Nach einer COVID-19-Infektion erkranken manche Patienten an Diabetes. US-Forscher haben in aufsehenerregenden Experimenten die Zusammenhänge beleuchtet: Die Viren können das Zellschicksal vollkommen verändern. Außer im Pankreas geschieht dies auch im Herz oder in der Lunge. An Labor-gezüchteten Organoiden gelangen ihnen nicht nur diese Nachweise, sondern sie fanden zudem Medikamente, die vor Schäden schützen.
Bald nach Beginn der Pandemie habe sich herausgestellt, dass SARS-CoV-2 ein breites Spektrum an systemischen Störungen verursacht, wird Dr. Shuibing Chen in einer Mitteilung zitiert, die sich auf eine Sondersitzung während der Jahrestagung 2021 der European Association for the Study of Diabetes (EASD) beruft [1]. Die Forscherin von der Weill Cornell Medicine in New York erläutert: „Zusätzlich zum Atemversagen treten bei vielen COVID-19-Patienten Komplikationen an mehreren Organen auf. Daher bestand dringender Bedarf an einer Methode, um die Auswirkungen der Infektion auf verschiedene Wirtsgewebe systematisch zu untersuchen.“ Solche geeigneten Modelle haben sie und ihre Kollegen konstruiert.
Aus Stammzellen züchteten sie Organoide
Als Ausgangsmaterial nutzten sie humane Stammzellen, denen noch alle Wege der Entwicklung offenstehen. Damit stellten sie Organoide her; das sind im Labor gezüchtete Cluster von Zelltypen, die ein bestimmtes Gewebe in seiner Funktion nachahmen. So konnten sie die von SARS-CoV-2 ausgelösten biochemischen Reaktionen beobachten und nach Substanzen fahnden, die einen Angriff verhindern.
„Wir haben festgestellt, dass die Viren Organoide von Lunge, Dickdarm, Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse sowie Dopamin-Neuronen infizieren“, berichtet Chen. „Erstmals also hatten wir ein Stammzellmodell, das Aufschluss über die Fähigkeiten des Erregers gab. Es bildete die Basis für eine Studie zu Betazellen bei COVID-19.“
Statt Insulin bilden die Betazellen Glukagon
Bereits in Autopsieproben der Bauchspeicheldrüse hatte das Team um Chen Antigene der Viren nachgewiesen. RNA-Sequenzierung und Immunfärbung bestätigten, dass sie in Inselzellen eine Stressreaktion mit Induktion von Chemokinen auslösen [2]. Die Betazellen produzieren deutlich weniger Insulin, dafür aber vermehrt Proteine wie Glucagon und Trypsin, die eigentlich für Alpha- und Azinuszellen typisch sind.
„Offenbar besitzt das Virus die Fähigkeit, in das Schicksal der Zellen grundlegend einzugreifen“, so Chen in der Mitteilung. Dieser Wandel wird als zelluläre Transdifferenzierung bezeichnet. Die Forscher zeigten, über welchen Weg sie läuft (den eIF2-Weg) und wie sie rückgängig gemacht werden kann (mit dem trans-integrierten Stressantwort-Inhibitor trans-ISRIB). Die Wissenschaftlerin schlägt vor: „Es würde sich lohnen, die Rate von Diabetes-Neuerkrankungen während der COVID-19-Pandemie zu bestimmen.“
Hemmstoff der Januskinase schützt das Herz
Weiterhin setzten sie und ihre Kollegen die Organoide ein, um die Herzschäden durch SARS-CoV-2 zu erforschen – eine häufige Komplikation und gefürchtet deshalb, weil sie die Prognose deutlich verschlechtert [3]. In Autopsieproben zeigte sich, dass eingedrungene Makrophagen eine starke Entzündung ausgelöst hatten.
Diese überschießende Reaktion stellte das Team um Chen an einem Mini-Herzgewebemodell nach. Sie fanden heraus, dass die Viren die Makrophagen zur Ausschüttung von Interleukin 6 und TNF alpha anregen. Diese Zytokine wiederum bewirken über einen Signalweg, an dem die Januskinase JAK und STAT-Proteine beteiligt sind, die Bildung von Sauerstoffradikalen und schließlich die Apoptose der Kardiomyozyten.
Daraufhin machten die Forscher Reihentests mit Medikamenten und entdeckten, dass der JAK-Inhibitor Tofacitinib die Entzündung und damit die Makrophagen-vermittelte Kardiotoxizität dämpft. Er wurde inzwischen für die Notfallbehandlung bei COVID-19 zugelassen. Als schützend erwies sich außerdem das Angina-pectoris-Medikament Ranolazin.
Komplette Molekül-Bibliothek wurde durchmustert
Auch das durch SARS-CoV-2 ausgelöste Atemversagen stand auf der Agenda der Wissenschaftler. An Lungenorganoiden sahen sie eine starke Induktion von Zytokinen ähnlich wie in der Lunge von COVID-19-Patienten. Anschließend suchten sie per Hochdurchsatz-Screening – automatisiert wurde eine komplette Molekülbibliothek durchmustert – nach Arzneimitteln, die das Eindringen der Viren in die Zellen verhindern.
Sie fanden von der FDA zugelassene Kandidaten, darunter das Krebsmittel Imatinib und das Immunsuppressivum Mycophenolsäure. Eine Vor- oder Nachbehandlung mit diesen Medikamenten in physiologischen Mengen verringerte die SARS-CoV-2-Infektion.
Chen fasst zusammen: „Organoide sind leistungsfähige Modelle, um den Virusbefall, die Reaktion des Wirts einschließlich dessen Schädigung durch die Immunantwort zu untersuchen und schließlich Therapien zu testen.“
Credits:
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Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Diabetes nach Corona-Infektion: Organoid-Forschung zeigt, wie SARS-CoV-2 Pankreas-Zellen manipuliert - Medscape - 5. Okt 2021.
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