Kur und Reha: Studie zeigt, viel mehr Menschen hätten Bedarf, doch die Einrichtungen sind jetzt schon voll

Christian Beneker

Interessenkonflikte

25. August 2021

Reha und Vorsorge sind im Umbruch. So nehmen z.B. immer mehr Einrichtungen auch Väter und ihre Kinder in Reha-Maßnahmen oder Kuren auf. Aber noch sind die Versorgungsangebote zu schmal, um den veränderten und wachsenden tatsächlichen Bedarf zu decken. Obwohl nur ein geringer Teil all derer, die eine Maßnahme benötigen, schließlich über eine Kur nachdenkt, sind die Einrichtungen voll. Es braucht mehr Kur- und Reha-Plätze und eine bessere Beratung, unter anderem durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Das ist eines der Ergebnisse der „Studie von Müttern/Vätern und pflegenden Frauen und Männern (mit und ohne Kinder im Haushalt) in Vorsorge- und Reha-Maßnahmen in Einrichtungen des Müttergenesungswerkes“ [1,2]. Unter dem Dach des Müttergenesungswerks (MGW) arbeiten 5 Träger von Kuren für Mütter, Väter, und pflegende Angehörige in ihren 72 Einrichtungen zusammen: dem paritätischen Wohlfahrtsverband, dem DRK, dem Evangelischen Fachverband für Frauengesundheit und der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Müttergenesung.

Das Papier wurde am Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) GmbH und vom Berliner Institut „Interval“ GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erstellt. Das Ministerium wollte Näheres über die Bedarfe erfahren.

Großer Bedarf, zurückhaltende Patienten

Die Studienautoren fragten unter anderem 1.330 Väter, Mütter und pflegende Angehörige nach ihrem Gesundheitszustand und ihren Belastungssituationen. Das Ergebnis: 18,9% aller Mütter, Väter und pflegenden Angehörigen, 23,9% der Frauen und 13,8 % der Männer sowie 33% der pflegenden Mütter und Väter und 75% der Eltern von Kindern mit einer Behinderung hätten zwar aufgrund ihrer gesundheitlichen und Belastungssituation eine Rehabilitations- oder Vorsorgemaßnahme benötigt. Aber nur 21,9% aller Befragten erwogen, eine „stationäre Maßnahme jedweder Art zu beantragen“, wie das BIAG mitteilt. Warum diese Zurückhaltung, wenn der Bedarf so groß ist?

Zwar hätten rund 62% der Betroffenen von den Reha- oder Vorsorgeangeboten gewusst, so die Studie. Aber sie hätten im Vergleich mit den „richtig Kranken“ ihren eigenen Bedarf unterschätzt. Andere fürchteten Nachteile beim Arbeitgeber oder wollten die Angehörigen, die sie sonst gepflegt haben, nicht in fremde Hände geben.

Dr. Bernard Braun, Gesundheitswissenschaftler aus Bremen und Mitautor der Studie, sieht aber auch Ärzte in der Pflicht. „Sie sind die Gatekeeper“, sagt Braun zu Medscape. Denn sie wissen um die Belastungen ihrer Patienten. Zugleich sollen sie sie kompetent beraten.

Die Befragung von 139 Ärzten ergab allerdings: „Nur etwa die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte fühlt sich eher gut, und nur sehr selten auch sehr gut über Leistungen für Mütter (bzw. für Mutter-Kind) informiert“, so die Studie. „Im Hinblick auf die Leistungen für Väter sinkt dieser Anteil deutlich, nur noch rund jeder dritte Arzt hält sich hier (eher bis sehr) gut informiert. Gefragt nach den Leistungen für pflegende Angehörige liegt der Anteil nur noch im niedrigen einstelligen Bereich.“

 
Nur etwa die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte fühlt sich eher gut, und nur sehr selten auch sehr gut über Leistungen für Mütter (bzw. für Mutter-Kind) informiert. Dr. Bernard Braun
 

Nach Angaben der befragten Ärzte informieren sie sich über Reha- oder Kur-Angebote, indem sie ihre Patienten nach ihren Erfahrungen fragen oder sie studieren die Entlassungsbriefe. „Das heißt, Ärztinnen und Ärzte informieren sich vor allem im Nachhinein und einzelfallbezogen“, so die Studie. Gesundheitswissenschaftler Braun sagt: „Man muss sich Wege überlegen, wie man die Ärzte besser auf dem Laufenden hält.“ So müssten sie stärker die neuen Zielgruppen, wie Väter und Kinder, im Auge haben.

Zugleich müssten die großen Wohlfahrtsverbände „anfangen, ihre Angeboten auszubauen, was auch schon geschieht“, so Braun. So baut die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Nordrhein-Westfalen mehrere Kliniken für spezifische Gruppen, etwa für pflegende Angehörige von dementen Menschen oder im Sauerland einen Klinik für Familiengesundheit.

Hindernis: Zuständigkeitsteilung zwischen Gesundheits- und Familienministerium

Außerdem regt Braun an, dass das BMFSFJ besser mit dem Bundesgesundheitsministerium kooperiere. „Denn laut Gesetz ist das Bundesfamilienministerium für das Müttergenesungswerk zuständig – aber nur für Baumaßnahmen“, wie Braun berichtet. „Und wenn Väter, Mütter oder pflegende Angehörige zum Beispiel in eine Kur gehen, sind die Träger im Bereich des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zuständig, also etwa die gesetzliche Krankenversicherung oder die deutsche Rentenversicherung.“

Nach Brauns Worten könnten das BMG und das BMFSFJ hier also viel mehr zusammenarbeiten. Denn wenn das BMFSFJ Neubauten von Einrichtungen unterstützt, ist über die Leistungen, die dann dort für die Patienten erbracht werden sollen, noch nichts entschieden. „Aber das BMFSFJ scheut davor zurück, bei den Kur- und Reha-Leistungen systematische Kontakte zum BMG aufzubauen“, bedauert der Bremer Gesundheitswissenschaftler.

„Es gibt im BMFSFJ keine Zuständigkeit für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung“, bestätigt eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage von Medscape. „Die Zuständigkeit hierfür liegt allein im BMG.“ Da die Vorsorge- und Rehamaßnahmen für die Gesundheit sowie die psycho-soziale Situation von belasteten Familien eine wichtige Rolle spiele, sei das BMFSFJ aber „anlassbezogen mit dem BMG im Austausch.“

 
Das BMFSFJ scheut davor zurück, bei den Kur- und Reha-Leistungen systematische Kontakte zum BMG aufzubauen. Dr. Bernard Braun
 

Tatsächlich will das Ministerium die Kooperation aber nicht grundsätzlich auf ein stärkeres Fundament setzen, sondern nur „anlassbezogen“ und „gegebenenfalls“. So teilt das Haus mit: Den „fachlichen Austausch im Interesse von Müttern, Vätern und Pflegenden Angehörigen anlassbezogen zu führen und ggf. auch zu intensivieren, ist aus Sicht des BMFSFJ eine wichtige Anregung“.

 

Kommentar

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