerdings hochkomplex und von der Erfahrung des Untersuchers abhängig ist.

Das in Dresden entwickelte KI-basierte Computersystem kann den Knochenmarkausstrich eines AML-Patienten mit über 95%Trennschärfe von der Probe eines gesunden Menschen unterscheiden kann.

Hierfür wurden künstliche neuronale Netze genutzt, die als Teilgebiet der künstlichen Intelligenz die Fähigkeit des Menschen nachahmen, anhand von Beispielen zu lernen. Für das Training der neuronalen Netze wurden digitalisierte Bilddaten von Knochenmarkausstrichen von 1.251 AML-Patienten und 236 gesunden Knochenmarkspendern eingesetzt. Daran lernte das System zunächst Zellen zu erkennen und voneinander abzugrenzen. Über 90.000 Einzelzellen umrandeten Experten händisch als Grundlage für den maschinellen Lernprozess. Anschließend wurde der Computer darauf trainiert, verschiedene Zelltypen und -eigenschaften zu unterscheiden.

Die Software ist zudem in der Lage, anhand äußerer Zellmerkmale eine Mutation des Gens Nucleosphosmin (NPM1) mit einer Genauigkeit von über 85% zu erkennen. Die bei rund 25% der erwachsenen AML-Patienten vorliegende Mutation ist mit einer vergleichsweise guten Prognose verbunden und wichtig für die Auswahl der geeigneten Therapie.

Um die neu entwickelte Softwarelösung nutzen zu können, müssen die Anwender lediglich relevante Bildbereiche aus den Knochenmarkausstrichen auswählen und digitalisiert in das System einspeisen. Alle weiteren Analyseschritte erfolgen automatisch. Dieser technische Ansatz ist für viele weitere bildbasierte Untersuchungsmethoden anwendbar und soll laut einer Pressemitteilung intensiv ausgebaut werden.

Chemotherapie: Geriatrisches Assessment kann Nebenwirkungen verringern

Ein multidisziplinäres geriatrisches Assessment kann bei älteren Krebspatienten Chemotherapie-induzierte Nebenwirkungen vom Schweregrad von mindestens 3 signifikant reduzieren im Vergleich zur Standardbetreuung. Eine amerikanisch-mexikanische Arbeitsgruppe berichtete diese Ergebnisse einer randomisierten Studie mit 605 auswertbaren Teilnehmern im JAMA Oncology . Die Autoren schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass das geriatrische Assessment bei älteren Patienten in die klinische Praxis implementiert werden sollte.

Das geriatrische Assessment (GA) ist ein umfassendes, validiertes Instrument, das körperliche Funktionen, Komorbiditäten, Ernährungsstatus, Polypharmazie, soziale Unterstützung, Kognition und psychischen Status bewertet. Bekannt ist, dass GA-gesteuerte Interventionen Sterblichkeit, Krankenhauseinweisungen und Funktionsverlust bei älteren Menschen verringern können.

In der 2:1 randomisierten Studie erhielten Patienten im Alter über 65 Jahren mit neu diagnostizierter Krebserkrankung und Beginn einer Chemotherapie entweder ein umfassendes GA oder eine Standardbehandlung.

Die Inzidenz von Chemotherapie-bedingten Nebenwirkungen eines Grades von mindestens 3 betrug 50,5% im GA-Arm und 60,6% im Vergleichsarm-Arm. Die GA führte also zu einer signifikanten Reduktion der schweren Nebenwirkungen um 10,1 Prozentpunkte (p = 0,02).

Besuche in der Notaufnahme, ungeplante Krankenhauseinweisungen, durchschnittliche Verweildauer, ungeplante Wiederaufnahmen, Dosisanpassungen oder Abbrüche der Chemotherapie sowie das Gesamtüberleben waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich.

Zu viele unwirksame Substanzen in onkologischen Phase-3-Studien?

4 von 5 Krebstherapien, die in Phase-3-Studien untersucht worden sind, erreichen keine Verlängerung des Gesamtüberlebens der Patienten. Erstmals hatte eine Arbeitsgruppe aus Boston analysiert, wieviel Phase-3-Studien falsch-positive, falsch-negative und richtig-negative Ergebnisse erzielten.

Die Autoren der im Journal of the National Comprehensive Cancer Network publizierte Analyse analysierten 362 Industrie-unterstützte randomisierte onkologische Phase-3-Studien, die zwischen 2008 und 2017 erschienen waren. Ausgeschlossen waren z.B. Studien, in denen das Gesamtüberleben (OS) oder das progressionsbezogene Überleben (PRS) nicht primärer Endpunkt war, Studien mit weniger als 100 Patienten und Nichtunterlegenheitsstudien.

Meist waren in die Studien Patienten mit Lungen-, Brust-, Magen-Darm- und hämatologischen Tumoren eingeschlossen. Überwiegend handelte es sich um 2-armige Studien.

Die Analyse ergab, dass 87% der Studien entweder falsch positiv oder richtig negativ bezüglich des erreichten OS oder PRS waren. Mehr als die Hälfte der Studien, in denen das Gesamtüberleben als positiv beeinflusst dargestellt worden war, erwies sich als falsch positiv (58,4%). Die meisten als negativ berichteten Ergebnisse erwiesen sich bei der Analyse als richtig-negativ, nur 0,9% waren falsch negativ.

Die Autoren finden sowohl die hohe Zahl falsch positiver als auch richtig-negativer Therapien alarmierend. Ihrer Meinung nach müssten an Phase-2-Studien strengere statistische Kriterien gestellt werden, um unwirksame Substanzen besser zu erkennen. Dies würde den Anteil der tatsächlich wirksamen Medikamente erhöhen, die dann in Phase-3-Studien untersucht werden.

MGUS: Online-Patienteninformationen oft qualitativ minderwertig

Patienten, die im Internet nach Informationen zur monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) suchen, werden bei Google, Bing und Yahoo häufig zu nicht relevanten Seiten geleitet. Viele Informationen zum MGUS im Internet sind veraltet und die inhaltliche Qualität ist eher schlecht. Fast 13% der Webseiten enthalten falsche Informationen. Auch Videos waren in der Regel veraltet und eher von mäßiger inhaltlicher Qualität. Dies berichtet eine Heidelberger Arbeitsgruppe in Cancers , die die Qualität von 86 Webseiten und 61 im Internet verfügbaren Videos überprüft hat.

Eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) ist mit etwa 3% bei über 50-Jährigen und mehr als 5% bei über 70-Jährigen relativ häufig. Je nach Subtyp besteht ein mehr oder weniger hohes Risiko der Progression in ein multiples Myelom oder eine andere schwere Erkrankung. Die Patienten werden in der Regel regelmäßig kontrolliert, um eine Progression rechtzeitig zu erkennen, was für sie jedoch auch eine psychische Belastung darstellen kann.

Häufig suchen sie online nach Informationen zur MGUS. Erstmals hat nun die Heidelberger Arbeitsgruppe die Qualität der im Netz verfügbaren Informationen mit Hilfe verschiedener Scores wie dem Health on the Net (HON) Foundation Certificate/Score und dem Score des Journal of the American Medical Association (JAMA) untersucht. Die Lesbarkeit wurde z.B. mit dem DISCERN-Score und dem Flesch Reading Ease Score sowie dem Flesch Kincade Grade Level beurteilt.

Je 300 mit Google, Bing und Yahoo gefundene englisch sprachige Webseiten waren im Median vor 24 Monaten das letzte Mal aktualisiert worden. Nach Aussortierung der Duplikate beurteilten die Autoren 86 einzelne Webseiten, von denen 44,2% von wissenschaftlichen oder staatlichen Organisationen und 36,1% von Stiftungen oder ähnlichen Einrichtungen stammten. Etwa 20% wurden von Medien, Industrie-assoziierten Organisationen oder von Einzelpersonen zur Verfügung gestellt.

Weniger als 10% der Seiten waren HON-Foundation-zertifiziert. Die allgemeine Qualität der medizinischen Information lag nach dem JAMA-Score im Median bei 3 (von 4 maximal möglichen Punkten). Deutlich schlechter war die patientenfokussierte Qualität nach dem DISCERN-Score, hier wurden im Median 27 von 80 möglichen Punkten erreicht. Die meisten Beiträge waren schwer lesbar.

Der auf MGUS bezogene Inhalt erreichte im Median 13 von 50 maximal möglichen Bewertungspunkten. Etwa ein Drittel der Seiten beschrieb diagnostische Kriterien, nur in einem Fall wurde aber auf die Bedeutung der fehlenden SLiM-Kriterien hingewiesen. 12,8% enthielten irreführende oder falsche Behauptungen.

Bei den beurteilten Videos lag das letzte Update im Median 34 Monate zurück. Sie können deshalb als veraltet angesehen werden.

Die Autoren halten es für sinnvoll, dass der behandelnde Arzt weiß, welche Informationen der Patient online findet, um aktiv auf irreführende oder falsche Informationen eingehen zu können.

 

Kommentar

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