An der Bürgerversicherung scheiden sich die Geister: Welche Gesundheitspolitik die Parteien den Wählern anbieten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. September 2021

Überschneidungen bei der Krankenhauspolitik, klare Gegensätze bei der Ausgestaltung der Krankenversicherung und ein Potpourri an Vorschlägen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Medscape hat sich die Wahlprogramme der 6 derzeitigen Bundestagsparteien angesehen und anhand von 5 zentralen Themen nach ihren Perspektiven für die Gesundheitsversorgung von morgen gesucht [1,2,3,4,5,6]. Nicht alle Wahlprogramme geben explizit Auskunft zu allen 5 Themen.

Thema 1: Arzneimittel

CDU/CSU: Souveränität bei der Medikamentenproduktion und einen freien Handel mit Arzneimitteln ohne Abhängigkeiten kündigt die CDU/ CSU in ihrem Wahlprogramm an. Schutzkleidung, medizinische Geräte und wichtige Arzneimittel sollen in mindestens einer Variante in Europa hergestellt werden. Die CDU/CSU will versuchen, die Hersteller zu verpflichten, bei besonders wichtigen Arzneimitteln in der EU hergestellte Wirkstoffe zu verwenden. Außerdem will sie dafür sorgen, dass „versorgungsrelevante Arzneimittel in ausreichender Menge in der EU zur Verfügung stehen“. Zudem sollen einheitlich Vorgaben her, die etwa die Zulassung neuer Medikamente beschleunigen.

SPD: Die Corona-Krise habe gezeigt, wohin die Abwanderung der Arzneimittelproduktion aus Deutschland führen kann, so die SPD. Die Partei will, dass Deutschland wieder mehr selbst forscht und herstellt. Innovative Medikamente, die in Deutschland erschwinglich sind, sollen in anderen Ländern nicht überteuert angeboten werden dürfen. Um allen Patienten die passsenden Medikamente zur Verfügung zu stellen, „brauchen wir einen Sicherstellungsauftrag auch bei Medikamenten“, so das SPD Wahlprogramm. Besonders wollen die Sozialdemokraten die personalisierte Medizin fördern.

Grüne: Auch die Grünen betonen, in Hinblick auf die Erfahrungen in der Corona-Krise die europäischen Produktionsstandorte für Wirkstoffe und Schutzausrüstung stärken zu wollen.

FDP: Auch die Freien Demokraten wollen die Arzneimittelproduktion nach Deutschland oder in die EU zurückholen. Bei der finanziellen der Arzneimittelherstellung in Deutschland sollen die bürokratischen Hürden abgebaut werden. 

Linke: Die Linke will die Medikamentenpreise begrenzen.

AfD: Die AfD will unter anderem die Rabattverträge zwischen Herstellen und Krankenkassen abschaffen, damit die einseitige Abhängigkeit vom Ausland beendet wird. Die Hersteller sollen die Menge an rezeptpflichtigen Arzneimitteln, die im Laufe von 2 Monaten in Deutschland verschrieben werden, vorrätig halten.

Thema 2: Digitalisierung

CDU/CSU: Die Schwesterparteien wollen die digitale Gesundheitsversorgung um die Schritte der „digitalen Versorgung 2025“ und der „digitalen Versorgung 2030“ zur ressortübergreifenden eHealth-Roadmap erweitern. 500 Millionen Euro sollen in die Robotik etwa in der Pflege fließen. Bei der künstlichen Intelligenz fordert die CDU/CSU zugleich eine stärkere Nutzung und minimierte Risiken.

SPD: Die Digitalisierung sei zwar wesentlich, dürfe das medizinische Personal aber nicht ersetzen, so die SPD. Die SPD will darum mehr in „flächendeckende Weiterbildungs- und Unterstützungsangebote“ für die Anwender investieren. Zudem wollen die Sozialdemokraten verhindern, dass die großen Plattformen wie Google oder facebook, die Gesundheitswirtschaft dominieren.

Grüne: Nach Ansicht der Grünen fehlt der Digitalisierung im Gesundheitswesen völlig eine Strategie. Es gebe kein Leitbild und keine klaren Verantwortlichkeiten bei der Digitalisierung. Dieser Mangel solle behoben werden.

FDP: Deutschland liege im Digital-Health-Index auf Platz 16, dem vorletzten Platz in der EU, beklagt die FDP. Der Index gibt die Entwicklungsstufe der Digital Health an. Die Partei will unter anderem Interoperabilität steigern, damit zum Beispiel verschiedene Softwares besser zusammenarbeiten können. Außerdem soll die Datensicherheit voran gebracht werden.

AfD: Die AfD ist gegen eine zentrale Datenbank für medizinische Behandlungsdaten. Notfalldatensatz oder die Patientenverfügung sollen nur auf der Gesundheitskarte gespeichert werden.

Thema 3: Finanzierung

CDU/CSU: Die Konservativen wollen das Zusammenspiel von privater und gesetzlicher Krankenversicherung erhalten. „Eine Einheitsversicherung und Schritte dahin lehnen wir ab“, heißt es im Wahlprogramm.

SPD: „Wir werden eine Bürgerversicherung einführen“, schreibt dagegen die SPD in ihr Wahlprogramm. So will die Partei eine stabile und solidarische Finanzierung einer für alle hochwertigen Gesundheitsversorgung sicherstellen.

Grüne: Auch die Grünen können sich eine stabile Finanzierung des Gesundheitssystems nur über eine Bürgerversicherung als „gerechte und solidarische Finanzierung“ vorstellen. Ein erster Schritt soll sein: Gesetzlich versicherte Beamte sollen nicht mehr benachteiligt werden.

FDP: Die Freien Demokraten wollen die duale Finanzierung des Gesundheitssystems beibehalten. Man wolle den Versicherten die Wahl lassen, heißt es. Nur so würden die Patienteninteressen in den Mittelpunkt gestellt.

Linke: Die Linken kündigen an, die Privatisierungen in der Gesundheitsversorgung zurückzuschrauben und Gesundheit als Teil des Sozialstaates öffentlich zu organisieren. Die Krankenversicherung soll zu einer einheitlichen solidarischen Gesundheitsversicherung mit paritätischer Finanzierung der Beiträge werden.

AfD: Die AfD will die GKV und die Pflegeversicherung zusammenlegen, um Schnittstellenprobleme bei multimorbiden und zugleich pflegebedürftigen Patienten zu vermeiden. 

Thema 4: Krankenhäuser

CDU/CSU: Die CDU/CSU setzt auf die Bündelung stationärer Angebote bei besonders komplexen Behandlungen. Bei der Krankenhausfinanzierung und -planung sollen die Versorgungsziele stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.

SPD: Die SPD setzt neben der stationären Versorgung auf integrierte medizinische Versorgungszentren, die auch „angemessen“ finanziert werden sollen. Das DRG-System soll überarbeitet oder wo nötig abgeschafft werden. Denn z.B. „den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen werden Fallpauschalen nicht gerecht“. Der Markt solle nicht den Privaten überlassen werden, sondern die öffentlichen Krankenhäuser sollten weiter eine zentrale Rolle spielen.

Grüne: Die Grünen wollen die Kliniken künftig nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag bezahlen und nicht mehr nach Fallzahlen. Zudem soll der Bund mehr Verantwortung übernehmen und die Krankenhausversorgung einheitlich planen sowie mit Steuergeldern bei den Investitionen nachhelfen. Kliniken, die zu wenig ausgelastet sind, sollen zu Gesundheitszentren umgebaut werden.

FDP: Die FDP fordert, die stationären Leistungen mehr nach Qualität zu bezahlen. Besonders hochspezialisierte kleinere Kliniken und Maximalversorger sollen bei den Investitionen mehr berücksichtigt werden.

Linke: Die Linke bleibt in ihrem Wahlprogramm bei der Krankenhauspolitik undeutlich. Sie strebt nach einer „bedarfsgerechten Finanzierung der Krankenhäuser“.

AfD: Die AfD fordert unter anderem, den Anteil privater Träger von Krankenhäusern auf maximal 60% zu begrenzen, um die Trägervielfalt zu erhalten. Statt weiter auf die Fallpauschalen zu setzen, will die AfD Individualbudgets für Krankenhäuser einführen, in die unter anderem der Bedarf und die Leistungen des einzelnen Häuser einfließen.

Thema 5: Überwindung der Sektorengrenzen

CDU/CSU: Die CDU/CSU verspricht die stärkere Vernetzung der einzelnen Akteure im Gesundheitswesen. Dies soll unter anderem durch das virtuelle Krankenhaus geschehen. Es soll medizinisches Spezialwissen überall verfügbar machen.

SPD: Die SPD will die Rollen zwischen ambulantem und stationärem Sektor neu verteilen und die Krankenhäuser stärker „für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der Versorgung“ öffnen.  

Grüne: Die Grünen setzen auf die regionalen Versorgungsverbünde, um die Sektorengrenze zu überspringen. In ländlichen Gebieten und Lebensorten von sozial Benachteiligten sollen Gesundheits- und Pflegezentren entstehen, in denen die verschiedenen Gesundheitsberufe zusammenarbeiten.

FDP: Auch die FDP setzt sich dafür ein, die „künstliche Sektorengrenze“ abzubauen und ambulante und stationäre Versorgung stärker zu verzahnen. „Integrierte Gesundheitszentren sollen dabei unterstützen, die regionale Grundversorgung mit ambulanten und kurzstationären Behandlungen zu sichern“, so das FDP-Wahlprogramm.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....