Die Jahrestagung 2021 der European Association for the Study of Diabetes (EASD) wird sich mit individualisierten Ansätzen im Diabetesmanagement befassen. Dazu zählen vor allem maßgeschneiderte Arzneimitteltherapien bei Typ-2-Diabetes und das Management von Typ-1-Diabetes.
Auf der virtuellen Tagung, die vom 28. September bis 1. Oktober 2021 stattfindet [1], werden unter anderem Ergebnisse von TriMASTER (einer 3-armigen Crossover-Studie zur Strategie der Zweit-/Drittlinientherapie bei Typ-2-Diabetes), neue Subgruppenanalysen aus der GRADE-Studie (Glycemia Reduction Approaches in Diabetes: A Comparative Effectiveness), die endgültige Fassung einer Konsenserklärung zum Management von Typ-1-Diabetes sowie neue Daten zum dualen Inkretin-Agonisten Tirzepatid vorgestellt.
„Ich glaube fest an die Personalisierung. Ich glaube nicht, dass die großen Blockbuster [Medikamente] für alle Diabetiker geeignet sind. Selbst bei Typ-1-Diabetes gibt es Hinweise auf Heterogenität. Wir brauchen eine bessere Möglichkeit, die individuellen Bedürfnisse zu erkennen. Ich denke, dass wir in diese Richtung gehen. Das ist eines der Themen der Konferenz“, sagte EASD-Präsident Prof. Dr. Stefano Del Prato von der Universität Pisa, Italien, zu Medscape.
Er wies darauf hin, dass sich die EASD und die American Diabetes Association (ADA) vor kurzem mit anderen Organisationen zusammengeschlossen hätten, um die Precision Medicine in Diabetes Initiative zu gründen.
Wie nicht anders zu erwarten, wird es auf der Tagung auch zahlreiche Vorträge zur COVID-19-Pandemie geben, darunter Studien, die sich mit der Frage befassen, wie es Menschen mit COVID-19 und Diabetes ergangen ist, wie sich die Pandemie auf die Diabetesversorgung ausgewirkt hat, welche Folgen SARS-CoV-2 für Betazellen der Bauchspeicheldrüse hat und ob das Virus eventuell Diabetes auslösen kann.
Neue Daten aus früheren Studien
Es werden auch neue Daten aus mehreren bereits veröffentlichten Studien vorgestellt, die sich auf bestimmte Patienten-Subgruppen des Typ-2-Diabetes beziehen. Eine davon ist die EMPEROR-Preserved-Studie zu Empagliflozin (Jardiance®) bei Personen mit Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion. Resultate wurden erstmals im August 2021 auf dem virtuellen Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt. Es geht dabei um Patientensubpopulationen, um Wirksamkeitsendpunkte und um die Sicherheit bei Patienten mit oder ohne Diabetes. Eine begleitende Studie, EMPEROR-Reduced, bei Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurffraktion, wurde auf dem ESC-Kongress im August 2020 präsentiert.
Außerdem ist mit neuen Erkenntnissen aus der DAPA-CKD-Studie zu Dapagliflozin (Farxiga®) bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung zu rechnen. Die Studie wurde im März 2020 wegen der überwältigenden Wirksamkeit des Medikaments bei der Prävention chronischer Nierenerkrankungen vorzeitig abgebrochen. Bald darauf wurden die Daten in Hinblick auf metabolische, nephrologische und kardiologische Parameter ausgewertet.
Und aus den Studien FIDELIO-DKD und FIGARO-DKD mit dem nichtsteroidalen Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten Finerenon (Kerendia®) werden neue Daten zu verschiedenen Subgruppen von Menschen mit Typ-2-Diabetes und chronischen Nierenerkrankungen vorgestellt.
„Unser Ziel ist es, die meisten Aspekte zu Entwicklungen auf dem Gebiet des Typ-2-Diabetes abzudecken“, erklärte EASD-Ehrensekretär Prof. Dr. Mikael Rydén gegenüber Medscape. Er arbeitet am Karolinska-Institut und Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm.
Rydén, der den Vorsitz des wissenschaftlichen Programmkomitees innehat, fügte hinzu: „Wir können uns jedes Jahr nur auf eine bestimmte Anzahl von Themen konzentrieren, aber wir versuchen, … uns von Jahr zu Jahr zu verändern. Ich bin überzeugt, dass ein Arzt oder ein translationaler Forscher auf jeden Fall eine Reihe sehr interessanter Symposien verfolgen und Neues lernen kann. Wenn Sie an den Veranstaltungen teilnehmen, werden Sie eine Menge darüber wissen, was in der Diabetes-Welt vor sich geht.“
Neue Wege beim Management von Typ-1-Diabetes
Sowohl Del Prato als auch Rydén bezeichneten die Präsentation des neuen ADA/EASD-Konsensberichts zum Typ-1-Diabetes als einen der klinisch wichtigsten Punkte der Konferenz. Das Dokument, das auf den wissenschaftlichen Tagungen der ADA im Juni 2021 erstmals im Entwurf vorgestellt worden ist, zielt darauf ab, Ergebnisse aus Studien zu Typ-2-Diabetes nicht auf Typ-1-Diabetes, die Autoimmunerkrankung mit einzigartigen Merkmalen, zu übertragen.
Die endgültige Fassung des Dokuments soll unter anderem Informationen über Therapieziele, glykämische Zielwerte, über die Prävention und das Management von Hypoglykämie beziehungsweise diabetischer Ketoazidose, über psychosoziale Betreuung und über spezielle Patientengruppen enthalten. Darüber hinaus wird es voraussichtlich einen Abschnitt geben, der sich mit Zusatztherapien jenseits von Insulin befasst, darunter Metformin, Pramlintid, GLP-1-Agonisten und SGLT2-Inhibitoren.
Del Prato merkte an: „Aus klinischer Sicht ist es ein wichtiger Schritt, dass 2 große Organisationen gemeinsam einige Strategien für die Therapie empfehlen. Es handelt sich wirklich um ein großes Problem, und wir versuchen, Instrumente für eine bessere Homogenisierung der Behandlung von Typ-1-Diabetes in den verschiedenen Gesundheitssystemen bereitzustellen.“
Rydén kommentierte: „Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass die ADA und die EASD zusammenkommen und dies [zu Typ-1-Diabetes] tatsächlich schreiben, da in den letzten Jahren vor allem Wert auf Typ-2-Diabetes gelegt wurde.“
Er wies aber auch darauf hin, dass die Studiendaten für Medikamente bei Typ-2-Diabetes viel aussagekräftiger seien, um internationale Richtlinien zu untermauern, während „dies bei Typ-1-Diabetes viel schwieriger nachzuweisen ist“. Mit einer neuen Pumpe oder einem kontinuierlichen Glukosemessgerät könne man vielleicht eine Senkung des Blutzuckerspiegels um X Prozent oder X mmol/mol oder weniger Hypoglykämien nachweisen. „Aber es ist viel schwieriger, Verbesserungen bei harten Ergebnissen wie Todesfällen und kardiovaskulären Ereignissen zu zeigen“, sagt Rydén. „Ich freue mich sehr auf die Präsentation dieser Ergebnisse.“
Diabetes im Jahr 2021: Personalisierte Therapien gewinnen an Bedeutung
Mehrere Sitzungen werden sich speziell mit Ansätzen der Präzisionsmedizin befassen, darunter die TriMASTER-Studie, die darauf abzielt, Subgruppen von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu identifizieren, die aufgrund klinischer Merkmale gut oder schlecht auf bestimmte Medikamente ansprechen. Ziel ist, Behandlungen besser auf einzelne Patienten abzustimmen. Insgesamt wurden 600 Patienten mit Typ-2-Diabetes und suboptimaler Blutzuckerkontrolle mit Metformin randomisiert auf einen DPP-4-Hemmer, einen SGLT2-Hemmer oder ein Thiazolidindion (TZD).
Rydén meint: „Die Endergebnisse der TriMASTER-Studie werden interessant sein. TZDs haben immer noch ihren Platz. Man kann sie nicht an Menschen mit Herzinsuffizienz verabreichen, aber ich denke, wie ein Zimmermann müssen Ärzte unterschiedliche Werkzeuge … haben. Und ich glaube immer noch, dass es einige Menschen gibt, die gut auf Pioglitazon ansprechen.“
Ein EASD/ADA-Symposium mit dem Titel „Optimierung der Diabetes-Diagnostik, -Prävention und -Versorgung: Ist die Präzisionsmedizin die Antwort?“ bietet 3 verschiedene Perspektiven: Ein Redner vertritt die Ansicht, dass sie die Zukunft der Diabetesmedizin sei, ein anderer, dass sie es nicht sei, und ein weiterer erklärt, dass „der Teufel im Detail steckt“.
Das Diabetologia-Symposium wird sich auf ein verwandtes Konzept konzentrieren: den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Diabetesforschung und -versorgung, speziell in den Bereichen Glukosekontrolle, Neuropathie und Wundheilung.
Und bei der Camillo-Golgi-Vorlesung wird der Experte für Nierenkrankheiten, Dr. H. J. Lambers Heerspink von der Universität Groningen (Niederlande), über die Personalisierung der Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes sprechen und argumentieren, dass „der Mittelwert bedeutungslos ist“.
Inkretintherapie: Welche Bedeutung hat der Gewichtsverlust?
Neue Daten werden den Hype um Tirzepatid, einen dualen GLP-1-Rezeptor-Agonisten und glukoseabhängigen, insulinotropen Polypeptidwirkstoff, auf der ADA-Tagung weiter befeuern.
Vorgestellt werden neue Daten aus der SURPASS-3-CGM-Studie, die sich mit Effekten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes befasst, aus der SURPASS-3-MRT-Studie, in der die Wirkung des Medikaments auf den Fettgehalt der Leber und das abdominale Fettgewebe untersucht wurde, und aus der SURPASS-4-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Tirzepatid bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko im Vergleich zu Insulin Glargin untersucht wurde. Das Medikament zeichnet sich durch eine drastische Senkung des HbA1c-Werts und des Körpergewichts aus, auch wenn noch Fragen zur Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen und zu langfristigen kardiovaskulären und renalen Folgen offen sind.
Rydén kommentierte: „Angesichts der Auswirkungen auf den HbA1c-Wert und das Körpergewicht würden wir ein positives Ergebnis erwarten, aber man weiß ja nie. Zumindest ist Tirzepatid sicher, das steht fest. Ich halte diese Wirkungsweise für äußerst interessant.“ Del Prato merkte an, dass Tirzepatid auch „einen neuen Bereich für Interventionen bei Typ-1-Diabetes eröffnen könnte“. Die ersten Daten seien vielversprechend gewesen; es lohne sich, das Thema im Blick zu behalten.
Ein weiteres Symposium befasst sich mit der Zukunft Inkretin-basierter Behandlungen insgesamt, während das EASD-Lancet-Symposium der Frage nachgeht, ob die Behandlung von Adipositas die Zukunft der Diabetesbehandlung sein könnte.
COVID-19, Hypoglykämie, Knochen und vieles mehr
Zu den weiteren bemerkenswerten Themen gehören Vorträge zum Management von Hypoglykämien, eine gemeinsame EASD/European Society of Endocrinology-Sitzung zum Thema Diabetes und Knochen, eine Debatte über die Frage, ob Frauen mit Diabetes ein höheres kardiovaskuläres Risiko haben als Männer, und das Management von Hyperglykämien im Krankenhaus.
Neu ist auch, dass Mitglieder des Programmausschusses und Redner die Höhepunkte des jeweiligen Tages zusammenfassen. Auch das EASD e-Learning wurde erweitert, um mehr klinische Themen zum Insulineinsatz, zur nichtalkoholischen Fettlebererkrankung, zur Fettleibigkeit und zur Neuropathie aufzunehmen.
„Insgesamt“, so Del Prato, „ist das Programm mit mehr als 700 Vortragenden, 162 eingeladenen Symposiumssprechern und 53 Vorsitzenden sehr umfangreich. Es deckt ganz unterschiedliche Bereiche ab, von der Grundlagenforschung bis hin zur klinischen Forschung. Es ist eine ganze Menge los.“
Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Credits:
© Dzmitry Skazau
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Diesen Artikel so zitieren: EASD: Management von Typ-1-Diabetes, Neues zur Inkretintherapie, personalisierte Ansätze – und weitere Highlights - Medscape - 27. Sep 2021.
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