Die geplante Rahmenvereinbarung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) geht vor das Schiedsgericht.
In den bisher erfolglosen Verhandlungen zwischen dem GKV Spitzenverband (GKV SV) und den Leistungserbringern ging es auch um die Frage, ob Hausärzte zukünftig noch an der SAPV teilnehmen können oder ob sie aus dieser Versorgungsform womöglich herausgedrängt werden. Wie werden zukünftig die SAPV Teams zusammengesetzt sein dürfen? Welche Teams werden zukünftig das Recht erhalten, dass mit ihnen über die SAPV verhandelt und die Leistung schließlich auch bezahlt wird?
Seit 2016 fällige Reglung
Bereits seit 2019 verhandelt der GKV SV mit den Spitzenorganisationen der Hospiz- und Palliativarbeit ergebnislos um eine Rahmenvereinbarung SAPV, die diese Fragen klären sollte. Aber man konnte sich nicht einigen. Inzwischen sucht das Bundesamt für soziale Sicherung eine Schiedsperson, weil den Streithähnen nicht einmal dies gelang.
Die Verhandlungen über eine Rahmenvereinbarung sind nötig geworden, weil das Oberlandesgericht Düsseldorf bereits 2016 geurteilt hat, die Verträge zur SAPV seien ausschreibungspflichtig. Aber bisher werden die Verträge keineswegs ausgeschrieben, sondern direkt zwischen den SAPV-Teams und die Kassen ausgehandelt.
Das Pflegepersonalstärkungsgesetz vom Januar 2019 legte deshalb fest, dass Kassen und Leistungserbringer bis Ende September 2019 einen einheitlichen Rahmenvertrag zur SAPV verhandeln sollten.
Der Vertrag sollte auch die landauf, landab sehr unterschiedlich gelebte SAPV-Versorgung bundesweit vereinheitlichen, wie Dr. Bernd Oliver Maier sagt, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Offenbar nutzen die Kassen die Verhandlungen, um die Vorgaben schärfer zu stellen, und das sorgt für Ärger.
Nach Angaben Maiers sind vor allem 2 Punkte umstritten: Die Zusammensetzung der Teams und die Zeitkontingente der teilnehmenden Ärzte.
Die SAPV – lockere Gruppe oder ein Team von Profis?
Je nach Träger sind die Teams bundesweit unterschiedlich zusammengesetzt. Das Gros der Teams wird medizinisch durch Hausärzte besetzt. Die DGP und auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befürworten erweiterte Teams, in denen auch Physiotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter Platz haben und nicht nur Ärzte und Pflegende.
„Die Kassen sind aber dagegen, weil sie eine Doppelfinanzierung etwa der Physiotherapie fürchten und ihre Leistungen nicht noch einmal in der SAPV-Richtlinie abgebildet haben wollen“, sagt Maier.
Natürlich könne auch ein Physiotherapeut bei Bedarf zum SAPV-Team hinzustoßen und seinen Leistungen ganz normal abrechnen. Aber dass widerlaufe dem Teamverständnis in der SAPV, meint Maier. Man sei als SAPV-Team keine lockere Gruppe, die sich am Bett des Sterbenden trifft, sondern ein Team von Experten, die „interprofessionell und im Team verankert seine sterbenden Patienten versorgen“. Teams, die nur aus Ärzten und Pflegenden bestehen dürfen, sieht Maier kritisch. „Wir glauben aber nicht, dass jedes SAPV-Team pauschal weitere Berufsgruppen umfassen muss. Doch die Rahmenvereinbarung muss die Interprofessionalität möglich machen. SAPV ist oft mehr als pflegerische und ärztliche Versorgung.“
Ebenfalls umstritten: Die Zeitkontingente, die die Ärzte zur Verfügung stellen müssen, um im SAPV-Team mitmachen zu dürfen.
Forderungen der Kassen willkürlich?
Laut Textentwurf müssen 50% des Teams über den Träger angestellt sein. So referiert es jedenfalls die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in einem Positionspapier. Aus der ärztlichen und pflegerischen Berufsgruppe des Kernteams müsse je eine Person, die neben der Versorgung auch die fachliche Leitung innehat, zu mindestens 75% Vollzeitäquivalente beim SAPV-Team angestellt sein. Die DEGAM hält diese Forderungen für „willkürlich“. Sie entbehrten jeglicher Grundlage, so die DEGAM in ihrer Stellungnahme.
Mit ihrer Kritik dürfte die DEGAM auch die Hausärzte schützen wollen, die oft den ärztlichen Part in der SAPV besorgen. Denn sie könnten kaum ihre Praxen weiter führen, wenn sie mit der Hälfte ihrer Arbeitszeit bei SAPV-Träger angestellt wären. Allgemeinmediziner dürften indessen ihre hausärztlichen Aufgaben nicht zurückstellen und Versorgungslücken riskieren wollen, um bei der SAPV mitzumachen.
Die DEGAM fürchtet deshalb: Ausgerechnet die Expertise des Hausarztes, der die Sterbenden seit Jahren und am besten kennt, könnte im SAPV-Team verloren gehen.
Maier von der DGP dagegen verteidigt die Professionalisierung der palliativen Versorgung. „Wenn zu viele zeitlich limitierte Leute mitarbeiten, dann treibt das solche Blüten, dass der ärztliche Dienst im Team 28 Köpfe hat, von denen jeder 2 Stunden im Team arbeitet.“ Das sei dann keine SAPV mehr, sondern pharmakologische Symptomminderung. Die Hausärzte könnten im Übrigen ihre Expertise auch dann einbringen, wenn sie nicht Teil des SAPV-Teams sind, meint Maier.
Das sieht auch Prof. Dr. Nils Schneider so, Direktor des Instituts für Allgemein- und Palliativmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „Viele SAPV-Teams haben sich weit von der hausärztlichen Versorgung entfernt und haben Parallelstrukturen aufgebaut“, sagt Schneider.
Die Hausärzte seien aber dringend nötig in der SAPV, wenn auch nicht unbedingt als Teil des SAPV-Teams, sondern in der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV). „So brauchen wir die Hausärzte zum Beispiel auch für die Versorgung der Angehörigen“, so Schneider.
Das Wesentliche der Betreuung Sterbender könne ein Vertrag ohnedies nie regeln, meint der Hannoveraner Professor. „Denn das Wesentliche ist die Kommunikation unter allen an der Versorgung Beteiligten.“
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Diesen Artikel so zitieren: Heillos zerstritten: Verhandlungen um spezialisierte ambulante Palliativversorgung vors Schiedsgericht. Und die Hausärzte? - Medscape - 7. Sep 2021.
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