Soziale Isolation hat erhebliche negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit alter Menschen. Isolationsbedingte Schäden können schon bei relativ kurzer Einwirkung von Quarantäne oder Isolation unter Lockdown-Bedingungen auftreten.
Wie Digitalisierung in der Pandemie und bei großen Entfernungen zur Delir-Prävention eingesetzt werden kann, präsentierte Dr. Johannes Trabert auf dem Online-Kongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) [1]. Trabert, er ist Oberarzt in der Geriatrie des Agaplesion Markus Krankenhauses in Frankfurt, stellte Ergebnisse der FACE-Delirium-Studie (Family Centered Delirium Prevention and Treatment Pilot Studie), einer Machbarkeitsstudie ohne klinischen Endpunkt, vor.
Delir – eine häufige Komplikation im Krankenhaus
Zum Hintergrund: Das Delir ist eine akute Störung der zerebralen Funktion. Die Inzidenz ist abhängig vom Patientenkollektiv. Sie beträgt bei Intensivpatienten 30-80% und liegt bei chirurgischen Patienten je nach Eingriff zwischen 5,1% und 52,2%.
Eine Studie mit 283 Patienten zeigt, dass das Delir mit erhöhter Mortalität assoziiert ist, aber auch mit erhöhter Morbidität und mit häufigerer Entlassung ins Pflegeheim. Ältere Menschen sind besonders oft betroffen. Speziell das hypoaktive Delir tritt häufiger auf – mit schlechterem Outcome. Das Krankheitsbild wird häufiger übersehen.
Kontakt mit Angehörigen senkt das Delir-Risiko signifikant
„Die Therapie eines Delirs ist schwierig; Medikamente werden im Grunde nur zur Symptomkontrolle eingesetzt“, so Trabert. Wirksam sind hingegen nicht-medikamentöse Interventionen wie das Hospital Elderly Life Program (HELP) und die Einbeziehung von Angehörigen.
So zeigte eine Studie aus China eine hoch signifikante Risikoreduktion: In der Interventionsgruppe mit regelmäßigem Angehörigenbesuch lag das Risiko eines Delirs bei 2,6%, in der Kontrollgruppe ohne solche Kontakte hingegen bei 19,4% (p < 0,001).
„Allerdings waren die Angehörigen in dieser Studie praktisch rund um die Uhr vor Ort, auf Deutschland und andere westliche Länder ist das so nicht übertragbar“, sagt Trabert. Nicht nur, dass es vor Beginn der Impfkampagne Besuchsverbote in Kliniken und Pflegeheimen gab, ein Problem ist auch die Bevölkerungsstruktur in westlichen Ländern. Denn Angehörige sind oft weit entfernt, berufstätig oder anderweitig gebunden.
Design der Studie
Die Idee der FACE-Delirium-Studie war, tägliche Kontakte zwischen Patienten und Familienmitgliedern zu ermöglichen, verbunden mit einer Angehörigenschulung zum Delir. „Dazu wurde Videotelefonie als Kompensator bei Besucherstopp und bei relevanter geographischer Distanz eingesetzt“, so Trabert.
Eingeschlossen wurden 38 Patienten ab einem Alter von 70 Jahren mit Multimorbidität, mit teilnehmenden Angehörigen und mit vorliegendem Einverständnis. Ausgeschlossen waren Patienten mit relevanten kognitiven Defiziten, mit relevanten Sehstörungen und mit relevanten Hörminderungen. Das mediane Alter der Patienten lag bei 83,16 Jahren, und 71% waren Frauen. Die mittlere Dauer des Klinikaufenthalts lag bei 20 Tagen. Der Barthel Index (BI) bei Aufnahme in die Klinik betrug 45. Mit dem BI werden die Alltagskompetenzen eines Patienten und darüber der Pflegebedarf erfasst.
Primärer Endpunkt der Studie war die Adhärenz zum Studienprotokoll (%). Als erfolgreiche Adhärenz definierten die Autoren: An 80% der stationären Behandlungstage fand ein Besuch vor Ort oder ein Videotelefonat statt.
Das Studienteam bestand aus 5 Ehrenamtlichen und Pflegeschülern. Für die Videotelefonate wurden Tablets eingesetzt. 31 von 38 Probanden nahmen erfolgreich an der Intervention teil (81,6%).
Effekte beim Barthel-Index sichtbar
Der Barthel-Index der Studienteilnehmer verbesserte sich deutlich von 45 bei der Aufnahme in eine Klinik auf 65 bei der Entlassung. Der mittlere Mini Mental State Test (MMSE) lag bei 23,9 versus 24,6 Punkten.
Im Mittel hatten die Patienten 1,6 Angehörige, und die mediane Distanz zum nächsten Familienmitglied lag bei 61,4 km. Die mediane Dauer der Videoanrufe lag bei 24,8 Minuten, und der längste Videoanruf dauerte 244 Minuten. Wie Trabert berichtete, nahmen auch eine Patientin mit Angehörigen in Österreich, eine chinesisch-sprachige Patientin und mehrere Patienten, die aufgrund von MRSA und nach COVID-19-Kontakt isoliert werden mussten, erfolgreich an der Studie teil.
„Videotelefonie ermöglicht es uns, Angehörige zur Prävention eines Delirs in die Behandlung miteinzubeziehen“, sagte der Experte. In Planung ist nun eine Studie zur Delir-Prävention mit klinischem Endpunkt.
Credits:
© Yurii Kibalnik
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Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Delir-Prävention durch Video-Call: So bessern Angehörige den Zustand geriatrischer Patienten – nicht nur in Corona-Zeiten - Medscape - 14. Sep 2021.
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