Originaldaten und Metaanalysen von fast 50.000 Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen könnten darauf schließen lassen, dass ein geringer bis mittlerer Alkoholkonsum von durchschnittlich 7 g/Tag das Risiko für einen kardiovaskulären Zwischenfall signifikant um 20 bis 30% verringert. Der J-förmige Zusammenhang von Alkoholkonsum und Kardioprotektion, der für Gesunde diskutiert wird, scheint danach auch dann zu gelten, wenn der Krankheitsfall bereits eingetreten ist.
Um den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Verschlimmerung einer existierenden kardiovaskulären Erkrankung zu dokumentieren, unternahm die Forschergruppe um den Erstautor Dr. Chengyi Ding, Research Department of Epidemiology and Public Health, University College, London, UK, eine Serie von Metaanalysen neuer Daten von 3 Kohorten- und weiteren publizierten Studien mit insgesamt 48.423 Patienten. Ihre Ergebnisse wurden in BMC Medicine veröffentlicht [1].
Deutlich weniger kardiovaskuläre Todesfälle bei bis zu 20 g Alkohol pro Tag
Im Vergleich zu komplett Abstinenten ergab die Darstellung der Reduktion des kardiovaskulären Mortalitätsrisikos eine liegende J-förmige Kurve mit einem tiefsten Punkt bei 8 g Alkohol pro Tag. Bei dieser Menge lag das relative Risiko (RR) bei 0,73 (signifikant mit Werten zwischen 0,64 und 0,83 im 95% Konfidenzintervall [KI]). Der Vorteil gegenüber Abstinenten blieb sogar bei Alkoholmengen bis zu 62 g pro Tag erhalten. 8 g Alkohol entsprechen dabei einer Menge von 0,15 Liter Bier von 5% Alkohol.
„Bei den Daten zum Alkoholkonsum handelt es sich allerdings um selbstberichtete Trinkmengen“, gibt Prof. Dr. Felix Mahfoud, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Homburg/Saar, zu bedenken. „Zudem ist die Gruppe der High Level Drinker mit unter 5% deutlich unterrepräsentiert.“
Die doppelte Menge an Alkohol, also etwa 15 g pro Tag, zeigte eine nur minimal verringerte Risikoreduktion, so dass 0,25 bis 0,3 l Bier oder ein kleines Glas Wein täglich das Risiko für eine kardiovaskuläre Mortalität um etwa 20% verringerte.
Die Reduktion des Risikos für einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Angina pectoris betrug bei 6 g Alkohol pro Tag sogar 50% (Risikoreduktion zwischen 0,26 und 0,96 im 95% KI), nahm aber bei mehr als 20 g pro Tag wieder deutlich zu. Somit ergab sich für die Reduktion des Risikos eines kardiovaskulären Events ebenfalls dieselbe Empfehlung von 5 bis 15 g Alkohol pro Tag.
Auch die Gesamtmortalität zeigte sich deutlich verringert
Auch für das Gesamt-Mortalitätsrisiko ergab sich eine J-Kurve mit einem Minimum bei 7 g Alkohol pro Tag, das eine Risikoreduktion von 21% zeigte (RR 0,79, KI 95% 0,73-0,85). Diese Kurve zeigte einen ähnlich flachen Verlauf über steigende Alkoholmengen wie die der kardiovaskulär bedingten Mortalität.
„Eine J-Kurve gibt es möglicherweise für kardiovaskuläre Ereignisse bei moderatem Alkoholkonsum, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht für Gesamtsterblichkeit“, widerspricht Mahfoud. „Alkoholkonsum und Krebsrisiko korrelieren miteinander. Es ist daher fragwürdig, dass in der vorliegenden Arbeit die Gesamtsterblichkeit durch Alkoholkonsum reduziert war. Eine pathophysiologische Erklärung für diese Befunde gibt diese Studie nicht.“
Alle hier beschriebenen Daten waren statistisch in Bezug auf Geschlecht, Alter, Begleiterkrankungen und Medikamenteneinnahme sowie Raucher-, Bildungs- und Sozialstatus abgeglichen. Durch höhere als die bis hier erwähnten Alkoholmengen ergaben sich keine Erhöhungen für kardiovaskulär bedingte Gesundheits- bzw. Mortalitätsrisiken.
Für die Studie wurden folgende Daten einbezogen:
14.386 Patienten nach Herzinfarkt, Schlaganfall oder Angina pectoris aus der UK Biobank-Studie mit einer mittleren Beobachtungszeit von 8,7 Jahren mit 1.640 Todesfällen und 2.950 kardiovaskulären Ereignissen.
2.802 Patienten mit 1.257 Todesfällen aus 18 Health Surveys für England/Schottland der Jahre 1994 bis 2008.
31.235 Patienten aus 12 fremdpublizierten Studien mit 5.095 Todesfällen und 1.414 kardiovaskulären Ereignissen.
Bestehende Empfehlungen nicht revidieren
Die Autoren resümieren aus ihren Ergebnissen, dass auch Patienten aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen nicht auf einen vernünftigen moderaten Genuss vom Alkohol verzichten müssen. Allerdings sollten Ärzte ihre Patienten anhalten, pro Woche nicht mehr als etwa 2 l Bier, eine Flasche Wein oder entsprechende Mengen anderer alkoholischer Getränke zu konsumieren.
„Es ist gut belegt, dass übermäßiger Alkoholkonsum mit schlechtem Outcome assoziiert ist. Dies wurde in der Arbeit nicht bestätigt und stellt die Methodik und Validität der Ergebnisse in Frage“, konstatiert Mahfoud. „Zusammenfassend ist die vorgelegte Arbeit aufgrund ihrer methodischen Schwächen nicht geeignet, bestehende Empfehlungen zu revidieren. Genau genommen sollten nicht einmal kleine Mengen an Alkohol bedenkenlos konsumiert werden, ohne das Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erhöhen. Vor allem sollte niemand aus vermeidlich gesundheitlichen Gründen mit dem Alkoholkonsum beginnen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Ein Gläschen in Ehren schützt vor kardiovaskulären Problemen? Möglich, aber fragwürdig – Vorsicht ist in jedem Fall geboten - Medscape - 12. Aug 2021.
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