In einer longitudinalen Multikohorten-Studie zeigt sich eine negative Assoziation von Demenz und kognitiver Stimulation im Beruf [1]. Darüber hinaus fanden Prof. Dr. Mika Kivimäki, Epidemiologe an der Universität Helsinki, und Kollegen bei geistig überdurchschnittlich Geforderten auch geringere Plasmalevel von mindestens 3 Proteinen, die mit neurodegenerativen Prozessen verbunden sind. Waren deren Spiegel hingegen erhöht, kam es vermehrt zu Demenz.
„Die Studie ist gut gemacht und aufgrund ihrer hohen Fallzahl von großer Aussagekraft“, urteilt Prof. Dr. Richard Dodel. Er ist Professor für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Ihre Ergebnisse bestätigen unsere Erfahrungen in der Praxis und entsprechen somit den Erwartungen derer, die Demenzen behandeln.“
Insgesamt 1.143 Demenzfälle ausgewertet
Die Veröffentlichung umfasst 1,8 Millionen Personenjahre aus insgesamt 8 Studien mit Beobachtungszeiträumen zwischen 12 und 32 Jahren. Dabei wurden 1.143 Fälle von Demenz im Alter dokumentiert. Das Demenzrisiko war geringer für Teilnehmer mit vergleichsweise hoher Anforderung gegenüber solchen mit niedrigerer kognitiver Stimulation im Job (4,8 versus 7,3 Fälle pro 10.000 Personenjahre). Der Unterschied für die Entwicklung einer Demenz erwies sich in den ersten 10 Jahren nach Ende der Berufstätigkeit als höher (Hazard Ratio 0,60) als in der Zeit danach (HR 0,79).
Dieses verringerte Risiko errechnete sich mit Adjustierung nach Alter und Geschlecht auf -23% (HR 0,77) und auf -18% (HR 0,88) mit zusätzlicher Adjustierung hinsichtlich der Ausbildung, des Alkohol- und Nikotinkonsums, Bewegungsarmut, Stress, starkem Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen.
Längeres Follow-up gefordert
Die Beurteilung der kognitiven Stimulation durch Ausbildung und Beruf erfolgte anhand persönlicher Angaben der Befragten und einer objektivierten Beurteilung der ausgeübten Berufe. So erhielten etwa Lehrende einen höheren Wert der kognitiven Stimulation als einfache Arbeitnehmer, auch wenn sie sich selbst nicht höher bewertet hatten. Karriereentwicklungen wurden ebenfalls mit einbezogen.
„Leider waren die meisten der Befragten zu Beginn der Aufzeichnungen zu jung, um ein quantitativ abgeschlossenes Ergebnis zu erhalten“, kommentiert Dodel. „Dadurch erklärt sich meines Erachtens, dass nur bei etwa 1% der Betrachteten eine Demenz diagnostiziert wurde. Ein längeres Follow-up ist bei diesem Setting zwingend notwendig. Die Ergebnisse nach 10 weiteren Jahren können sehr interessant werden.“
Zusammenhang mit parallel gefundenen Plasmaproteinen ist umstritten
Gleichzeitig war eine hohe kognitive Stimulation im Beruf mit signifikant geringeren Plasmaspiegeln von Proteinen verbunden, welche bei der Regulation des Wachstums, aber auch des Abbaus von Axonen und Synapsen eine Rolle spielen.
Dazu gehören die Carbohydrat-Sulfotransferase 12 (CHSTC, -33%), die Peptidyl-Glycin alpha-amidating Monooxygenase (AMD, -32%) und das Slit Homologon 2 (SLIT2, -34%), ein Protein, dessen Homolog zunächst in Drosophila gefunden wurde. Waren diese 3 Proteine mit überdurchschnittlich hohen Spiegeln vorhanden, stieg die Wahrscheinlichkeit für eine Demenz (HR 1,27 für CHSTC, 1,04 für AMD und 1,16 für SLT 2).
Die Untersuchungen der Plasmaproteine erfolgten proteomweit bei 13.656 Personen, von denen 11.395 aus einer separaten stammten. In dieser weiteren Kohorte kam es zu 2.051 dokumentierten Fällen von Demenz. Unter etwa 5.000 untersuchten Plasmaproteinen waren die erwähnten 3 Moleküle bei Vorliegen einer dokumentierten Demenz signifikant erhöht.
„Bei den Betrachtungen der beteiligten Proteine bin ich skeptisch“, bemerkt Dodel. „Wir können noch nicht einmal das beta-Amyloid und Tau-Protein eindeutig bei unseren Patienten mit Demenz-Erkrankungen dokumentieren“, gibt er zu bedenken. „Ein solches Fischen in einem Meer von 5.000 Plasmaproteinen ohne zugrundeliegende Hypothese scheint mir wenig zielführend, auch wenn sich die hier gegebenen Interpretationen plausibel anhören.“
Große Studien – die Zukunft der Demenzforschung?
In einem parallel veröffentlichten Editorial unterstreicht Prof. Serhiy Dekhtyar, Neurobiologe am Karolinska Institut, Stockholm, die zukunftsweisende Bedeutung solcher umfassenden Studien [2].
Dem stimmt Dodel zu, schränkt aber ein: „Große Studien haben große statistische Kraft, gehen aber wenig ins Detail“, so seine Einschätzung. „Es ist bereits bekannt, dass eine additive Vielzahl von kleinen Schritten wie eine gute schulische Bildung, körperliche und soziale Aktivitäten sowie das Aufrechterhalten kognitiver Stimulationen, insbesondere der Hörfähigkeit und die adäquate Behandlung von Gefäßrisikofaktoren eine Demenz oft verzögern und verringern kann.“ Allerdings könnten diese noch nicht alle Demenz-entscheidenden Faktoren erklären.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Studie mit 100.000 Teilnehmern: Kognitive Stimulation in Schule und Beruf scheint Demenzen hinauszuzögern - Medscape - 30. Aug 2021.
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