Während der SARS-CoV-2-Pandemie standen Ärzte an vorderster Front. Bei ihnen ist es häufiger zu Burnout gekommen. Die Belastung hat aber auch Folgen für Patienten und für nachkommende Ärzte-Generationen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Sie wurde von Wheel, einem Unternehmen aus dem Digital-Health-Bereich, und PureSpectrum, einem Marktforschungsunternehmen, durchgeführt.
Demnach haben 80% aller 2.000 befragten Patienten während eines Praxisbesuchs im vergangenen Jahr bemerkt, dass ihr Arzt oder ein anderer im Gesundheitswesen Tätiger ausgebrannt oder gestresst war. 70% der Patienten gaben an, dass sie dies beunruhigt habe. Und 1 von 3 Befragten kritisierte, dass sich das Burnout des Arztes negativ auf die Qualität der Behandlung ausgewirkt habe.
„Mitarbeiter im Gesundheitswesen leiden unter einem unfassbar hohen Maß an Traumata, Burnout und Trauer“, sagte Michelle Davey, CEO und Mitbegründerin von Wheel. Die Umfrage zeige, dass das Versäumnis, Ärzten und anderen in der Medizin Tätigen Unterstützung und Entlastung zu bieten, letztlich der Gesundheit aller Menschen schade.
Gestresste Ärzte, unzufriedene Patienten
Wheel führte die Umfrage eigentlich durch, um Folgen des Burnouts von Ärzten besser zu verstehen. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass sich Beschwerden von Angehörigen der Gesundheitsberufe tatsächlich negativ auf die Gesundheit und Zufriedenheit der Patienten auswirken.
Dr. Mark Greenawald von PeerRxMed sagt, er sei nicht überrascht, dass Patienten bemerkten, dass mit ihrem Arzt etwas nicht stimme. „Sie bezeichnen es vielleicht nicht als Burnout, sondern eher als ‚mein Arzt hört mir nicht zu‘“. PeerRx ist ein kostenloses Peer-to-Peer-Programm für Ärzte und andere im Gesundheitswesen Tätige, das Unterstützung zur Burnout-Prävention bietet.
Die von Wheel durchgeführte Umfrage bestätigte Greenawalds Vermutung: Jeder 4. Patient gab an, dass er sich bei seinem Arztbesuch gehetzt gefühlt habe und dass der Arzt keine Zeit oder keine Energie gehabt habe, sich die Fragen anzuhören.
Sprechstunden unter Zeitdruck und Ärzte mit wenig Energie aufgrund von Burnouts können zu Fehlern bei der Behandlung führen. Laut einer vor über 8 Jahren von der Johns Hopkins University School of Medicine durchgeführten Studie sind allein in den USA 250.000 Todesfälle pro Jahr auf medizinische Fehler zurückzuführen. Schätzungsweise 12 Millionen Amerikaner erhalten pro Jahr falsche Diagnosen, was mit 40.000 bis 80.000 Todesfällen in Verbindung gebracht wird.
Ärzte achten kaum auf ihre Gesundheit
Druck und Belastung gefährden aber auch Ärzte selbst. Obwohl Burnout nicht als medizinische Diagnose gilt, haben die Symptome starke Auswirkungen auf die körperliche und emotionale Gesundheit. Betroffene haben ein höheres Risiko für Schlaflosigkeit, Drogenmissbrauch, Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und sind anfälliger für weitere Erkrankungen.
Wie der Medscape Physician Lifestyle and Happiness Report 2021 zeigt, geben nur etwa 1 von 3 Ärzten an, ausreichend Zeit für die eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu haben.
„Ein Teil unserer beruflichen Ausbildung und Sozialisation besteht darin, durchzuhalten und die Situation zu meistern“, sagt Greenawald. „Wir tun das, weil wir nicht wollen, dass Patienten gesundheitlich beeinträchtigt werden.“
COVID-19 verschärft die Lage weiter
Der Medscape Physician Lifestyle and Happiness Report 2021, für den mehr als 12.000 Ärzte befragt worden sind, ergab, dass etwa 80% vor Beginn von COVID-19 außerhalb ihrer Arbeit glücklich waren. Jetzt gibt nur noch etwa die Hälfte der Ärzte an, dass sie außerhalb ihrer Arbeit glücklich sind, was den erhöhten Stress widerspiegelt, dem sie aufgrund der Pandemie ausgesetzt sind.
Wie lässt sich das erklären? Der Widerstand gegen COVID-19-Maßnahmen wie das Tragen von Masken oder Verschwörungstheorien, die viele davon abhalten, sich impfen zu lassen, und die allgemeine Weigerung, wissenschaftlichen Fakten Glauben zu schenken, tragen zu einer Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit bei. Sie unterscheidet sich grundlegend von der Pandemie selbst – und strapazieren Ärzte zusätzlich. In der Wheel-Umfrage waren 2 von 3 Interviewten der Meinung, dass der Widerstand der Öffentlichkeit gegen grundlegende Vorsichtsmaßnahmen zum Burnout der Ärzte mit beitragen könnte.
Die Wertschätzung schwindet
Ein weiterer Faktor könnte die sinkende öffentliche Wertschätzung für Anstrengungen der Ärzte während der Pandemie sein. In den ersten Monaten gab es US-weit öffentliche Veranstaltungen mit entsprechenden Würdigungen. Außerdem hängten viele Menschen Schilder in ihre Fenster und klatschten vom Balkon aus.
Inzwischen hat die Begeisterung stark nachgelassen. 3 von 5 Umfrageteilnehmern gaben an, dass sie eine Zunahme der mangelnden Anerkennung für die Beschäftigten im Gesundheitswesen feststellen.
Hinzu kommt: Ärzte für Allgemeinmedizin sollen sich auch um die psychische Gesundheit ihrer Patienten kümmern, obwohl dies nicht zu ihrem Fachgebiet gehört. Fast jeder 3. Patient, der an der Wheel-Umfrage teilnahm, gab zu, dass er sich bei psychischen Problemen auf seinen Hausarzt verlassen hat, anstatt diese mit einem Facharzt zu besprechen.
Einige Ärzte haben sich bei solchen Patientengesprächen über ein bekanntes Stigma hinweggesetzt. Fast jeder 8. Patient gab an, dass sein Arzt oder seine Arzthelferin ihm während des Arztbesuchs mitgeteilt hat, selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Medizinische Berufe sind nicht mehr erstrebenswert
Noch ein weiterer Blick auf die Pandemie. Zu Beginn trieb der „Fauci-Effekt“ junge Menschen in die Medizin. [Dr. Anthony Fauci, US-Immunologe und Berater der Regierung, war – und ist – während der Pandemie in US-Medien sehr präsent; er galt bei Jugendlichen als Vorbild für ihre Berufswahl; Anm. d. Übers.].
Jetzt scheint es, dass die anhaltenden Auswirkungen von COVID-19 und die Belastung der medizinischen Fachkräfte einen weniger positiven Einfluss haben.
40% aller Befragten gaben an, sie wollten nicht, dass ihre Kinder Ärztin oder Arzt würden. Und 1 von 3 Personen sagte, dass sich das Medizinstudium nicht lohne. 1 von 4 Patienten gaben an, selbst einen Arzt zu kennen, der seinen Beruf wechseln würde, wenn er könnte. Damit bestätigt die Umfrage Berichte, viele Ärzte hätten ihren Beruf satt.
„Wir werden ausgebildet, um uns um Menschen zu kümmern, aber wir haben nicht unbedingt alles dafür gelernt“, sagt Greenawald. Für viele sei die Schwelle, dies zu kontrollieren und zu bewältigen, überschritten worden.
Viele Länder kämpfen mit einem Mangel an medizinischen Fachkräften. „Wenn die Zahl an Bewerbern für ein Medizinstudium zurückgeht, muss die Gesundheitsbranche in den Spiegel schauen und sich eingestehen, dass es überfällig ist, der Erfahrung von Klinikern Priorität einzuräumen“, heißt es in der Studie.
Burnout bei Ärzten lindern
Greenawalds Empfehlung für Ärzte, die sich ausgebrannt fühlen, ist einfach: Holen Sie sich Hilfe – durch einen Therapeuten, einen professionellen Coach, einen Freund oder ein Familienmitglied.
„Versuchen Sie nicht, es allein zu schaffen, denn wenn Sie es könnten, hätten Sie es getan“, sagt er. „Aus professioneller Sicht ist es fast schon eine Verpflichtung, sich Hilfe zu holen.“ Ein proaktiver Umgang mit der eigenen psychischen Gesundheit sei entscheidend. Greenawald ermutigt Ärzte, herauszufinden, was sie belastet, und einen Plan aufzustellen, wie sie sich besser fühlen können – sei es durch Sport, Meditation oder Zeit für die Familie.
„Bislang wurde die Perspektive von Patienten kaum beachtet“, sagt Greenawald. „Ich persönlich hoffe, dass dies ein zusätzlicher Anstoß für Verantwortliche im Gesundheitswesen ist, Probleme nicht einfach als Preis für die Ausübung des Arztberufs zu akzeptieren.“
Medscape -Report aus Deutschland: Burnout und Depressionen in der Corona-Krise
Ärzte aus Deutschland leiden ebenfalls an psychosomatischen Beschwerden, wie der Medscape-Report 2020 gezeigt hat. Befragt wurden 1.130 Nutzer von Medscape. 15% gaben an, Burnout-Symptome zu haben, 26% bemerkten bei sich Hinweise auf eine depressive Verstimmung, und 14% hatten beide Beschwerden.
Nach den Ursachen für einen Burnout gefragt, nannten Ärzte in 1. Linie Verwaltung und Dokumentation (44%), gefolgt von zu viel Arbeit (42%), fehlendem Respekt von Vorgesetzten bzw. Kollegen (39%) und der Problematik, dass Gewinne wichtiger sind als das Patientenwohl (36%).
Immerhin gaben 50% an, dass sich das Burnout-Gefühl verstärkt habe; 40% bemerkten keine Veränderung und 10% sprachen von einem geringeren Druck.
Der Report zeigt aber auch, dass Burnout keine temporäre Erscheinung ist, sondern sich teilweise über Monate oder Jahre hinzieht. Corona hat solche Probleme verschlimmern, ist aber keineswegs der alleinige Auslöser von Burnouts.
Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Ist der Doktor gestresst, verunsichert er seine Patienten: Folgen von Burnout und Stress bei Ärzten während der Pandemie - Medscape - 4. Aug 2021.
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