In einer neuen Studie wurden Antikörper-Injektionen gegen Gefäßendothel-Wachstumsfaktor (Vascular Endothelial Growth Factor, VEGF) bei Patienten mit diabetischer Retinopathie mit einer erhöhten Mortalität in Verbindung gebracht. Dies mahnt im Hinblick auf die kardiovaskuläre Sicherheit dieser Substanzen im Behandlungsalltag zur Vorsicht, sagte eine Studienärztin.
Für die Studien wurden Gesundheitsberichte von über 60.000 Patienten ausgewertet. Im Vergleich zu Steroidinjektionen oder zur Laser-Photokoagulation war das Risiko für Myokardinfarkte oder Schlaganfälle im Zusammenhang mit intravitrealen anti-VEGF-Injektionen nicht erhöht.
Dennoch wurde bei Patienten, die anti-VEGF-Injektionen erhielten, ein „Signal“ für ein erhöhtes Sterberisiko aus jeglicher Ursache beobachtet, besonders bei denen mit einer Anamnese für kardiovaskuläre Ereignisse, sagte Dr. Miin Roh, Netzhautchirurgin und Dozentin für Augenheilkunde an der Harvard Medical School in Boston.
„Diese Studie legt nahe, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn wir Patienten mit diabetischer Retinopathie anti-VEGF-Injektionen verabreichen. Vor allem, wenn man sie über einen längeren Zeitraum gibt“, sagte Roh bei einem Online-Vortrag auf dem Jahreskongress der American Diabetes Association (ADA) [1].
Hinweis auf erhöhte Mortalität
In die Studie von Roh und ihren Kollegen wurden anhand von Versicherungsdaten identifizierte Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes eingeschlossen, die zwischen 2009 und 2017 eine Behandlung mit intravitrealen anti-VEGF-Injektionen, intravitrealen Steroid-Injektionen oder Laserphotokoagulation begannen.
Die Analyse umfasste 30.741 Patienten, die anti-VEGF-Injektionen erhielten, und 30.471 gematchte Kontrollen mit Laser- oder Steroidtherapie.
Mit 674 Ereignissen in der anti-VEGF-Gruppe und 708 Ereignissen in der Laser- oder Steroid-Gruppe ergab sich über einen Behandlungszeitraum von 365 Tagen kein Unterschied beim kombinierten primären Endpunkt aus Myokardinfarkt und Schlaganfall, berichtete Roh. Stattdessen, so die Studienärztin, habe sie bei den Analysen sekundärer Studienendpunkte ein Signal für ein erhöhtes Sterberisiko aus jeglicher Ursache festgestellt.
Über einen Behandlungszeitraum von 180 Tagen gab es einen „leichten numerischen Anstieg“ der Mortalität jeglicher Ursache, mit 144 Verstorbenen in der anti-VEGF-Gruppe und 115 in der Kontrollgruppe. Dadurch ergab sich eine Hazard Ratio von 1,26 (95%-Konfidenzintervall: 0,99-1,69).
Betrachtete man den 365-Tage-Therapiezeitraum, ergab sich eine Zunahme der Gesamtmortalität in der anti-VEGF-Gruppe, die jetzt signifikant gewesen sei, so Roh, mit 311 beziehungsweise 236 Ereignissen (HR: 1,32; 95%-KI: 1,12-1,57). Bei Menschen, die in der Vorgeschichte bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten, war das Mortalitäts-Signal besonders stark.
Unter den Patienten mit Anamnese einer kardiovaskulären Erkrankung starben über einen Zeitraum von 365 Tagen insgesamt 219 in der anti-VEGF-Gruppe und 153 in der Laser- oder Steroid-Gruppe (HR: 1,44), berichtete die Forscherin. Im Vergleich starben unter den Patienten ohne Anamnese kardiovaskulärer Erkrankungen 95 und 96 (HR: 1,00).
Mehr Forschung nötig
Obwohl diese Ergebnisse „Hypothesen generieren“, wäre die Untersuchung weiterer Datenbestände nötig, um das Sterberisiko bei Patienten zu ermessen, die wegen diabetischer Retinopathie behandelt werden, sagte Dr. Robert Gabbay, wissenschaftlicher und medizinischer Vorstand der ADA.
„Das ist etwas, das wir nun gründlicher erforschen müssen“, sagte Gabbay in einem Interview. „Es beweist nicht, dass es einen Zusammenhang gibt. Aber es sagt uns, dass es sich lohnt, es zu untersuchen.“
Die aktuelle Studie ist kein randomisierter Vergleich. Das bedeutet, dass die Patienten, die ausgewählt wurden, die anti-VEGF-Therapie zu erhalten, sich auf andere Art von denen mit Steroid- oder Lasertherapie unterscheiden könnten, die mit der Sterblichkeit assoziiert ist, sagte er.
„Es ist immer gut, diese Patienten zu überwachen“, fügte Gabbay hinzu. „Die gute Nachricht ist, dass diese Menschen typischerweise regelmäßig [in die Sprechstunde] kommen, häufig monatlich zu wiederholten Injektionen. So ergibt sich eine Gelegenheit, jegliche Veränderungen zu überwachen.“
Dieser Artikel wurde von Dr. Bianca Bach aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Netzhaut geschützt – Patient tot? Erhöhen anti-VEGF-Injektionen gegen diabetische Retinopathie die Sterblichkeit? - Medscape - 30. Jul 2021.
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