Fall: Eine sportliche Büroangestellte leidet an Schwindelgefühlen und an Koordinationsstörungen – Ihr Verdacht?

Marie-Lee Simard, Alexandre Lafleur

Interessenkonflikte

20. September 2021

Das dorsolaterale Medullasyndrom (syn. Wallenberg-Syndrom) wurde erstmals 1808 von Gaspard Vieusseux beschrieben. Spätere klinische (1895) und autoptische (1901) Beschreibungen von Wallenberg führten dazu, dass das Syndrom mit seinem Namen in Verbindung gebracht wird. Charakteristisch für diese Erkrankung ist der Verlust des Schmerz- und Temperaturempfindens in der ipsilateralen Gesichtshälfte und in der kontralateralen Körperhälfte. Weitere klinische Merkmale sind ein hartnäckiger Schluckauf, Schwindel, ein Horner-Syndrom, Nystagmus, Dysarthrie, Dysphagie und die ipsilaterale Ataxie.

Die Blutversorgung des Rückenmarks erfolgt hauptsächlich über die Vertebralarterien. Auf der Ebene der unteren Medulla gibt jede Vertebralarterie die variable A. cerebellaris posterior inferior ab (posterior inferior cerebellar artery, kurz PICA, daher auch PICA-Syndrom; bei bis zu 25% der Menschen nicht vorhanden) und die dorsolateralen Aspekte der Medulla versorgt. Etwas höher, nahe dem pontomedullären Übergang, gibt jede Wirbelarterie ebenfalls Äste zur Bildung der A. spinalis anterior ab, die an der anterioren Oberseite der Medulla absteigt und die medialen Aspekte der Medulla versorgt.

In den meisten Fällen hat ein Wallenberg-Syndrom eine vaskuläre Ursache. Oft der dorsolaterale Aspekt der Medulla betroffen, während das mediale Mark aufgrund einer intakten Versorgung durch die A. spinalis anterior verschont bleibt. Aus pathoanatomischen und aktuellen MRT-Studien geht hervor, dass laterale Markinfarkte zu 38% durch die A. vertebralis verantwortet werden [1,2]. Die PICA ist in 14 bis 24% der Fälle beteiligt, und in 26% sind beide Arterien betroffen. Nur in 12 bis 19% wird in keinem der beiden Gefäße eine Anomalie festgestellt.

Zur Akuttherapie des dorsolateralen Medullasyndroms dient die intravenöse Thrombolyse (IVT). Es hat sich erwiesen, dass eine IVT mit rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator (rtPA) beim akuten ischämischen Schlaganfall wirksam ist.

Eine Dissektion ist keine absolute Kontraindikation für eine IVT. Breitet sich jedoch – selten einmal – eine Dissektion der A. vertebralis intrakraniell aus, ist aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos Vorsicht geboten.

In der ECASS-3-Studie wurde der Nutzen einer IVT bei ischämischen Schlaganfällen bis zu 4,5 Stunden nach Symptombeginn nachgewiesen, obwohl bestimmte Patienten von dieser Studie ausgeschlossen waren und der tPA in den USA keine FDA-Zulassung für die Verwendung zu einem solch späten Zeitpunkt erhalten hat [3]. Es gibt neuere invasive, auf Stents basierende Techniken für die Behandlung von Schlaganfällen und Dissektionen, die jedoch nur in sehr wenigen Zentren verfügbar sind.

Wenn ein Patient mit einem nichthämorrhagischen Schlaganfall außerhalb des Zeitfensters für eine IVT gesehen wird, kann Acetylsalicylsäure verabreicht werden. In vorliegenden Fall handelte es sich um eine Dissektion der A. vertebralis, sodass eine Antikoagulation mit Heparin und später Warfarin angezeigt war.

Wieso beim Wallenberg-Syndrom häufig ein hartnäckiger Schluckauf gesehen wird, ist unklar. Gelegentlich ist dagegen Gabapentin oder Chlorpromazin wirksam. Patienten können aufgrund eines anhaltenden Nystagmus unter Sehstörungen leiden, was sich ebenfalls unter Gabapentin oder Memantin bessert [4].

Kommentar

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