Dr. Arthur L. Caplan ist Direktor der Abteilung für Medizinethik am New York University Langone Medical Center und der School of Medicine und Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Publikationen . Das Videotranskript wurde übersetzt und redigiert.
Ich bin Art Caplan von der Abteilung für medizinische Ethik an der Grossman School of Medicine der New York University.
Technologien in der Genetik schaffen eine völlig neue Welt: Viele Menschen unterziehen sich solchen Tests, um herauszufinden, ob sie Risiken für bestimmte Krankheiten haben.
Kommerzielle Gentests werden in großem Umfang genutzt, auch von Laien. Wir alle kennen 23andMe und andere Unternehmen, die Ihnen Testkits nach Hause schicken und Ihnen Informationen über Ihre Genealogie geben. Etwa, um anhand von DNA-Markern festzustellen, ob Sie Äthiopier oder Waliser sind. Viele Menschen erhalten so auch Informationen über ihre Gesundheit.
Vaterschaftstests werden immer leichter zugänglich
Abgesehen davon ermöglicht 23andMe seinen Kunden ohne großen Aufwand, eine Vaterschaft zurückzuverfolgen. Sie können ihre eigenen Testergebnissen eingeben und herausfinden, wer in der Datenbank der Firma noch ein ähnliches genetisches Profil hat. Über die Plattformen der Anbieter lassen sich die Personen oft auch kontaktieren.
In diesem ethisch besonders umstrittenen Bereich finden viele Menschen heraus, dass sie nicht von ihren vermeintlichen Eltern gezeugt wurden, sondern von Samenspendern, oder fremden Menschen, die Eizellen oder Embryonen gespendet hatten, von denen sie bisher nichts wussten oder über die sie nicht informiert wurden.
Schlimmer noch: Einige erfahren, dass es sich um keinen anonymen Spender gehandelt hat, wie es ihre Eltern vielleicht erzählt hatten, sondern um einen Reproduktionsmediziner, der heimlich sein eigenes Sperma verwendet hat.
Reproduktionsmediziner als Samenspender – ethische und juristische Fragen
In New Jersey, in Vermont und in anderen Bundesstaaten tauchen Fälle auf, in denen Kinder, die vor Jahrzehnten gezeugt wurden, 23andMe nutzten und herausfanden, dass der Reproduktionsmediziner ihr Vater war, was sie zuvor nicht gewusst hatten.
Da fragt man sich natürlich, ob es richtig ist, dass die Betroffenen zurückverfolgen können, wer sie gezeugt und ihre Eltern über die Herkunft des Spermas angelogen hat. Sollten diese Ärzte bestraft werden?
Lassen Sie uns zuerst die 2. Frage klären. Ja, sie sollten zur Verantwortung gezogen werden. Selbst vor 20, 30 oder 40 Jahren war es ethisch eindeutig, dass man eine informierte Zustimmung mit vollständiger Offenlegung der Identität des Samenspenders benötigt.
Wenn ein Arzt sagt, dass es sich um einen anonymen Spender handelt – höchstwahrscheinlich um einen Medizinstudenten – und nicht preisgibt, dass es sich um ihn selbst handelt, dann sollte er für diesen Vertrauensbruch zur Rechenschaft gezogen werden. In einigen Fällen wird dies als „medizinische Vergewaltigung“ bezeichnet. Man hat im übertragenen Sinne eine intime Beziehung, ohne seine Identität preiszugeben – und man zwingt einer Frau unfreiwillig Fortpflanzung auf.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir über diese Beschreibung diskutieren können, aber für mich ist klar, dass man lügt, betrügt und Menschen einem Risiko aussetzt. Denn es ist nicht klar, ob Ärzte, die ihr eigenes Sperma verwenden, sich selbst untersuchen oder genetische Tests durchführen. Als Gefahr bleibt, dass über diesen Weg viele Menschen mit Verwandtschaft gezeugt werden, ohne dies zu wissen – mit dem Potenzial für Inzest und damit für Erbkrankheiten.
Ärzte sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Wir sollten bereit sein, sie strafrechtlich zu verfolgen. Wir sollten bereit sein, sie zu bestrafen, auch wenn diese Dinge vor vielen Jahrzehnten geschehen sind.
Vom Ende der Anonymität
Nach wie vor versprechen Ärzte vielen Samen- und Eizellspendern Anonymität. Ich muss sagen, ob es uns nun gefällt oder nicht, die Technologie ist da und weithin verfügbar, so dass es unmöglich sein wird, die Anonymität zu schützen. Je mehr genetisches Wissen wir haben, je mehr Gentests zur Routine werden und je mehr kommerzielle Gentests für Laien erhältlich sind, desto schwieriger wird es sein zu verhindern, dass Menschen herausfinden, wer ihre biologischen Verwandten oder biologischen Eltern sein könnten.
Wir könnten dagegen protestieren. Wir können uns darüber beschweren. Aber das ist zu spät. Wir leben in einer Welt, in der wir, wenn wir anonyme Samen-, Eizellen- oder Embryonenspenden zulassen, uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir Identitäten von Spendern auf lange Sicht wahrscheinlich nicht werden schützen können. So ist das nun einmal.
Ich bin Art Caplan von der Abteilung für Medizinethik an der New York University Grossman School of Medicine. Vielen Dank, dass Sie zugehört haben.
Fälle aus Deutschland und aus anderen EU-Nationen
Ende 2020 schlug ein ähnlicher Fall in den Niederlanden hohe Wellen. Im Isala-Krankenhaus in Zwolle, etwa 100 Kilometer östlich von Amsterdam, soll ein Gynäkologe mindestens 17 Kinder mit seinem Sperma künstlich gezeugt haben – ohne Wissen der Patientinnen. Auch hier kamen ihm Betroffene durch Zufall bei einer DNA-Sequenzierung auf die Spur. Rechtliche Konsequenzen sind aufgrund der Verjährung nicht zu erwarten.
Aus Deutschland kommen zwar einzelne Berichte mit ähnlicher Problematik. Sie lassen sich jedoch kaum verifizieren – vor allem, weil es zu keinen Verhandlungen vor Gericht gekommen ist. Geltende Vorschriften im Strafrecht fehlen ebenfalls. Kein Gesetz verbietet Ärzten eine anonyme Samenspende, falls sie medizinische Qualitätsstandards einhalten. Der Arbeitskreis für donogene Insemination schreibt zwar: „Alle Mitarbeiter einer Samenbank oder deren Angehörige können nicht als Spender für die Samenbank tätig werden.“ Hier handelt es sich allenfalls um eine Empfehlung.
Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Credits:
© Jovanmandic
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2021 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Mehrere Reproduktionsmediziner verwendeten ihr eigenes Sperma, ohne Patientinnen zu informieren – ist das strafbar? - Medscape - 29. Sep 2021.
Kommentar