„Nach eingehender Beratung und Bewertung der vorhandenen Evidenz spricht sich die STIKO in einem neuen Beschlussentwurf jetzt für die COVID-19-Impfung von bisher nicht oder unvollständig geimpften Schwangeren ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel sowie von nicht oder unvollständig geimpften Stillenden mit 2 Dosen eines mRNA-Impfstoffs aus“, heißt es in einer Pressemeldung der Ständigen Impfkommission.
Gleichzeitig raten Experten allen Frauen im gebärfähigen Alter, sich vor einer geplanten Schwangerschaft impfen zu lassen. Zuvor hatte die STIKO nur Schwangeren mit Vorerkrankungen oder sonstigen Risikofaktoren geraten, sich impfen zu lassen.
Grundlage der Empfehlung war eine systematische Analyse der vorhandenen Daten. Momentan wird der Entwurf mit den Bundesländern und den beteiligten Fachgesellschaften abgestimmt; Änderungen sind also möglich. Danach wird die STIKO ihre Empfehlung einschließlich der Begründung im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichen. Über die neue Entscheidung sprachen Experten bei einem Press Briefing des Science Media Center Germany [1].
„Hintergrund der neuen Empfehlung ist die Tatsache, dass in den letzten Wochen noch eine Reihe von Erkenntnissen gewonnen worden sind, insbesondere zum Verlauf von COVID-19 in der Schwangerschaft und zur Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung in der Schwangerschaft und Stillzeit“, sagt Dr. Marianne Röbl-Mathieu. Die Gynäkologin ist Mitglied Sprecherin der STIKO-Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung in der Schwangerschaft“. „Jetzt hat die STIKO eine systematische Aufarbeitung der Evidenz durchgeführt und ist zu einer geänderten Nutzen-Risiko-Bewertung gekommen.“
Und Prof. Dr. Christian Bogdan, ebenfalls Mitglied der STIKO, ergänzt: „Wir haben aus vielerlei Gründen keine Impfung im 1. Trimenon vorgesehen.“ Fieber im 1. Trimenon – auch als Impfreaktion – sei ein möglicher Auslöser von Frühgeburten. „Außerdem haben wir zu dieser frühen Phase nicht ausreichend viele Daten.“ Deshalb sei es wichtig, dass sich Frauen rechtzeitig vor einer geplanten Schwangerschaft impfen ließen. Dann seien sie während er gesamten Dauer ihrer Schwangerschaft geschützt.
Schwangere – eine vulnerable Gruppe
Zum Hintergrund: Schon lange ist bekannt, dass sich während einer Schwangerschaft das Immunsystem verändert, um den Embryo zu tolerieren. Außerdem wissen Ärzte, dass werdende Mütter oft deutlich schwerer an Influenza, Herpes oder Hepatitis E erkranken. Doch Daten zu anderen Infektionen sind recht begrenzt.
Auch bei SARS-CoV-2 gelten Schwangere als vulnerable Gruppe. Eine Meta-Analyse von 42 Beobachtungsstudien hat beispielsweise gezeigt, dass Präeklampsien (Odds Ratio 1,33, 95%-KI 1,03-1,73), Frühgeburten oder Todgeburten (OR 1,82; 95%-KI 1,38-2,39 und OR 2,11; CI: 1,14-3,90) sowie Behandlungen auf der Intensivstation (OR 4,78; 95%-KI 2,03-11,25) häufiger sind als bei Frauen ohne Gravidität. „Die Schwangerschaft per se stellt einen unabhängigen Risikofaktor für einen schweren COCID-19-Verlauf dar“, fasst Röbl-Mathieu zusammen.
Weitere Risikofaktoren sind Vorerkrankungen, die bereits zu Beginn der Schwangerschaft vorhanden waren: Adipositas (RR 1,36; 95%-KI 1,23-1,51), chronische Lungenerkrankungen (RR 1,37; 95%-KI 1,18-1,59), chronische Hypertonie (RR 1,45; 95%-KI 1,20-1,76) und Diabetes (RR 1,66; 95%-KI 1,35-2,06).
Sicherheit und Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen
Bislang gibt es keine umfassenden Daten zum Einsatz der COVID-19-Vakzine bei Schwangeren. Mehrere Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Impfstoffe wirksam sind.
Eine kleine Studie fand ähnliche Titer von Antikörpern bei Schwangeren, Stillenden und Nicht-Schwangeren. Und laut einer weiteren Untersuchung entwickelten Schwangere nach einer mRNA-Impfung neutralisierende Antikörper sowie eine T-Zell-Antwort.
Aktuelle Daten aus Israel wiederum zeigen, dass der mRNA-Impfstoff BNT162b2 von BioNTech/Pfizer nach 2 Dosen eine Wirksamkeit von 96% gegen Infektionen (95% KI 89-100%), 97 % gegen symptomatische Infektionen (95% KI 91-100%) und 89% gegen Hospitalisierungen (95% KI 43-100%) aufweist.
Hinweise auf mehr Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt gibt es derzeit nicht. Hinzu kommt, dass die STIKO den Einsatz anderer Totimpfstoffe bei Schwangeren nicht ausschließt. Empfehlungen gibt es etwa bei Influenza oder Pertussis. Nur Lebendimpfstoffe seien „aus theoretischen Überlegungen grundsätzlich kontraindiziert“, schreibt das Gremium.
Auch das Neugeborene scheint von COVID-19-Impfungen der Mutter zu profitieren. Wissenschaftler fanden neutralisierende Antikörper in Nabelschnurblut und Muttermilch geimpfter Mütter.
Ein besserer Zugang zu Impfstoffen
„Die Sicherheitsdaten haben kein Signal für unerwünschte Effekte gezeigt, obwohl man sagen muss, dass die Datenlage nach wie vor begrenzt ist“, berichtet Röbl-Mathieu. Deshalb sei eine Aufklärung durch den Arzt – wie zuvor – sehr wichtig. Doch die individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung sei zuvor eher schwierig gewesen. „Schwangere Frauen hatten zuvor de facto einen erschwerten Zugang zur Impfung.“
Das bestätigt auch Prof. Dr. Mario Rüdiger, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM). Zusammen mit anderen Fachgesellschaften hatte die DGPM bereits im Mai 2021 eine Empfehlung zur COVID-19-Impfung bei Schwangeren veröffentlicht. „Das Interesse bei Frauen war groß, es gab aber auch viel Verunsicherung“, sagt Rüdiger.
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: STIKO gibt grünes Licht für Corona-Impfung für Schwangere, nicht nur bei erhöhtem Risiko – Studienlage und erste Kommentare - Medscape - 10. Sep 2021.
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