Melanom-Therapie neu denken: Adjuvantes Pembrolizumab auch für Früh-Stadien? Studien liefern „mehr Fragen als Antworten“

Liam Davenport

Interessenkonflikte

21. September 2021

Hautkrebs-Patienten profitieren nach einer vollständigen Resektion ihres Melanoms von adjuvantem Pembrolizumab (Keytruda®), so die Ergebnisse der Studie KEYNOTE-716. Allerdings würden die Resultate viele Fragen aufwerfen, sagte ein Experte bei der Jahrestagung 2021 der European Society of Medical Oncology (ESMO) [1]

Forscher untersuchen Pembrolizumab in frühen Krankheitsstadien

Pembrolizumab ist in den USA zur adjuvanten Behandlung von Patienten mit Melanomen mit Lymphknotenbefall nach vollständiger Resektion zugelassen. Es hat sich gezeigt, dass der Wirkstoff sowohl das rezidivfreie (RFS) als auch das fernmetastasenfreie Überleben (DMFS) bei Melanomen im Stadium 3 verlängert.

An der aktuellen Studie nahmen Patienten teil mit einem resezierbaren Melanom der Stadien 2B oder 2C. Sie hätten ein „hohes Risiko“ für Rezidive, ähnlich wie bei den Stadien 3A und 3B, erklärte Studienleiter Dr. Jason J. Luke, Direktor des Cancer Immunotherapeutics Center am UPMC Hillman Cancer Center in Pittsburgh, Pennsylvania. 

Die Ergebnisse der KEYNOTE-716-Studie zeigten, dass die adjuvante Behandlung mit Pembrolizumab auch in diesem früheren Krankheitsstadium von Vorteil sei, so der Referent. Unter dieser Behandlung verbesserte sich das rezidivfreie Überleben um 35% und das Überleben ohne Fernmetastasen um 40% im Vergleich zu Placebo.

Die adjuvante Behandlung mit Pembrolizumab sei eine „wirksame Behandlungsoption mit einem günstigen Nutzen-Risiko-Profil für Patienten mit Hochrisiko-Melanom im Stadium 2“, folgerte Luke.

Der Hersteller Merck teilte mit, dass neue Ergebnisse bereits zur vorrangigen Prüfung durch die US Food and Drug Administration angenommen worden seien, was eine Ausweitung der Indikation auf Patienten mit frühen Stadien wahrscheinlich mache.  

Wie sollten Melanome in frühen Stadien künftig behandelt werden?

Der eingeladene Diskussionsteilnehmer Dr. Omid Hamid, Leiter des Bereichs Forschung/Immuno-Onkologie, The Angeles Clinic and Research Institute, Cedars-Sinai Affiliate, Los Angeles, Kalifornien, sagte, Lukes Präsentation sei „erstaunlich“. Diese neuen Ergebnisse hätten „die Art und Weise, wie wir über die Behandlung unserer Patienten nachdenken und wie wir in Zukunft vorgehen werden, verändert“. 

Hamid wies darauf hin, dass die Inzidenz von Melanomen im Stadium 2B und 2C gleich sei wie die von Melanomen im Stadium 3. „Mit der vorgeschlagenen Zulassung von Pembrolizumab in diesem früheren Stadium werden wir also viel mehr Patienten haben, die wir in einem früheren Stadium ihrer Erkrankung behandeln können“, so Hamid. 

 
Mit der vorgeschlagenen Zulassung von Pembrolizumab in diesem früheren Stadium werden wir also viel mehr Patienten haben, die wir in einem früheren Stadium ihrer Erkrankung behandeln können. Dr. Omid Hamid
 

Dies werfe unvermeidliche Fragen auf, wie diese Patienten zu behandeln seien, wenn sie einen Rückfall erlitten, und welche Optionen es im metastasierten Stadium gebe, „nachdem die PD-1-Einzeltherapie bereits ausgeschöpft ist“, kommentierte er.

Hamid sagte, dass die aktuellen Ergebnisse auch das „aktuelle Problem“ mit der adjuvanten Therapie aufzeigten, nämlich dass „wir nicht wissen, wer davon profitiert“, und dass es eine Untergruppe von Patienten gebe, die auch ohne Behandlung keine Rezidive bekäme. 

Die Fragen lauten also: „Wie kommt es, dass alle behandelt werden? Was ist mit den Risiken der Toxizität? Die Kosten? Und wie können wir diese Patienten in der Klinik unterbringen?“ 

Umfassendes Studienprogramm 

Wie bei vielen Immuntherapie-Studien wurde die Notwendigkeit von Biomarkern angesprochen, wobei Hamid den Bedarf an prädiktiven Biomarkern sah, die Patienten ausschließen und vor Toxizität bewahren.

Hamid wies darauf hin, dass es Daten zu einem anderen Checkpoint-Inhibitor, Nivolumab (Opdivo®) in der adjuvanten Behandlung aus der CheckMate 238-Studie gebe. Diese Daten deuteten darauf hin, dass eine höhere Tumormutationslast und ein höherer Interferon-Gamma-Spiegel im Tumor eine Rolle spielen könnten. Er hoffe nun, dass es ähnliche Daten aus dieser jüngsten Studie gebe. 

Außerdem berichtete Hamid über laufende und geplante Studien bei Patienten mit Melanomen im Stadium 2B und 2C, darunter eine Studie zur neoadjuvanten PD-1-Blockade vor der Resektion und die DETECTION-Studie, um die Therapie, gesteuert durch zirkulierende Tumor-DNA, nach Operationen zu untersuchen.

Dann gibt es noch die NivoMela-Studie, in der Nivolumab in den Stadien 2A sowie 2B und 2C erforscht wird, während in der REFINE-Studie geprüft wird, ob eine seltenere Verabreichung der Immuntherapie an Patienten mit fortgeschrittenem Krebs, einschließlich Melanom, zu weniger Nebenwirkungen führt, ohne an Wirksamkeit zu verlieren. 

Die aktuellen Ergebnisse würden auch die Frage aufwerfen, ob eine adjuvante Immuntherapie beim Melanom im Stadium 1 mit geringem Risiko „immer früher“ eingesetzt werden sollte, was in den Vereinigten Staaten bereits versucht werde, obwohl es „keine klare Vorstellung davon gibt, was bei diesen Patienten zu tun ist“, so Hamid.

Insgesamt hätten Ergebnisse von KEYNOTE-716 „mehr Fragen als Antworten aufgeworfen“, einschließlich der Protokolle für klinische Studien der Phasen 3 oder 4. Ausgeschlossen würden Patienten, die innerhalb von 6 Monaten eine adjuvante Therapie erhalten hätten, berichtete der Kommentator. „Das wird sich ändern müssen.“

Experten diskutieren Studie auf Twitter 

Einige der von Hamid aufgeworfenen Fragen lösten eine lebhafte Twitter-Debatte darüber aus, wie die Ergebnisse am besten in die Praxis umgesetzt werden können.

Dr. lorentia Dimitriou, Fachärztin für Dermatologie an der Hautkrebsklinik des Universitätsspitals Zürich, sagte, die Daten seien „großartig“, aber sie sei sich „immer noch nicht sicher“, wer eine adjuvante Immuntherapie bräuchte. Sie betonte auch, dass der größere RFS-Vorteil bei T3b- als bei T4b-Erkrankungen für sie „keinen Sinn ergibt“, und sie wies auch auf die Feststellung einer Langzeittoxizität bei etwa 18% aller Patienten hin.

((Insert Twitter box from here, please 

https://twitter.com/fdimitrioumd/status/1439306499449368578

Luke antwortete, er sei ebenfalls der Meinung, dass die T3b/T4b-Ergebnisse rätselhaft seien, aber er sagte, dass die Ereignisrate „niedrig“ und die Daten „unausgereift“ seien. Als Hoffnung bleibe, „bald mehr Informationen“ zu haben.

Er räumte ein, dass etwa 18% der Patienten, die Pembrolizumab einnähmen, aufgrund von unerwünschten Ereignissen eine Hormontherapie bräuchten, darunter 13,9% aufgrund einer Schilddrüsenunterfunktion; andere aufgrund von Hypophysitis, einer Nebennierenschwäche und Typ-1-Diabetes. Er wies jedoch auch darauf hin, dass etwa 5% der Patienten in dieser Studie schon zuvor Probleme mit der Schilddrüse gehabt hätten. Die Risiken und Vorteile der Behandlung müssten mit den Patienten besprochen werden, fügte er hinzu.

In einer Reihe von Tweets sagte Dr. Rebecca J. Lee, Dozentin für medizinische Onkologie an der Universität Manchester, Großbritannien, dass „wir mehr über die Ergebnisse zum metastasenfreien Überleben wissen müssen“ und dass Ergebnisse zum Gesamtüberleben benötigt würden. 

Sie betonte auch, dass Biomarker helfen könnten, um Patienten zu identifizieren, die wahrscheinlich von der Studie profitieren würden. Lee zufolge trete eine endokrine Schilddrüsentoxizität im Median nach 3,3 Monaten auf, und „Biomarker vor der Behandlung sind wichtiger sind als Biomarker während der Behandlung in diesem Setting“.

https://twitter.com/beckilee/status/1439251418234376198
https://twitter.com/beckilee/status/1439254491296055297

Ergebnisse von KEYNOTE-716

An der KEYNOTE-716-Studie nahmen Patienten mit neu diagnostiziertem, reseziertem Hochrisiko-Melanom im Stadium 2 im Alter von ≥ 12 Jahren und einem guten Performance Status teil. Die Mehrheit (ca. 64%) hatte ein Melanom im Stadium 2B, der Rest im Stadium 2C. Bei 41% der Patienten lag eine T3b-Erkrankung vor, 23% hatten eine T4a-Erkrankung und 35 % eine T4b-Erkrankung. Die Patienten wurden randomisiert und erhielten entweder Pembrolizumab oder Placebo.

In einem weiteren Teil der Studie werden Patienten mit einem Rezidiv entweder von der Placebo- in die Behandlungsgruppe überführt oder bis zu 2 Jahre lang erneut mit Pembrolizumab therapiert.

Bei der Vorstellung des 1. Teils der Studie erklärte Luke, dass von 487 Patienten, die Pembrolizumab erhalten hätten, 483 mit der Behandlung begonnen hätten. Bei 206 Patienten hätten Ärzte die Behandlung abgeschlossen; 133 Patienten seien noch in Therapie, und 144 hätten die Behandlung abgebrochen.

Der Placebogruppe wurden 489 Patienten zugewiesen, von denen 486 die Behandlung begonnen haben. 229 Therapien wurden abgeschlossen, 152 Personen sind noch in Behandlung, und 105 haben die Studienteilnahme abgebrochen.

Die beiden Gruppen waren in Bezug auf die Ausgangscharakteristika sehr ausgewogen. Das Durchschnittsalter lag bei etwa 60 Jahren; nur 1 Patient in jeder Gruppe war zwischen 12 und 17 Jahre alt.

Nach 12 Monaten hatte die Studie ihren primären Endpunkt erreicht. Die Rate für rezidivfreies Überleben lag bei 90,5% unter Pembrolizumab gegenüber 83,1% in der Placebogruppe, bei einer Hazard Ratio für ein Rezidiv von 0,65 (p=0,00658).

„Obwohl diese Studie diesen primären Endpunkt sehr früh erreicht hat, gibt es eine Reihe von Patienten, die später in den Kurven zensiert werden“, sagte Luke und fügte hinzu, dass man sehen müsse, wie sich die Daten entwickelten. „Wir gehen sogar davon aus, dass sich die Kurven im Laufe der Zeit weiter auseinander bewegen werden.“ 

Bei der Untersuchung der wichtigsten Untergruppen zeigte Luke, dass die Ergebnisse bei der Stratifizierung der Patienten nach Alter, Geschlecht, Ethnie und Performance Status für Pembrolizumab sprächen.

Interessanterweise schnitten Patienten mit einer T3b-Erkrankung unter Pembrolizumab deutlich besser ab als solche mit einer T4b-Erkrankung, mit einer Hazard Ratio für ein Rezidiv von 0,44 gegenüber 0,94.

Daten zu Rezidivmustern zeigten, dass bei 11,1% der Patienten, die Pembrolizumab einnahmen, ein Ereignis auftrat. 6,4% hatten ein regionales Rezidiv der Haut und/oder der Lymphknoten; weitere 4,7 % ein Fernrezidiv. In der Placebogruppe hatten 16,8% der Patienten ein Rezidiv, davon 8,4% ein lokoregionäres Rezidiv und 7,8% ein Fernrezidiv. Wie Luke erläuterte, bedeute dies, dass die Zahl der Fernrezidive unter Pembrolizumab im Vergleich zu Placebo um etwa 40% gesenkt worden sei. 

Schließlich untersuchten die Forscher Effekte auf die Lebensqualität anhand des EORTC QLQ-C30-Scores. Sie stellten fest, dass es keine klinisch bedeutsamen Veränderungen gab und dass sich die Werte in der Pembrolizumab- und der Placebogruppe im Verlauf der Nachbeobachtung annäherten. Die Lebensqualität werde „nur minimal verändert“, so Luke.

Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus  www.medscape.com  übersetzt und adaptiert. 

 

Kommentar

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