Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.
Corona-Newsblog, Update vom 4. Oktober 2021
Heute berichtet das Robert Koch-Institut (RKI) von einer leicht steigenden 7-Tage-Inzidenz. Der Wert liegt aktuell bei 64,7 Infektionen pro 100.000 Einwohner und pro Woche, verglichen mit 64,2 am Vortag und 61,7 vor 7 Tagen. Innerhalb der letzten 24 Stunden haben Gesundheitsämter dem RKI 3.088 weitere Infektionen gemeldet (Vorwoche: 3.022 Fälle). Und weitere 7 COVID-19-Patienten sind gestorben (Vorwoche: 10 Todesfälle).
Auf Deutschlands Intensivstationen ist die Lage unverändert. Laut DIVI-Tagesreport vom 3. Oktober, 12.15 Uhr, erhalten 1.336 Patienten eine intensivmedizinische Behandlung, das sind 2 mehr als am Vortag. Derzeit sind 956 Betten im Low-Care- und 2.513 Betten im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 387 freie ECMO-Behandlungsplätze.
64,6% der Gesamtbevölkerung ist vollständig geimpft, und 68,1% aller Einwohner haben mindestens 1 Dosis erhalten.
COVID-19: Molnupiravir – ein Silberstreif am therapeutischen Horizont?
Erste Hinweise: Diese Titer könnten gegen COVID-19 schützen
ECMO: Immer weniger Patienten überleben
Krebspatienten während der 2. Welle wohl nicht überdurchschnittlich gefährdet
Long-COVID bei Krebs mit höherer Mortalität assoziiert
COVID-19: Molnupiravir – ein Silberstreif am therapeutischen Horitont?
Bei der Suche nach Therapien zeichnen sich erste Erfolge ab. Jetzt berichten Merck & Co. (MSD) und Ridgeback Biotherapeutics von Zwischenergebnissen einer Phase-3-Studie mit Molnupiravir.
Der experimentelle Arzneistoff wurde ursprünglich zur Influenza-Therapie entwickelt. Im Körper entsteht durch Verstoffwechselung das aktive Molekül N4-Hydroxycytidin. Es führt dazu, dass während der viralen RNA-Replikation Kopierfehler eingeführt werden – und inaktive Viren entstehen.
Im Rahmen der geplante Zwischenanalyse wurden Daten von 775 Patienten ausgewertet, die bis zum 5. August 2021 in die Phase-3-Studie MOVe-OUT aufgenommen worden waren. Die Zulassungskriterien sahen vor, dass alle Patienten an labordiagnostisch bestätigtem leichtem bis mittelschwerem COVID-19 litten und die Symptome innerhalb von 5 Tagen nach der Randomisierung auftraten. Alle Patienten mussten bei Studienbeginn mindestens einen bekannten Risikofaktor aufweisen, der mit einem schlechten Krankheitsverlauf assoziiert ist.
Molnupiravir verringerte laut Pressemeldung das Risiko einer Krankenhauseinweisung und/oder eines Todesfalls in allen wichtigen Untergruppen; die Wirksamkeit wurde nicht durch den Zeitpunkt des Symptombeginns oder den zugrunde liegenden Risikofaktor beeinflusst. Darüber hinaus zeigte Molnupiravir eine konsistente Wirksamkeit bei den Virusvarianten Gamma, Delta und Mu – bei rund 40% aller Teilnehmer lagen Sequenzierungsdaten vor.
Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen war in den Molnupiravir- und Placebogruppen vergleichbar (35% bzw. 40%). Auch die Häufigkeit von Nebenwirkungen blieb in einem ähnlichen Rahmen (12% bzw. 1 %). In der Molnupiravir-Gruppe brachen weniger Probanden die Studientherapie aufgrund eines unerwünschten Ereignisses ab (1,3%) als in der Placebo-Gruppe (3,4%).
„Wir sehen hier eine sehr interessante Zwischenanalyse einer gut kontrollierten Phase-3-Studie, die einen hohen Nutzen für das Virostatikum Molnupiravir gegenüber Placebo in der Frühphase einer COVID-19-Erkrankung beschreibt“, so Prof. Dr. Clemens Wendtner gegenüber dem Science Media Center. Er ist Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing.
Dies sei „nach vielen Frustrationen, die in der Testung von anderen Medikamenten wie Lopinavir/Ritonavir (Kaletra), Chloroquin und Ivermectin zu beobachten war, ein wahrer Lichtblick“. Wendtner: „Es empfiehlt sich aber immer in der Wissenschaft, den Tag nicht vor dem Abend zu loben und die Ergebnisse der Gesamtstudie abzuwarten, nicht zuletzt auch in Form einer peer-reviewed Veröffentlichung.“
Der Experte sieht trotz offener Fragen Grund zum Optimismus. Ergebnisse der Interimsanalyse hätten schon „so gute“ Daten geliefert, dass „eine unabhängige Gutachterkommission zum Schluss gekommen ist, die Studie vorzeitig abzubrechen“. Sein Fazit: „Die Kernaussage ist, dass Molnupiravir die Hospitalisierungsrate inklusive Mortalität bei Patienten in der Frühphase von COVID-19 nahezu halbiert.“
Wendtner: „Genaue Daten zu den Todesursachen sowie Verteilung über die Risikogruppen fehlen derzeit und müssen in einer Vollpublikation nachgeliefert werden. Aber im Vergleich zu Remdesivir, einem per Infusion zu verabreichendem Virostatikum, gelingt es offensichtlich mit der als Tablette einzunehmenden Substanz Molnupiravir, auch die Sterblichkeit in der Frühphase der Erkrankung deutlich zu reduzieren.“ Dies sei im Vergleich zu einer Hospitalisierungsrate aus klinischer Sicht immer der härtere und letztlich auch objektivere Endpunkt.
„Aber auch die Entlastung des Krankenhaussystems durch eine ambulante Therapie, die auch im Vergleich zu sogenannten neutralisierenden Antikörpern (unter anderem Casirivimab/Imdevimab) viel einfacher zu verabreichen ist, ist in Zeiten knapper Bettenressourcen während der COVID-19-Pandemie ein nicht zu unterschätzendes Argument, wenn sich die Daten in der Endauswertung weiter erhärten.“
Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), stellt klar, „der Wirkstoff wird die Impfungen selbstverständlich auch nicht überflüssig machen“.
Erste Hinweise: Diese Titer könnten gegen COVID-19 schützen
Bei Thema Impfungen fragen sich in zwischen viele: Wer benötigt nach der Grundimmunisierung Booster Shots?
Forscher haben jetzt Daten aus einer randomisierten Wirksamkeitsstudie des AstraZeneca-Impfstoffs ChAdOx1 nCoV-19 (AZD1222) aus UK analysiert. Ihr Ziel war, herauszufinden, welcher Antikörperspiegel mit einem hohen Schutzniveau assoziiert ist.
Bindende und neutralisierende Antikörper wurden 28 Tage nach der 2. Dosis des Vakzins bei infizierten und nicht-infizierten Impfstoffempfängern gemessen. Das Ergebnis, allerdings nur bezogen auf die Alpha-Variante (B.1.1.7) von SARS-CoV-2: Eine Impfstoffwirksamkeit von 80% gegen eine symptomatische Infektion wurde mit 264 bindenden Antikörpereinheiten (BAU)/ml, sprich Anti-Spike-Antikörpern, erreicht.
„Gegen Delta braucht es wahrscheinlich mehr Antikörper“, kommentiert der Immunologe Prof. Dr. Carsten Watzl vom IfADo – Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Seine Einschätzung: „Die Studie präsentiert einen ersten Wert für einen Immunschutz.“ Man könne Werte vergleichen, weil Tests standardisiert seien.
Labors wiederum könnten standardisiert arbeiten und die Werte in internationalen Vergleichswerten angeben. Und so kann nun auch ein Grenzwert bestimmt und verglichen werden. „Es wird allerdings noch mehrere solcher Studien benötigen, um wirklich einen Wert final festlegen zu können“, so das Fazit.
ECMO: Immer weniger Patienten überleben
Neues gibt es auch zur intensivmedizinischen Therapie. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie setzten Ärzte auf die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), um die Lungen von Patienten zu entlasten. Auch derzeit retten ECMO-Systeme Patienten vor dem Tod, aber weitaus seltener als bei der 1. Welle. Das geht aus jetzt veröffentlichten Kohortendaten hervor.
Im Jahr 2020 erhielten 4.812 Patienten mit COVID-19 in 349 Zentren in 41 Ländern eine ECMO. Bei Zentren, die recht früh auf ECMO gesetzt haben, war folgender Vergleich möglich:
ECMO vor dem 1. Mai 2020: Die kumulative Inzidenz der In-Hospital-Mortalität 90 Tage nach Beginn der ECMO lag bei 36,9 % (95%-KI 34,1%-39,7%).
ECMO nach dem 1. Mai 2020: Hier geben die Autoren 51,9% (95%-KI 50,0%-53,8%) an.
Führten Zentren die ECMO überhaupt erst nach dem 1. Mai ein, ergab sich als kumulative Inzidenz der In-Hospital-Mortalität 58,9% (95%-KI 55,4%-62,3%).
„Die Sterblichkeit nach ECMO bei Patienten mit COVID-19 verschlechterte sich im Jahr 2020“, schreiben die Autoren. Gründe liefert eine Kohortenstudie bekanntlich nicht; den Autoren zufolge sei davon auszugehen, dass Ärzte mehr Routine entwickelt hätten – was für ein besseres Outcome sprechen sollte. Doch vermutlich seien nach dem 1. Mai 2020 mehr COVID-19-Patienten mit schwerem Verlauf per ECMO behandelt worden als zuvor.
Krebspatienten während der 2. Welle wohl nicht überdurchschnittlich gefährdet
Noch ein Blick speziell auf onkologische Patienten. Während der 1. SARS-CoV-2-Welle war ihre Mortalität durch COVID-19 höher als bei Patienten ohne maligne Erkrankung. Dieser Effekt scheint bei der 2. Welle nicht mehr aufgetreten zu sein.
Laut Kohortenstudie war die Gesamtsterblichkeit bei Krebspatienten in der 2. Welle der Pandemie niedriger als in der 1., nämlich 16% gegenüber 44%, was einer Hazard Ratio von 0,41 (95%-KI 0,30-0,56; p<0,0001) entspricht.
In der 1. Welle war eine Krebsdiagnose nach Bereinigung um Alter, ethnische Zugehörigkeit und Komorbiditäten mit einer Hazard Ratio von 1,57 (95%-KI 1,04-2,40) signifikant mit der Sterblichkeit assoziiert, aber in der 2. Welle war die Assoziation nicht mehr signifikant. Als HR nennen die Autoren 0,98 (95%-KI 0,56-1,70).
Die Autoren haben dazu 3 Hypothesen:
Schon zu Beginn der 2. Welle wurden viele Krebspatienten geimpft.
Es gibt mittlerweile evidenzbasierte Therapien bei COVID-19, u.a. Dexamethason, Remdesivir und Tocilizumab
Während der 2. Welle hatten mehr Krebspatienten Zugang zu leitliniengerechten onkologischen Therapien.
Long-COVID bei Krebs mit höherer Mortalität assoziiert
Mehr als einer von 6 Krebspatienten leidet nach einer SARS-CoV-2-Infektion an Langzeitfolgen. Long-COVID gilt als Risikofaktor, um die onkologische Behandlung abzubrechen oder zu sterben; Medscape hat berichtet.
Daten kamen aus dem OnCovid-Register, das zu Beginn der Pandemie eingerichtet wurde, um Patienten im Alter von 18 Jahren und älter mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und einer Vorgeschichte von soliden oder hämatologischen Malignomen zu untersuchen.
Zum Zeitpunkt der Datenerfassung am 1. März 2021 umfasste das Register 35 Einrichtungen in sechs europäischen Ländern. Die Einrichtungen sammelten Informationen zu demografischen Daten und Begleiterkrankungen der Patienten, zur Krebsvorgeschichte, zur Krebstherapie, zu COVID-19-Untersuchungen und zu COVID-19-spezifischen Therapien.
Für die aktuelle Analyse schloss das Team 1.557 von 2.634 Patienten ein, die nach ihrer Genesung von COVID-19 erneut im Krankenhaus untersucht worden waren. Für 840 dieser Patienten lagen ausreichende Informationen zur Durchführung einer multivariaten Analyse vor.
Etwa die Hälfte von ihnen war jünger als 60 Jahre, und etwas mehr als die Hälfte waren Frauen. Die häufigsten Krebsdiagnosen waren Brustkrebs (23,4%), gastrointestinale Tumore (16,5%), gynäkologische/genitourinäre Tumore (19,3%) und hämatologische Tumore (14,1%), wobei eine gleichmäßige Verteilung zwischen lokaler/lokoregionaler und fortgeschrittener Erkrankung bestand.
Das mittlere Intervall zwischen der COVID-19-Erholung und der erneuten Untersuchung betrug 44 Tage, und die mittlere Nachbeobachtungszeit nach COVID-19 lag bei 128 Tagen.
Bei 15% Patienten trat mindestens eine Langzeitfolgeerscheinung von COVID-19 auf. Die häufigsten waren Dyspnoe/Atemnot (49,6%), Müdigkeit (41,0%), chronischer Husten (33,8%) und andere Atemwegskomplikationen (10,7 %).
Unter Berücksichtigung von Geschlecht, Alter, Komorbidität, Primärtumor, Stadium, Behandlung mit Krebsmedikamenten und Anti-COVID-19-Therapien, COVID-19-Komplikationen und Krankenhausaufenthalten stellte das Team fest, dass COVID-19-Folgeschäden unabhängig voneinander mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden waren (Hazard Ratio 1,76).
Eine weitere Analyse der Muster der systemischen Krebstherapie bei 471 Patienten ergab, dass 14,8 % der COVID-19-Überlebenden die Therapie dauerhaft abbrachen und dass bei 37,8 % eine Dosis- oder Regimeanpassung erfolgte.
Credits:
Lead Image: Zerbor/Dreamstime.com
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Diesen Artikel so zitieren: „Ein wahrer Lichtblick“: Zwischenanalyse zu neuer COVID-19-Therapie; Welcher Titer schützt; Long-COVID tödlicher bei Krebs - Medscape - 4. Okt 2021.
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