Diskussion
Das klinische Erscheinungsbild dieses Patienten lässt Raum für zahlreiche gut- und auch bösartige Differenzialdiagnosen. Diese Differenzialdiagnosen können nach ihrem Pathomechanismus eingeordnet werden:
Knochenmarkssuppression:
aplastische Anämie
Autoimmunerkrankungen (z.B. systemischer Lupus erythematodes, sLE, rheumatoide Arthritis)
virusinduzierte Myelosuppression
megaloblastische Anämie
medikamenteninduzierte Myelotoxizität
alkoholische Myelotoxizität
Knochenmarkinfiltration:
akute Leukämien
Lymphome
myelodysplastisches Syndrom
myeloproliferative Neoplasien wie die primäre Myelofibrose (PMF)
metastasierter Krebs
Infektionen (z.B. Tuberkulose)
Destruktion oder Verbrauch peripherer Blutzellen
disseminierte intravasale Gerinnung
Hypersplenismus.
Aus der Familienanamnese des Patienten waren keine Krebserkrankungen bekannt. Zudem besteht klinisch aufgrund fehlender Symptome eines möglichen malignen Prozesses wie Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Obstipation, Teerstuhl, Blut im Stuhl, Hämoptyse oder urologischer Symptome sowie angesichts der ansonsten guten körperlichen Verfassung und negativer Befunde aus der Bildgebung kein Verdacht auf ein Malignom. Eine akute Blutkrebsform oder das Knochenmark zersetzende Metastasen sind daher weniger wahrscheinlich.
Die Knochenmarksbiopsie des Patienten zeigte ein hyperzelluläres Knochenmark jedoch keine Hypozellularität oder Aplasie, was für die aplastische Anämie ein typischer Befund wäre. Daher ist diese Diagnose unwahrscheinlich.
Das myelodysplastische Syndrom zeichnet sich durch eine klonale Hämatopoese, eine oder mehrere Zytopenien, abnorme zelluläre Reifungen (Myelodysplasie) und wiederkehrende genetische Anomalien aus [1]. Das Fehlen dysplastischer Zellen im Knochenmark macht diese Diagnose unwahrscheinlich.
Andere Ursachen einer Knochenmarksuppression wie Infektionen, Medikamente, Drogen, Alkohol und bestimmte Ernährungsweisen wurden durch die Anamnese und die Labormessergebnisse ausgeschlossen.
Weil der Patient erhöhte CRP-Werte hatte und auf Kortikoide ansprach, fiel der Verdacht auf immunvermittelte Prozesse – wie bei einer Immunthrombozytopenie oder einer anderen Autoimmunerkrankung. Trotz des negativen ANA-Tests kann ein Autoimmunprozess nicht ausgeschlossen werden. Ein sLE und ein Sjögren-Syndrom sind allerdings ohne Hautausschläge, Gelenkschmerzen oder -steifigkeit, orale Geschwüre, Alopezie und Trockenheit von Augen und Mund weniger wahrscheinlich.
Ein knochenmarkbioptischer Befund mit Hyperzellularität bei erythroider und megakaryozytärer Dominanz und Retikulinfibrose Grad 1 spricht für eine Autoimmun-Myelofibrose (AMF). Während eine kompensatorische megakaryozytäre Dominanz bei der Immunthrombozytopenie üblich ist, sind es eine gleichzeitige Anämie, eine erythroide Hyperplasie und eine Fibrose Grad 1 nicht.
Die Differenzialdiagnose einer PMF ist aufgrund der mildgradigen Knochenmarkfibrose und der Abwesenheit einer Knochenmarkdysplasie, einer Osteosklerose und peripherer Dakrozyten bei gleichzeitiger Ansprache auf Kortikoide unwahrscheinlich.
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Diesen Artikel so zitieren: Fall: Blutungen nach einer professionellen Zahnreinigung – es sind keine Gerinnungsstörungen. Ihr Verdacht? - Medscape - 2. Aug 2021.
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