Ein Zusammenhang zwischen der Influenza-Erkrankung und kardiovaskulären Ereignissen wurde schon länger vermutet – unter anderem, weil im Verlauf von Grippe-Epidemien mehr kardiovaskuläre Todesfälle auftreten als in Vergleichszeiträumen ohne erhöhte Influenza-Aktivität. Eine Gruppe skandinavischer Forscher hat sich nun der Frage angenommen, ob man hier vorbeugen kann, indem man besonders vulnerable Herzpatienten – im Zustand direkt nach einem Infarkt – gezielt und zügig gegen Grippe impft.
Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Ole Frøbert von der Universität in Ørebro, Schweden, initiierten die multizentrische, doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte IAMI-Studie (Influenza vaccination After Myocardial Infarction study), welche von mehreren Stiftungen sowie von Sanofi Pasteur unabhängig unterstützt wurde. Die Forscher kamen zu einem klaren Ergebnis: Ja, eine Influenza-Impfung noch im Krankenhaus kann das Outcome der Patienten signifikant verbessern.
IAMI-Studie: Erfolgreicher Abschluss trotz Pandemie
Frøbert als Principal Investigator der in Circulation erschienenen Studie präsentierte die Details in einer Hotline-Session und einer vorgeschalteten Pressekonferenz beim virtuellen ESC-Kongress 2021 [1,2]. „Wir haben Patienten auf beiden Hemisphären eingeschlossen“, betonte er. Die Beobachtungszeit umfasste 4 Influenza-Saisons (Nordhalbkugel: September bis Februar; Südhalbkugel: Mai bis September) im Gesamtzeitraum von Oktober 2016 bis April 2020. Dann wurde die IAMI-Studie wegen der COVID-19-Pandemie vorzeitig beendet, so dass statt der geplanten 4.400 letztlich nur 2.571 Personen rekrutiert werden konnten.
Die Teilnehmer kamen aus 30 Krankenhäusern in Europa (überwiegend Skandinavien), Australien und Bangladesh. Sie hatten gerade einen ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) oder Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (NSTEMI) überstanden; 8 Patienten hatten „nur“ eine stabile koronare Herzerkrankung (KHK) mit weiteren Risikofaktoren. Zu den Einschlusskriterien gehörte das Fehlen einer Influenza-Impfung in den letzten 12 Monaten; es durfte auch für die nächste Zeit keine solche Impfung geplant sein.
Die Patienten erhielten in den ersten 72 Stunden nach Koronarintervention (in Bangladesh: bis 72 Stunden nach Hospitalisierung) randomisiert entweder eine Influenza-Impfung oder eine Placebo-Injektion.
Primärer Endpunkt um 28% reduziert
Der kombinierte Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt und Stentthrombose wurde nach 12 Monaten ausgewertet. Er konnte laut Frøbert in der Gruppe mit aktiver Influenza-Impfung signifikant reduziert werden: „Der primäre Endpunkt trat bei 91 Patienten in der Placebogruppe und bei 67 Patienten in der Vakzingruppe auf. Dies schlug sich in einer 28%igen Risikoreduktion nieder; der p-Wert betrug 0,04.“
Die sekundären Endpunkte „Gesamtsterblichkeit“ und „kardiovaskuläre Sterblichkeit“ waren in der Vakzingruppe ebenfalls signifikant reduziert – jeweils um relative 41%.
Keinen signifikanten Unterschied fand man in der Häufigkeit erneuter Myokardinfarkte. Das brachte in der Diskussionsrunde die Frage auf, welcher Mechanismus denn für die Besserung des primären Endpunkts und für die Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit bei den Geimpften verantwortlich ist. Die Antwort ist derzeit noch offen. Es könnte die Hemmung von Entzündungs- und vielleicht auch Gerinnungsvorgängen eine Rolle spielen.
Reduzierte statistische Power
Prof. Dr. Barbara Casadei, Oxford, Großbritannien, die derzeitige ESC-Präsidentin, kommentierte die Studie und unterstrich ihre hohe Bedeutung: „Eine komorbide Influenza kann kardiovaskuläre Komplikationen fördern, und umgekehrt kann eine zugrunde liegende kardiovaskuläre Erkrankung die respiratorischen Komplikationen der Influenza verstärken“, betonte sie. Dies gelte umso mehr für Patienten, die gerade ein kardiovaskuläres Ereignis erlebt haben. Eine Influenza-Impfung könne das Risiko der Grippeerkrankung um etwa 40% bis 60% reduzieren.
Die Daten bestätigten den Nutzen der Influenza-Impfung bei diesen vulnerablen Patienten: „Wir haben die sehr schönen Studienergebnisse gesehen; die Kurven trennen sich schon sehr früh – mit einem klaren Vorteil für die Impfung und einem p-Wert von 0,04“, konstatierte Casadei.
Sie schränkte allerdings ein: „Wir müssen diese Ergebnisse aber noch mit Vorsicht interpretieren, da wir wegen des vorzeitigen Stopps der Studie eine reduzierte statistische Power haben.“
Influenza-Impfung künftig Teil der Herzinfarkt-Routine?
Frøbert ist hier optimistischer: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Influenza-Impfung Leben rettet und dass sie als Teil der In-Hospital-Therapie nach Myokardinfarkt erwogen werden sollte“, formuliert er die Key-Message der Studie.
Aber nicht nur Infarktpatienten, sondern alle Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen sollte der Kardiologe auf die Impfung ansprechen: „Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten ihre jährlichen Grippeimpfungen erhalten. […] Dies kann kardiovaskuläre Todesfälle verhindern“, so Frøbert.
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Diesen Artikel so zitieren: Nach dem akuten Herzinfarkt direkt in der Klinik die Influenza-Impfung? IAMI-Studie spricht eindeutig dafür - Medscape - 31. Aug 2021.
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