Individuelles Risiko als Eckpfeiler: ESC-Leitlinien zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen aktualisiert

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

3. September 2021

Neue Möglichkeiten zur Risikovorhersage, zur Beurteilung des Nutzens einer Therapie sowie neue therapeutische Möglichkeiten erforderten eine Aktualisierung der Leitlinien zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.

Prof. Dr. Frank Visseren, Universitätsklinikum Utrecht, Niederlande, und Prof. Dr. François Mach, Universitätsspital Genf, Schweiz, haben beim ESC-Kongress die neuen ESC-Leitlinien 2021 zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der klinischen Praxis vorgestellt [1]. Sie sind im European Heart Journal veröffentlicht worden [2].

Die zahlreichen Neuerungen der Leitlinien im Vergleich zur 2016 veröffentlichten sind in der Publikation in einer 4-seitigen Tabelle zusammengestellt. Die Empfehlungen gelten für gesunde Erwachsene jeden Alters sowie für Patienten mit etablierter Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Diabetes mellitus.

Zentral: Beurteilung des kardiovaskulären Risikos

Von zentraler Bedeutung für die präventiven Maßnahmen ist die Einschätzung des kardiovaskulären Risikos, die als Eckpfeiler der Leitlinien gilt: „Die Identifizierung von Patienten, die am stärksten von einer Behandlung der Risikofaktoren profitieren, ist von zentraler Bedeutung für die Prävention atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Erkrankungen. Im Allgemeinen gilt: Je höher das absolute kardiovaskuläre Risiko, desto höher der absolute Nutzen der Behandlung von Risikofaktoren und desto geringer ist die Anzahl der erforderlichen Behandlungen, um ein kardiovaskuläres Ereignis während eines bestimmten Zeitraums zu verhindern“, heißt es in den Leitlinien.

 
Die Identifizierung von Patienten, die am stärksten von einer Behandlung der Risikofaktoren profitieren, ist von zentraler Bedeutung für die Prävention atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Erkrankungen. Leitlinien
 

Die wichtigsten Risikofaktoren sind hohe LDL-Cholesterin-Werte, hoher Blutdruck, Zigarettenrauchen, Diabetes mellitus und Adipositas. Die Leitlinie definiert Zielwerte für die verschiedenen Risikofaktoren.

Um diese Ziele zu erreichen, wird ein neuer Ansatz zur schrittweisen Intensivierung der präventiven Behandlung verfolgt, bei dem z.B. potenzieller Nutzen, psychosoziale Faktoren, Komorbiditäten und Patientenpräferenzen berücksichtigt werden.

Bei gesunden Menschen beginnt das schrittweise Vorgehen beispielsweise mit Empfehlungen wie Raucherentwöhnung, gesunde Lebensweise und Einhaltung eines systolischen Blutdrucks unter 160 mmHg. Die Empfehlungen werden dann auf das errechnete 10-Jahres-Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung individualisiert.

 
Individualisierte Entscheidungen durch Risikoabschätzung und einen schrittweisen Therapieansatz sind komplexer als ein One-Size-Fits-All-Ansatz … Prof. Dr. Frank Visseren
 

„Individualisierte Entscheidungen durch Risikoabschätzung und einen schrittweisen Therapieansatz sind komplexer als ein One-Size-Fits-All-Ansatz, spiegeln aber die Vielfalt der Patienten und Patientenmerkmale im klinischen Alltag wider und sind unerlässlich, um dem richtigen Patienten die richtige Behandlung zukommen zu lassen“, so Visseren in einer Pressemitteilung der ESC.

Weitere Neuerungen

Nachfolgend Beispiele weiterer Neuerungen in den aktualisierten Leitlinien.

Rauchentwöhnung: Erstmals legen die Leitlinien fest, dass eine Raucherentwöhnung unabhängig von einer Gewichtszunahme empfohlen wird, weil die Gewichtszunahme die Vorteile der Raucherentwöhnung nicht mindert.

Körperliche Aktivität: Erwachsene jeden Alters sollen sich mindestens 150 bis 300 Minuten pro Woche mäßig intensiv oder 75 bis 150 Minuten pro Woche intensiv körperlich bewegen oder eine gleichwertige Kombination anstreben. Neu ist die Empfehlung, die Zeit im Sitzen zu reduzieren und in den ganzen Tag zumindest leichte Aktivitäten einzubauen.

Ernährung: Die Leitlinien empfehlen jetzt eine mediterrane oder ähnliche Ernährung und eine Beschränkung des Alkoholkonsums auf maximal 100 g pro Woche (ein Standardgetränk enthält 8 bis 14 g). Sie raten dazu, mindestens einmal pro Woche vorzugsweise fetten Fisch zu essen und den Konsum von Fleisch, insbesondere von verarbeitetem Fleisch, einzuschränken.

Bariatrische Operation: Erstmals empfehlen die Leitlinien, dass bei adipösen Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine bariatrische Operation in Betracht gezogen werden sollte, wenn eine entsprechende Ernährung und körperliche Bewegung nicht zu einer anhaltenden Gewichtsabnahme führen.

Psychische Störungen: Mittlerweile ist anerkannt, dass Patienten mit psychischen Störungen verstärkte Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen, um Änderungen des Lebensstils und der medikamentösen Behandlung einhalten zu können.

Darüber hinaus legen die Leitlinien fest, dass für Patienten mit kardiovaskulär bedingten Erkrankungen und Stress ein psychotherapeutisches Stressmanagement in Betracht gezogen werden sollten, um Stresssymptome zu reduzieren.

Risikokommunikation: Ein neuer Abschnitt in den Leitlinien widmet sich der Risikokommunikation im Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Ziel ist, dass der Einzelne sein Risiko, die erwartete Risikominderung durch präventive Maßnahmen, die Vor- und Nachteile von Interventionen und seine eigenen Prioritäten versteht.

Umwelt: Die Leitlinien befassen sich in einem neuen Abschnitt mit Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung, zur Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und zur Begrenzung der CO2-Emissionen.

 

Kommentar

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