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Klimawandel: „Versprechungen sind nicht genug“ – Forscher appellieren über Fachzeitschriften an die Politik

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

15. September 2021

Die Zeit drängt: Mit deutlichen Worten fordern Mediziner und Wissenschaftler in einem Leitartikel Politiker dazu auf, die Klimakrise ernst zu nehmen, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen, die öffentliche Gesundheit zu schützen und endlich angemessen darauf zu reagieren [1].

Der Appell, der jetzt in über 220 medizinischen Fachzeitschriften und Gesundheitsfachzeitschriften veröffentlicht worden ist, erscheint wenige Wochen vor der UN-Biodiversitäts-Konferenz in Kumning, China, einer der letzten internationalen Tagungen vor Beginn der Weltklimakonferenz (COP26) in Glasgow im November. „Im Vorfeld dieser entscheidenden Treffen rufen wir – die Herausgeber von medizinischen Fachzeitschriften weltweit – zu sofortigem Handeln auf, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur noch unter 1,5° C zu halten, die Zerstörung der Natur zu stoppen und die Gesundheit zu schützen”, schreiben die Autoren.

 
Im Vorfeld dieser entscheidenden Treffen rufen wir – die Herausgeber von medizinischen Fachzeitschriften weltweit – zu sofortigem Handeln auf (…) Aus dem Appell der Wissenschaftler
 

Der Leitartikel wurde zeitgleich u.a. in The Lancet, im British Medical Journal, im New England Journal of Medicine, im Pharmaceutical Journal und im International Journal of Nursing Studies publiziert. Mediziner und Wissenschaftler machen schon lange darauf aufmerksam, dass der globale Temperaturanstieg und die Zerstörung der Umwelt einen hohen gesundheitlichen Tribut fordern. So hatte etwa die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) Auswirkungen des Klimawandels in den Mittelpunkt ihres Jahreskongresses 2021 gerückt.

Kein Temperaturanstieg ist frei von Risiken

Die Gesundheitsrisiken eines Temperaturanstiegs über 1,5°C sind bekannt. Dennoch sei kein Anstieg der Temperatur „sicher”, betonen die Autoren um Lukoye Atwoli, den Herausgeber des East Africa Medical Journal. Eine Studie in The Lancet zeigt, dass in den vergangenen 20 Jahren die hitzebedingte Sterblichkeit bei Menschen über 65 Jahren um mehr als 50% zugenommen hat. 

Höhere Temperaturen haben zu vermehrter Dehydrierung, zum Verlust der Nierenfunktion, zur Zunahme dermatologischer Malignome und tropischer Infektionen, zu negativen Auswirkungen auf die Psyche, zu vermehrten Schwangerschaftskomplikationen, Allergien und erhöhter kardiovaskulärer und pulmonaler Morbidität und Sterblichkeit geführt.

Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, leiden am meisten

Die Folgen der Klimakrise zeigten sich unverhältnismäßig stark in den Ländern, die am wenigsten zum Problem beigetragen hätten und am wenigsten in der Lage seien, die Schäden zu lindern, schreiben die Autoren. Doch kein Land, egal wie reich es sei, könne sich vor diesen Auswirkungen schützen, stellen die Autoren klar.

 
Lässt man zu, dass die Folgen des Klimawandels unverhältnismäßig stark auf den Schwächsten lasten, dann führt das zu mehr Konflikten, zu Ernährungsunsicherheit, zu Zwangsumsiedlungen und zur Entstehung von Zoonosen (…). Aus dem Appell der Wissenschaftler
 

„Lässt man zu, dass die Folgen des Klimawandels unverhältnismäßig stark auf den Schwächsten lasten, dann führt das zu mehr Konflikten, zu Ernährungsunsicherheit, zu Zwangsumsiedlungen und zur Entstehung von Zoonosen – mit schwerwiegenden Folgen für alle Länder und Gemeinschaften“, warnen die Autoren. „Wie bei der COVID-19-Pandemie sind wir global gesehen nur so stark wie unser schwächstes Mitglied.“

Folgen für die Nahrungsmittelsicherheit

Atwoli und Kollegen erinnern auch daran, dass sich der Klimanotstand auf die Ernten weltweit und damit auf die Nahrungsmittelsicherheit auswirkt. Seit 1981 ist der globale Ertrag der wichtigsten Kulturpflanzen um 1,8 bis 5,6% gesunken. Dieser Rückgang zusammen mit den Auswirkungen der Wetterextreme und den durch Hitze und Trockenheit ausgelaugten Böden behindert die Bemühungen Unterernährung und Hunger zu verringern.

Funktionierende Ökosysteme sind die Grundlage für die menschliche Gesundheit. „Die weit verbreitete Naturzerstörung untergräbt die Wasser- und Ernährungssicherheit und erhöht die Gefahr von Pandemien“, mahnen die Autoren. Vor wenigen Tagen erst hatte der UN-Hilfsfonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) daran erinnert, dass der Schutz der biologischen Vielfalt entscheidend ist um den Hunger auf der Welt bekämpfen zu können.

Versprechungen reichen nicht aus

Die Autoren schreiben, es sei zwar ermutigend, dass viele Regierungen, Finanzinstitute, Institutionen und Unternehmen Ziele zum Erreichen von Netto-Null-Emissionen gesetzt hätten, darunter auch Ziele für 2030. Auch sänken die Kosten für erneuerbare Energien rapide, und viele Länder strebten den Schutz von mindestens 30% der weltweiten Landflächen und Ozeane bis 2030 an.

„Diese Versprechungen sind aber nicht genug“, heißt es im Artikel. Denn Ziele seien „leicht zu setzen und schwer zu erreichen“. Sie müssten deshalb mit glaubwürdigen kurz- und längerfristigen Plänen zur Beschleunigung sauberer Technologien und zur Umgestaltung der Gesellschaften einher gehen. Bislang würden die gesundheitlichen Folgen des Klimanotstands aber nicht hinreichend berücksichtigt.

Deshalb wachse die Besorgnis, dass ein Temperaturanstieg über 1,5° C allmählich als unvermeidlich oder von manchen sogar als akzeptabel betrachtet werde. Unzureichenden Maßnahmen aber führten dazu, dass der Temperaturanstieg wahrscheinlich weit über 2° C hinaus gehe – „ein katastrophales Ergebnis für die Gesundheit und Stabilität der Umwelt“.

Auf die COVID-19-Pandemie hätten viele Regierungen „mit noch nie dagewesenen Mitteln” reagiert. Die Klimakrise erfordere als Notfall ähnliche Reaktionen. „Es werden enorme Investitionen erforderlich sein, die weit über das hinausgehen, was derzeit investiert wird“, heißt es im Leitartikel. „Doch diese Investitionen werden einen großen positiven gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nutzen bringen.“ Dazu gehörten hochwertige Arbeitsplätze, geringere Luftverschmutzung, mehr Bewegung, bessere Wohnverhältnisse und eine bessere Ernährung.

Die Hauptverursacher sind in der Pflicht

Konkret müssten Industrienationen ihre Emissionen schneller senken, „und zwar bis 2030 über die derzeit vorgeschlagenen Reduktionen hinaus und bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen“, heißt es in dem Appell. Gerade Länder, die in unverhältnismäßigem Maße die Klimakrise verursacht haben, müssen mehr tun mehr tun, um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu unterstützen. Länder mit hohem Einkommen müssten jährlich 100 Milliarden Dollar bereitstellen und diese Beiträge über das Jahr 2025 hinaus erhöhen.

Die Autoren betonen, dass nur grundlegende und gerechte Veränderungen in der Gesellschaft die derzeitige Entwicklung umkehren könnten. „Jetzt kann und muss mehr getan werden – in Glasgow sowie in Kunming – und in den unmittelbar darauf folgenden Jahren.“

Kommentar

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