Diabetes-Patienten erleiden 3-mal so oft einen Herzinfarkt oder Schlaganfall wie Menschen ohne die Stoffwechselerkrankung, und auch für Nierenschäden sind sie besonders anfällig. Für eine bestimmte Art von GLP-1-Agonisten ist die Fähigkeit belegt, das kardiovaskuläre Risiko zu senken. Nun hat eine Phase-3-Studie einen solchen Zusatznutzen erstmals auch für ein Peptid gezeigt, das zu einer Variante dieser Wirkstoffklasse gehört: für Efpeglenatid [1].
Je nach Herkunft unterscheidet man 2 Kategorien von GLP-1-Agonisten: einerseits Liraglutid, Dulaglutid, Albiglutid und Semaglutid, deren Struktur vom menschlichen GLP-1 abgeleitet ist, und andererseits Exenatid, Lixisenatid und eben Efpeglenatid, die auf den Naturstoff Exendin-4 zurückgehen.
Wie ist nun die aktuelle Studie einzuschätzen? Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Stellvertretender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Tübingen und Pressesprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft, kommentiert im Gespräch mit Medscape: „Sie bringt für Diabetologen und ihre Patienten eine gute Nachricht: nämlich den lang gesuchten Beleg, dass Inkretin-Mimetika auf Exendin-4-Basis prinzipiell imstande sind, die Verschlechterung von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen hinauszögern.“
Der jetzige Erfolg ist nicht vorgezeichnet
Denn anders als die „Glutide“ – wie etwa Liraglutid und Semaglutid – waren die „Enatide“ in dieser Hinsicht bisher gescheitert, Exenatid in der Studie EXSCEL ebenso wie Lixisenatid in ELIXA. „Das kann entweder am Studiendesign liegen oder daran, dass die Dosis der einmal täglichen Injektion bei Lixisenatid nicht für einen effektiven Spiegel über 24 Stunden ausgereicht hat“, vermutet Gallwitz. Wegen des großen Aufwands an Zeit und Kosten glaube er aber nicht, dass die Studien – mit vielleicht höherer Dosierung – wiederholt werden.
Dabei bilden die Exendin-4-Abkömmlinge auch deshalb eine Bereicherung des Portfolios, weil sie sich gegenüber ihren Verwandten durch einen Vorteil auszeichnen: Sie sind für Peptidasen schlechter angreifbar und haben folglich eine wesentlich längere Wirkdauer. Der Grund ist die geringere Ähnlichkeit mit menschlichem GLP-1. So auch das mit einem IgG-Fragment kombinierte Efpeglenatid: Nur etwa die Hälfte seiner Aminosäure-Sequenz stimmt mit dem humanen Vorbild überein. „Das Muttermolekül Exendin-4 kommt im Speichel der nordamerikanischen Gila-Krustenechse vor und hilft, deren Stoffwechsel zu regulieren“, erläutert Gallwitz.
Die Krustenechse – nicht gerade ein Allerweltstier
Den Krustenechsen begegnet man nicht gerade auf Schritt und Tritt – welcher Weg hat dennoch zu diesen exotischen Lebewesen geführt? Gallwitz: „Das war eine Zufallsentdeckung, als in den 1990er-Jahren eine systematische Klassifizierung von Peptidhormonen bei unterschiedlichen Spezies begann. Ziel war, pharmakologisch aktive Substanzen für die Therapie bei Menschen zu finden.“
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Exendin-4 an den humanen GLP-1-Rezeptor andockt, wurde es konsequent weiterentwickelt. Das Resultat – Exenatid – bekam 2005 als erstes Inkretin-Mimetikum überhaupt die Zulassung für die Blutzuckersenkung bei Diabetes.
Gelingt nach den Misserfolgen mit den beiden Vorgängern vielleicht für Efpeglenatid der Nachweis, dass damit kardiovaskuläre und renale Ereignisse seltener auftreten als mit Placebo? Das wollten Prof. Dr. Hertzel C. Gerstein von der McMaster University in Hamilton/Kanada und seine Kollegen bei Hochrisiko-Patienten mit Typ-2-Diabetes prüfen. Nebenbei fordert die FDA seit dem Rosiglitazon-Skandal für die Zulassung aller Antidiabetika kardiovaskuläre Endpunktstudien.
Frauen und „People of Colour“ waren eine Minderheit
Die vom Unternehmen Sanofi unterstützte Studie AMPLITUDE-O umfasste rund 4.000 Erwachsene aus 344 Städten weltweit, zu 2 Dritteln Männer und fast alle weiß. Außer mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor hatten sie eine kardiovaskuläre Erkrankung – KHK, Schlaganfall-Anamnese oder periphere Arterienerkrankung – oder eine Nephropathie. Im Durchschnitt lag ihr Alter bei 65 Jahren, ihr HbA1c war hoch (8,9%), die glomeruläre Filtrationsrate eGFR niedrig (72 ml/min/1,73 m²).
Randomisiert in 3 Gruppen gleicher Größe und stratifiziert nach zusätzlicher Einnahme von SGLT2-Inhibitoren, erhielten sie verblindet wöchentliche Injektionen von Verum oder Placebo. Dabei wurde Efpeglenatid über 1 bzw. 2 Monate auf die Enddosis von 4 mg bzw. 6 mg gesteigert.
Internationales Forum: Konferenz und Fachzeitschrift
Die Ergebnisse, die gleichzeitig auf der 81. Tagung der American Diabetes Association (ADA) und online im New England Journal of Medicine vorgestellt wurden: Während einer medianen Beobachtungszeit von 1,8 Jahren kam es bei 7% der Teilnehmer mit Efpeglenatid zu einem schweren kardiovaskulären Ereignis, definiert als nicht tödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall oder Tod aus jeglicher Ursache. Mit Placebo lag diese Rate bei 9,2% und die Hazard Ratio HR bei 0,73, was ein um 27% erhöhtes Risiko bedeutet.
Bei 13% der Patienten mit Efpeglenatid, aber bei 18,4% mit Placebo registrierten die Forscher einen der renalen Endpunkte, das heißt einen weiteren Rückgang der Filtrationsrate oder eine Makroalbuminurie. Also war das Risiko mit dem „Enatid“ um 32% gesenkt (HR 0,68).
Hinweise auf Dosis-Wirkungs-Effekt
Dabei spielte es keine Rolle, ob die Teilnehmer zusätzlich SGLT2-Hemmer oder Metformin einnahmen. Analysen zufolge schien der Herz-Kreislauf-Schutz mit der 6-mg-Dosis besser zu sein als mit 4 mg.
Das Team um Gerstein erwähnt auch die antidiabetischen Effekte: Zum Schluss lag der HbA1c um median 1,2% niedriger als mit Placebo, das Körpergewicht um 2,6 kg. Blutdruck und LDL waren ebenfalls gesunken.
Allerdings berichteten mehr Teilnehmer mit Efpeglenatid über die für die Inkretin-Mimetika typischen gastrointestinalen Nebenwirkungen, darunter Verstopfung, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen oder Blähungen.
Zulassung und Markteinführung sind trotzdem fraglich
Trotz dieser ermutigenden Befunde will Sanofi nicht weiter in das Arzneimittel investieren, wie Medscape berichtete. Stattdessen seien die Rechte an das südkoreanische Unternehmen Hanmi Pharmaceutical zurückgegeben worden, das diese Forschungslinie begonnen hatte.
In einer E-Mail habe Gerstein die Hoffnung ausgedrückt, Hanmi oder ein anderer Konzern werde die Weiterentwicklung betreiben. Und Gallwitz sagt dazu: „Wann Efpeglenatid auf den Markt kommt und ob überhaupt, das ist leider noch ungewiss.“
Nach seiner Ansicht legt die Studie nahe, dass der Schutz von Herz und Gefäßen allen GLP-1-Agonisten gemeinsam ist. Das bestätigt eine Metaanalyse, die zunächst 7 Studien zu kardiovaskulären Effekten dieser Wirkstoffe berücksichtigte und nachträglich um AMPLITUDE-O erweitert wurde.
Der Erfolg von Efpeglenatid ist dabei besonders hoch einzustufen, wie aus dem Medscape-Artikel hervorgeht. Denn es wird betont, die AMPLITUDE-O-Patienten hätten den schlechtesten Gesundheitszustand gehabt, zudem die längste Diabetesdauer (15 Jahre), die niedrigste eGFR, den höchsten HbA1c und mit 62% den größten Prozentsatz an Insulin-Anwendern.
Schutz durch Reduktion von Risikofaktoren
Auf welche Weise schützt Efpeglenatid Herz und Nieren? Die Antwort, die das kanadische Team vorschlägt, spricht ebenfalls dafür, dass es sich um eine allgemeine Eigenschaft der GLP-1-Agonisten handelt: Sie senken mehrere Risikofaktoren, nämlich Blutzucker, Blutdruck, Body-Mass-Index (BMI), Fettwerte und Albuminurie. Außerdem könnten sie Endothel und Kapillaren günstig beeinflussen, die Gefäße erweitern und Inflammation, Fibrose und Atherosklerose bremsen.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Inkretin-Mimetikum schützt Hochrisiko-Diabetiker in großer Phase-3-Studie – kommt aber vielleicht nie auf den Markt - Medscape - 23. Aug 2021.
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