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ESC-Kongress 2021: Hoffnung auf EMPEROR-Preserved bei Herzinsuffizienz, Screening auf Vorhofflimmern – was gibt es Neues? 

Dr. John Mandrola

Interessenkonflikte

26. August 2021

Dr. John Mandrola  ist Kardiologe mit Schwerpunkt Elektrophysiologie in Louisville, Kentucky, Autor und Podcaster für Medscape. Er beteiligt sich an der klinischen Forschung und schreibt über neue medizinische Erkenntnisse. Heute stellt Mandrola die Highlights des ESC-Kongresses 2021 vor. 

Das 2. Jahr in Folge wird die Tagung der European Society of Cardiology (ESC) online stattfinden. Hier sind einige der großen Studien, auf die ich mich freue: 

SGLT-2-Hemmer bei Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion

Im Mittelpunkt der diesjährigen virtuellen ESC-Tagung steht sicherlich die Präsentation der EMPORER-Preserved-Studie. Verglichen wurde der SGLT-2-Hemmer Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Eli Lilly) mit Placebo bei etwa 6.000 Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFpEF). Diese Studie könnte tatsächlich die größte und wichtigste in der Kardiologie des Jahres 2021 sein. 

Denn: Aus einer bereits veröffentlichten Pressemitteilung geht hervor, dass der primäre Endpunkt der Studie, nämlich Unterschiede beim kardiovaskulären Tod oder bei der Rate an Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz, erreicht worden ist. 

In der Pressemitteilung von Boehringer Ingelheim wird darauf verwiesen, dass Empagliflozin damit „die erste und einzige klinisch nachgewiesene Therapie“ wäre, „welche die Behandlungsergebnisse für das gesamte Spektrum der Herzinsuffizienz unabhängig von der Ejektionsfraktion verbessert“. 

„Technisch“ gesehen hat das Unternehmen Recht. Aber die Frage, die anhand der vorgelegten Daten beantwortet werden muss, ist, ob die Resultate neben der statistischen Signifikanz (die der Pressemitteilung entnommen werden kann) auch klinische Bedeutung haben.

Dabei hängt die klinische Bedeutung von einer kritischen Bewertung der Studie ab. Wie robust war die Verringerung der Ereignisraten? Wir sollten willkürliche Grenzen für den P-Wert immer vermeiden, aber ein P-Wert von 0,001 ist robuster als ein Wert von 0,04.

Wichtiger als der P-Wert ist jedoch die Effektgröße des Nutzens. Ich möchte die absolute Risikoreduktion betrachten und die Frage stellen, ob der primäre Endpunkt durch den kardiovaskulären Tod oder den weicheren Endpunkt der Herzinsuffizienz-Hospitalisierung beeinflusst wurde. 

Außerdem: Die Diagnose HFpEF umfasst eine große Bandbreite von Patienten, was die Wahrscheinlichkeit heterogener Behandlungseffekte erhöht. Subgruppen-Analysen könnten zeigen, ob es Patienten gibt, die vom Medikament stärker profitieren.

Die Ergebnisse können sich zwischen 2 Extremen bewegen: 

  • Empagliflozin hat nur einen geringen Nutzen: Dies dann, wenn die Wirksamkeit des Arzneimittels kaum statistische Signifikanz erreicht und der primäre Endpunkt durch eine bescheidene absolute Verringerung der Herzinsuffizienz-Krankenhauseinweisungen getrieben würde, nicht durch kardiovaskuläre Todesfälle, ohne einen Vorteil bei der Gesamtmortalität.  

  • Oder Empagliflozin hat tatsächlich einen großen Benefit: Dies wäre bei einem robusten statistischen Ergebnis der Fall, einer Verringerung der kardiovaskulären Todesfälle und der Krankenhauseinweisungen durch Herzinsuffizienz – bei einer insgesamt niedrigeren Gesamtmortalität. 

Was die interne Validität betrifft, so stelle ich mir auch die Frage, ob die Verblindung tatsächlich funktioniert hat. Der SGLT-2-Hemmer kann eine rasche Diurese verursachen, was Patienten möglicherweise erkennen: „Hey, ich nehme das Studienmedikament, vielleicht sollte ich mich mehr an Diät und Sport halten.“ Und Patientinnen, die die typische Nebenwirkung von Pilzinfektionen im Urogenitaltrakt entwickeln, werden ebenfalls vermuten, dass sie im Verum-Arm sind.

Insgesamt bin ich von dieser Medikamenten-Klasse der SGLT-2-Hemmer beeindruckt, aber ich mache mir auch Sorgen über die Kosten und die Qualität der medizinischen Versorgung. Es ist aufregend, ein „positives“ Ergebnis bei HFpEF zu haben, aber wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Enthusiasmus unsere kritische Beurteilung verzerrt.

In der gleichen Sitzung wird Dr. Milton Packer Ergebnisse der Studie „EMPEROR-Pooled: effect of empagliflozin on serious adverse renal outcomes in chronic heart failure – a prospective alpha-protected, Individual patient-level pooled analysis“ vorstellen. Gibt uns diese gepoolte Analyse, die auf die Hauptstudie folgen soll, irgendwelche weitere Hinweise? Das frage ich mich. 

Screening auf Vorhofflimmern

Weiter zu einem anderen Thema: dem Screening auf Vorhofflimmern. Bislang haben digitale Technologien (etwa auch neue Smart-Watches) hier zwar viele weitere Informationen geliefert, aber unser medizinisches Wissen nicht zwangsläufig erweitert. 

Wir können jetzt leicht asymptomatischen Vorhofflimmerns erkennen, das nur Minuten oder auch Stunden dauert. Aber was dann? Ich habe oft gehört: „Mein 70-jähriger Patient hat eine Stunde lang Vorhofflimmern; soll ich ein Antikoagulans verabreichen? Und für wie lange? Ein Leben lang? Wirklich, wegen einer Stunde mit Vorhofflimmern?“ 

Im Rahmen der LOOP-Studie wurden etwa 6.000 dänische Patienten im Alter über 70 Jahren mit einem Schlaganfall-Risikofaktor nach dem Zufallsprinzip einem Vorhofflimmer-Screening mit implantierbarem Herzmonitor oder der üblichen Behandlung zugewiesen. Die Randomisierung erfolgt im Verhältnis 3:1, wobei 4.500 Patienten in die Monitorgruppe und 1.500 in die Kontrollgruppe fielen.

Diese Studie begeistert mich, weil das primäre Ergebnis die Zeit bis zum 1. Schlaganfall oder bis zur systemischen Embolie ist. Dies ist ein Unterschied zu vielen früheren Studien, die durchweg zeigen, dass das Vorhofflimmern-Screening (gleich welcher Art) zu einer besseren Erkennung von Vorhofflimmern und einer häufigeren Verordnung von Antikoagulanzien führt. 

Das Ergebnis, das wir wissen wollen, ist der Nettonutzen der Behandlung von Episoden mit Vorhofflimmern. Der Einsatz von Antikoagulanzien bei kurzzeitigem Vorhofflimmern wird zwar als sinnvoll erachtet. Wir wissen jedoch nicht, ob dies mehr Nutzen (Verringerung von Schlaganfällen) als Schaden (Blutungen) bringt.

Der 1. Schritt zum Nachweis des Nettonutzens ist der Nachweis, dass die zusätzliche Antikoagulation durch das Vorhofflimmer-Screening Schlaganfall-Risiken signifikant verringert. 

Der aktive Arm des LOOP-Protokolls sieht eine Antikoagulation für jedes entdeckte Vorhofflimmern vor, das länger als 6 Minuten anhält. Das ist eine sehr niedrige Hürde. In der aktiven Gruppe werden viel mehr Patienten eine Antikoagulation erhalten.

Wenn LOOP eine Verringerung der Schlaganfälle zeigt, stellt sich die Frage, zu welchem Preis. Im Studienprotokoll sind schwere Blutungen als „sonstige Ergebnisse“ aufgeführt, aber ich sehe sie als einen der wichtigen Endpunkte an.

Die ACST-2-Studie enttäuscht

Und noch ein weiteres Screening-Thema: Obwohl die U.S. Preventive Services Task Force von einem Carotis-Screening abrät, werden kostengünstige Screening-Programme weiterhin durchgeführt. Die Allgegenwart von Ultraschallgeräten hat viele asymptomatische Personen in Patienten mit Gefäßerkrankungen verwandelt.

Die Frage, wie asymptomatische Erkrankungen der Halsschlagader zu behandeln sind, ist daher zu einer häufigen Frage für Kardiologen und Gefäßchirurgen geworden.

Die Carotis-Endarteriektomie ist seit langem der Standard, aber das Carotis-Stenting hat an Popularität gewonnen. In der 2008 begonnenen ACST-2-Studie wurden etwa 3.600 Patienten nach dem Zufallsprinzip einem Stenting oder einer Operation zugewiesen. Primäre Endpunkte sind sowohl die Sicherheit als auch die langfristige (5 bis 10 Jahre) Prävention von Schlaganfällen.

Warum mich eine so große Studie mit legitimen Endpunkten traurig macht? Weil es keinen medizinisch-pharmakologischen Behandlungsarm gab.

Die Carotis-Revaskularisation wurde bereits vor Jahrzehnten eingeführt, als es noch keine Statine oder nur schwach wirksame Medikamente gab. In einem Bericht aus dem Jahr 2015 über mehr als 3.600 Patienten mit asymptomatischer Carotiserkrankung wurde festgestellt, dass das Risiko eines Carotis-Verschlusses deutlich unter dem Risiko unerwünschter Ereignisse durch Carotis-Stents oder Endarteriektomien liegt – und mit intensiverer medizinischer Therapie deutlich gesunken ist. Nur 3 Patienten (0,9%) erlitten einen Schlaganfall auf der gleichen Seite der Läsion.

Eine neuere vergleichende Wirksamkeitsstudie mit mehr als 5.000 Patienten mit asymptomatischer Carotis-Erkrankung ergab, dass die absolute Verringerung des Risikos für tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle, die mit einer frühzeitigen Carotis-Endarteriektomie einherging, weniger als die Hälfte der Risikodifferenz in Studien von vor 20 Jahren betrug und nach Anpassung keine statistische Signifikanz mehr erreichte.

Das Phänomen der rückläufigen Ereignisraten in vielen kardiovaskulären Bereichen hat es schwieriger gemacht, einen inkrementellen Nutzen von verfahrenstechnischen Eingriffen nachzuweisen. Mit einem medizinisch-pharmakologischen Arm bei der Studie hätten wir viel lernen können.

Vorhofflimmern: Fibrosen als Zielstruktur zur Ablation

Neues auch zur Therapie beim Vorhofflimmern: Bei elektrophysiologischen Tagungen finden fast immer Gespräche über Techniken zur Ablation von persistierendem Vorhofflimmern statt. Wenn 3 Experten auf dem Podium sitzen, gibt es in der Regel 3 verschiedene Ansätze; bei 4 Experten gibt es 4 verschiedene Konzepte. Das will heißen: Niemand hat eine Ahnung, wie man persistierendes Vorhofflimmern am besten abladiert.

Der akademische Elektrophysiologe Dr. Nassir Marrouche vertritt die Theorie, dass Fibrosen des linken Vorhofs nicht nur ein wichtiger Prädiktor für Vorhofflimmern und Schlaganfall sind, sondern auch ein gutes Ziel für die Ablation darstellen. 

Auf dem ESC wird er Resultate der DECAAF-II-Studie vorstellen, bei der Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern nach dem Zufallsprinzip einer Standard-Pulmonalvenen-Isolation oder einer Pulmonalvenen-Isolation plus fibrose-gesteuerter Ablation zugewiesen wurden. Die Fibrose wird durch Gadolinium-Anreicherungen im MRT bei Studienbeginn nachgewiesen.

Dies ist ein wichtiges Forschungsgebiet, nicht nur, weil es zu einer besseren Ablation führen kann, sondern auch, weil es Hinweise auf die zugrundeliegenden Ursachen von Vorhofflimmern geben könnte, die noch unbekannt sind.

Marrouche ist einer der nettesten und herzlichsten Menschen in der Elektrophysiologie. Alle wollen, dass Nassir Erfolg hat, aber persistierendes Vorhofflimmern ist ein mächtiger Gegner. Und wenn DECAAF II positiv ausfällt, wird er uns allen zeigen müssen, wie man diese Art von MRT zum Fibrose-Nachweis durchführt.

Invasive Überwachung bei Herzinsuffizienz

Und noch was zur invasiven Überwachung bei Herzinsuffizienz: Als ich mit meinem Medizinstudium begonnen habe, verwendeten Experten Pulmonalarterien-Katheter, um Patienten auf der Intensivstation zu versorgen. Die Idee war, dass mehr Informationen über deren Einsatz sicherlich besser sind. Nun, Sie alle wissen, wie das ausgegangen ist. Die Verwendung des Swan-Ganz-Katheters hat in einer randomisierten Studie weder die Zahl Krankenhausaufenthalte mit Herzinsuffizienz verringert noch Herzinsuffizienzen verbessert.

Das Aufkommen einer besseren Methode zur Überwachung der Hämodynamik hat der Hoffnung, dass mehr Informationen besser sind, neuen Auftrieb gegeben. Das CardioMEMS HF System (Abbott Cardiovascular) besteht aus einem drahtlosen Sensor, der in die Lungenarterie implantiert wird und über ein externes Gerät mit Strom versorgt wird. Dieser Sensor überträgt in Echtzeit pulmonal-arterielle Druckdaten von ambulanten Patienten an eine sichere Website.

In der CHAMPION-Studie wurde festgestellt, dass die Verwendung des Geräts die Zahl der Herzinsuffizienz-Krankenhausaufenthalte bei Patienten mit Herzinsiffizienz-Symptomen der Klasse III der New York Heart Association (NYHA) aufgrund einer verminderten Ejektionsfraktion reduziert.

Doch die Einführung des Geräts verläuft schleppend. Es ist invasiv und teuer; die Überwachung der Daten erfordert Fachwissen und Energie. Ärzte wollen wissen, ob diese zusätzlichen Kosten und der zusätzliche Aufwand die Sterblichkeitsrate verbessern und ob das Gerät bei einer breiteren Palette von HF-Typen eingesetzt werden kann.

Die GUIDE-HF-Studie wird sich mit diesen Fragen befassen. Sie hat ein interessantes Design. Erstens schließt sie eine breite Population von Patienten mit den NYHA-Klassen II bis IV (unabhängig von der linksventrikulären Ejektionsfraktion) ein, die erhöhte natriuretische Peptidwerte und/oder einen früheren HF-Krankenhausaufenthalt haben. Zweitens umfasst der randomisierte Teil der Studie 2 Gruppen, die das Gerät erhalten: eine Gruppe nutzt die Daten, die andere nicht.

Der primäre Endpunkt ist eine Kombination aus kumulativen HF-Ereignissen und der Gesamtmortalität nach 12 Monaten. Zu den sekundären Endpunkten gehören die Lebensqualität und die kardiale Funktion. 

Bei der kritischen Bewertung müssen die externe Validität und die Kosten berücksichtigt werden. Selbst wenn GUIDE-HF „positiv“ ausfällt, bleibt als Frage: Ist dieser Ansatz in Gesundheitssystemen mit begrenzten Ressourcen möglich? Dies wird von der Effektgröße und der Robustheit der Ergebnisse abhängen.

Dies sind nur 5 der vielen Studien, die auf der weltgrößten Kardiologen-Tagung vorgestellt werden. Es wird sicherlich noch viele weitere Überraschungen geben.

Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus  www.medscape.com  übersetzt und adaptiert. 

 

Kommentar

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