Mehr als Metformin und Insulin – neue Therapieoptionen bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes

Marlene Busko

Interessenkonflikte

30. Juli 2021

Die Behandlungsoptionen für Kinder und Jugendliche mit Typ-2-Diabetes mellitus sind begrenzt. Doch es zeichnen sich ein paar neue Therapien jenseits von Metformin ab, so Experten beim virtuellen 81. Kongress der American Diabetes Association (ADA) [1].

„Der Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ist erst in der 1990er Jahren und der ersten Dekade des 21. Jahrhundert als anerkanntes pädiatrisches Gesundheitsproblem in Erscheinung getreten“, berichtete Sitzungsleiter Prof. Dr. Kenneth C. Copeland gegenüber Medscape Medical News.

„Glücklicherweise wurden jetzt etliche klinische Studien zu antidiabetischen Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes abgeschlossen, die sowohl Sicherheit als auch Wirksamkeit belegen. Und endlich sind verschiedene Substanzen in Sicht“, merkte er an.

Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich grundlegend vom Typ-2-Diabetes bei Erwachsenen, fügte Copeland, emeritierter Professor der Universität von Oklahoma in Oklahoma City, hinzu. Bei Kindern und Jugendlichen ist der Verlauf typischerweise aggressiv und therapierefraktär.

Abgestimmte Anstrengungen bei Lebensstil-Interventionen sind wichtig, aber unzureichend und ein Ansprechen auf Metformin ist oft nur von kurzer Dauer, selbst wenn es bereits bei Diagnosestellung begonnen wird, so Copeland.

Wegen der raschen Verschlechterung des Blutzuckerstoffwechsels, die typisch für den juvenilen Typ-2-Diabetes ist und zur vollen Bandbreite diabetischer Komplikationen führt, ist eine frühe, aggressive medikamentöse Therapie nötig.

„Wir freuen uns alle auf dieses nächste Jahrzehnt, das neue Therapieoptionen bringt, die das ganze Spektrum von der Adipositas-Prävention bis hin zu komplexen pharmakologischen Interventionen abdeckt“, fasste Copeland zusammen.

Steigende Prävalenz, begrenzte Therapiemöglichkeiten

Der Anteil von Typ-2-Diabetikern bei Kindern und Jugendlichen steigt weiter an, vor allem in nicht-weißen Gruppen, und die meisten dieser Menschen habe eine suboptimale Diabetes-Kontrolle, sagte Dr. Elvira Isganaitis, Kinder-Endokrinologin an der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, bei der Veranstaltung.

Obwohl die US Food and Drug Administration (FDA) mehr als 25 Medikamente zur Behandlung bei adultem Diabetes zugelassen hat, ist Metformin „leider“ das einzige orale Medikament, das zur Behandlung in der Pädiatrie zugelassen ist. „Und die meisten Kinder und Jugendlichen sprechen entweder nicht darauf an oder vertragen es nicht“, sagte sie gegenüber Medscape Medical News.

Copeland hat beobachtet: „Die TODAY-Studie hat schlüssig gezeigt, dass dem anfänglichen Ansprechen – trotz einer oft dramatischen initialen Verbesserung der Blutzuckerkontrolle zu Beginn der pharmakologischen und Lebensstil-Intervention – eine rasche Verschlechterung der Beta-Zell-Funktion und ein Versagen des Blutzuckerstoffwechsels folgt. Das deutet darauf hin, dass zusätzliche Wirkstoffe für diese Bevölkerungsgruppe schmerzlich benötigt werden.“ Die Studie RISE zeigte auch, dass sich die Beta-Zell-Funktion bei Kindern und Jugendlichen schneller verschlechtert als bei Erwachsenen [2].

 
Und die meisten Kinder und Jugendlichen sprechen entweder nicht darauf (Metformin) an oder vertragen es nicht. Prof. Dr. Kenneth C. Copeland
 

Bis zur FDA-Zulassung des injizierbaren Glucagon-like-Peptide-1-(GLP-1)-Rezeptoragonisten Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk) für Kinder ab 10 Jahren im Juni 2019 „war außer Insulin Metformin das einzige für die Verwendung bei Kindern und Jugendlichen verfügbare Antidiabetikum, was die Behandungsoptionen ernsthaft eingeschränkt hat“, fügte er hinzu.

Liraglutid als „riesiger Durchbruch“, andere Optionen am Horizont

Die FDA-Zulassung für Liraglutid als erstes Nicht-Insulin-Medikament bei juvenilem Typ-2-Diabetes nach Metformin, das 2000 für den Gebrauch in der Pädiatrie zugelassen wurde, war ein „riesiger Durchbruch“, sagte Isganaitis.

Die ELLIPSE-Studie, auf der die Zulassung beruht, zeigte, das Liraglutid wirksam den HbA1c-Wert senkte und insgesamt gut vertragen wurde, auch wenn es mit einer erhöhten Inzidenz gastrointestinaler Symptome einherging.

Im Dezember 2020 ließ die FDA Liraglutid (Saxenda®) auch zur Behandlung der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren zu (im Gegensatz zur 1,-8mg-Dosis bei Diabetes mellitus [Victoza®] in einer Dosierung von 3 mg). „Das sind wunderbare Nachrichten, wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der pädiatrischen Patienten mit Typ-2-Diabetes auch adipös ist“, fügte Isganaitis hinzu.

 
Die Ergebnisse der Studien mit Liraglutid bei der Blutzuckerkontrolle bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes sind eindrucksvoll. Dr. Elvira Isganaitis
 

„Die Ergebnisse der Studien mit Liraglutid bei der Blutzuckerkontrolle bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes sind eindrucksvoll. Es hat einen Zusatznutzen hinsichtlich der Gewichtsabnahme und zugleich keine inakzeptablen Risiken oder Nebenwirkungen“, stimmte Copeland zu.

Weitere Studienergebnisse erwartet

Isaganaitis berichtete, dass auch einige Phase-3-Studien mit anderen Therapien für Patienten in der Pädiatrie vor der Veröffentlichung stehen. Die 24-wöchige Phase-3-Studie T2GO mit dem Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT2)-Inhibitor Dapagliflozin (AstraZeneca) versus Placebo bei 72 Patienten mit Typ-2-Diabetes im Alter von 10-24 Jahren wurde im April 2020 abgeschlossen. Die Daten werden derzeit ausgewertet.

Eine von AstraZeneca gesponserte Phase-3-Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit wöchentlicher Injektionen des GLP-1-Rezeptoragonisten Exenatid bei 10-17Jährigen mit Typ-2-Diabetes (n = 82) wurde auch abgeschlossen, und die Daten werden analysiert.

Eine von Takeda gesponserte pädiatrische Phase-3-Studie mit dem Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Hemmer Alogliptin bei 10-17Jährigen mit Typ-2-Diabetes (n = 150) wird schätzungsweise im Februar 2022 fertig.

Und die Phase-3-Studie DINAMO, gesponsert von Boehringer Ingelheim, die die Wirksamkeit und Sicherheit des SGLT2-Inhibitors Empagliflozin (10 mg/25 mg) gegenüber dem DPP-Inhibitor Linagliptin (5 mg) und gegenüber Placebo über 26 Wochen bei 10-17Jährigen mit Typ-2-Diabetes (ca. 190 Teilnehmer) prüft, wird voraussichtlich im Mai 2023 fertiggestellt.

„Ich hoffe, dass diese Medikamente sich als wirksam erweisen und es pädiatrischen Patienten mit Typ-2-Diabetes ermöglichen, mehr Therapieoptionen zu haben“, schloss Isaganaitis.

Typ-2-Diabetes ist bei Kindern aggressiver als Typ-1-Diabetes

Laut Isaganaitis „besteht eine in der Allgemeinbevölkerung und sogar bei manchen Ärzten verbreitete Fehleinschätzung, dass Typ-2-Diabetes irgendwie weniger besorgniserregend oder ‚milder‘ ist als die Diagnose eines Typ-1-Diabetes.“

Stattdessen ist das Risiko für Komplikationen und schwere Morbidität bei einem Kind mit der Diagnose eines Typ-2-Diabtes höher als bei Typ-1-Diabetes. Daher „muss diese Erkrankung gründlich von einem multidisziplinären Team gemanagt werden, das pädiatrische Endokrinologie, Ernährungsberatung, Diabetes-Schulung und psychologische Unterstützung einschließt“, betonte sie. Viele Menschen glaubten auch, „Typ-2-Diabetes bei Kindern sei eine Lebensstil- Erkrankung“, fuhr sie fort, „tatsächlich spielen die Gene aber eine große Rolle.“

Das ausgewählte Abstract des ADA-Präsidenten „zeichnet ein Bild des juvenilen Diabetes als Erkrankung mit einer Zwischenstellung zwischen den Extremen eines monogenetischen Diabetes (verursacht durch Mutationen in einem einzelnen Gen) und dem Typ-2-Diabetes (verursacht durch verschiedene Gene und Lebensstilfaktoren wie Adipositas), an der genetische Varianten sowohl der Insulinsekretion als auch bei den Signalwegen der Insulinantwort beteiligt sind.“

Passend dazu präsentierte Isganaitis beim Kongress in einem Vortrag ein Abstract, wonach unter Kindern und Jugendlichen mit neudiagnostiziertem Typ-2-Diabetes diejenigen, deren Mütter Diabetes hatten, einen schnelleren Krankheitsprogress hatten und früher Komplikationen bekamen.

Dieser Artikel wurde von Dr. Bianca Bach aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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