Mit kontinuierlichen Messungen gelingt Diabetes-Patienten die gkykämische Kontrolle deutlich besser als mit den herkömmlichen sporadischen Bluttests. Für die intensivierte Insulintherapie wurde das bereits mehrfach nachgewiesen. Nun liefert eine große retrospektive Kohortenstudie erneut eine Bestätigung [1]. Aber es profitieren auch Patienten, die nur Basalinsulin anwenden, und zwar unabhängig von Alter, sozioökonomischem Status und Rechenfähigkeit, wie eine randomisierte Studie belegt [2].
„Gemäß den G-BA-Vorgaben empfehlen wir in unserer Praxis die kontinuierliche Glukosemessung CGM vor allem jenen Patienten, die mehrmals täglich Insulin spritzen oder per Insulinpumpe dosieren“, berichtet Sandra Schlüter im Gespräch mit Medscape über ihre aktuelle Behandlungsstrategie. Die Ärztin in der Diabetespraxis Northeim und Vorstand der Arbeitsgruppe Diabetes & Technologie AGDT der Deutschen Diabetes Gesellschaft DDG ergänzt: „Schätzungsweise rund 80% unserer Patienten mit Typ-1-Diabetes und rund 30% mit Typ-2-Diabetes nutzen ein solches Gerät.“
Es seien im allgemeinen Menschen, die sich ständig mit der Frage beschäftigen müssen: Wie dosieren, wenn ich dies oder jenes esse und mich mit einer bestimmten Intensität und Dauer bewege? „Patienten, die für eine CGM in Frage kommen, sprechen wir direkt darauf an. Manche lehnen ab, etwa weil sie es als unangenehm empfinden, von so komplexen Apparaten abhängig zu sein.“
Basalinsulin allein dominiert in der Insulintherapie
Doch hilft die CGM auch bei einer Therapie ausschließlich mit Basalinsulin? Aussagekräftige Studien dazu fehlen, obwohl gerade die Zahl dieser Patienten enorm ist: Sie machen 2 Drittel der Insulin-Anwender mit Typ-2-Diabetes aus. Nur ein Drittel nimmt zusätzlich prandiales Insulin. Insgesamt gesehen sind etwa 30% der Diabetes-Patienten auf eine Zufuhr des Hormons angewiesen, aber ein großer Teil erreicht trotzdem nicht den wünschenswerten HbA1c-Bereich.
Eine randomisierte Studie zur CGM bei der Kombination Typ-2-Diabetes und Basalinsulin präsentieren Forscher um Prof. Dr. Thomas W. Martens, Direktor eines Diabeteszentrums in Minneapolis [2]. An 15 Kliniken in den USA nahmen sie rund 180 Patienten auf, die von ihren Hausärzten betreut wurden, was die reale Situation am besten widerspiegelt.
Sozial schwächere Menschen wurden explizit berücksichtigt
Die Autoren erläutern: „Eine Stärke der Studie besteht in der Vielfalt von ethnischer Herkunft, Einkommen und Bildung der Teilnehmer. Jeweils mehr als die Hälfte besaß keinen Hochschulabschluss, war nicht weiß und nicht privat versichert.“ Von diesen Bevölkerungsgruppen sei bekannt, dass sie einerseits gehäuft an Typ-2-Diabetes erkranken, andererseits Behandlungspläne oft schlecht einhalten, eine erhöhte Rate an Diabetes-Komplikationen und Komorbiditäten haben, aber nur eingeschränkt Zugang zu hochwertiger Medizin und neuen Technologien.
Obgleich die Patienten teilweise zusätzlich orale Antidiabetika nahmen, meist Metformin, hatten sie anfangs einen zu hohen HbA1c: im Mittel 9,1%. Alle wurden gebeten, 1- bis 3-mal täglich mit einem üblichen Gerät eine Blutprobe zu testen. Für ein Drittel war das die einzige Option, 2 Drittel erhielten außerdem das CGM-Gerät Dexcom G6. Es funktioniert mit einem Sensor, der per Applikator unter der Haut platziert wird – Verweildauer jeweils 10 Tage.
Bildungsgrad und Rechenfähigkeit spielten keine Rolle
Nach 8 Monaten stellte sich heraus, dass Patienten mit CGM täglich 3,6 Stunden länger im günstigen Blutzuckerbereich von 70 bis 180 mg/dL verbracht hatten als die Referenzgruppe. Mit CGM war der mittlere HbA1c auf 8% gesunken, ohne CGM bloß auf 8,4%. Auch das Risiko einer schweren Hypoglykämie war mit kontinuierlichen Messungen halbiert – 1% zu 2%.
Subgruppenanalysen zufolge erstreckte sich der Nutzen der CGM auf alle Teilnehmer, unabhängig von ihren persönlichen Merkmalen. Entsprechend kreuzten sie auf einer Skala hohe Werte für Zufriedenheit und niedrige für Ärger an.
Die bessere glykämische Kontrolle gelinge wohl hauptsächlich deshalb, weil die Patienten als Reaktion auf die ständigen Messwerte die Insulintherapie sorgfältiger befolgen, ihre Ernährung umstellen und sich mehr bewegen, schreiben Prof. Dr. Monica E. Peek und Prof. Dr. Celeste C. Thomas von der Universität Chicago in ihrem Editorial [3].
Verbesserung ja, aber immer noch kein Optimum
Trotzdem hatte offensichtlich ein erheblicher Teil der Nutzer selbst mit dem modernen Verfahren überhöhte Glukosewerte. Hier scheine eine Intensivierung der Therapie ratsam, so die Forscher. Und die Kommentatorinnen stellen beinah resigniert fest: „Die Diabeteskontrolle bleibt schwer.“
Schlüter sagt dazu: „Wer mit Metformin allein auskommt, hat meist kein Problem, den Blutzucker ohne CGM zu regulieren. Bei Patienten mit Insulintherapie muss man individuell entscheiden: Sie profitieren umso mehr von der Methode, je stärker ihr Glukosespiegel schwankt, zum Beispiel wenn sie einen unregelmäßigen Tagesablauf haben – wie bei Schichtdiensten – oder sehr schlank sind.“
Sinnvoll sei die CGM außerdem für Menschen mit körperlich anstrengenden Tätigkeiten oder in gefährlichen Berufen wie Dachdecker, die ständig vor Unfällen auf der Hut sein müssen.
Als weitere wichtige Indikation für die CGM nennt Schlüter die Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung. Dazu kommt es, wenn der Blutzucker öfter mal niedrig ist, so dass sich der Körper allmählich daran gewöhnt und keine Stresshormone als Warnsignal mehr ausschüttet. Das endet gelegentlich in plötzlicher Bewusstlosigkeit.
CGM hilft, eine Hypoglykämie rechtzeitig zu bemerken
Einen weiteren Blickwinkel beleuchtet ein Team um Prof. Dr. Andrew J. Karter von der Kaiser-Permanente-Forschungsabteilung in Oakland [1]. Sie starteten eine umfangreiche Beobachtungsstudie, weil dieser Ansatz bisher fehlte.
Die rund 3.800 Teilnehmer mit CGM erhielten fast durchweg Basal- plus Bolusinsulin. Ihre Daten stammten aus dem Diabetes-Typ-1/2-Register des Gesundheitsfürsorge-Unternehmens, ebenso die Vergleichsgruppe: gut 38.000 Patienten mit beliebiger Insulintherapie, aber ohne CGM.
Je eifriger der Gebrauch, umso stärker der Effekt
Die Auswertung über die Zeit zwischen 2015 und 2019 ergab: Mit episodischen Selbstkontrollen war der HbA1c konstant geblieben, mit CGM dagegen von 8,2% auf 7,8% gesunken. Dabei zeigte sich sozusagen eine Dosis-Wirkungsbeziehung: Je mehr das Verfahren genutzt wurde, umso deutlicher fielen die Verbesserungen aus.
Zudem hatte sich die Rate der Hypoglykämien mit CGM von 5,1% auf 3% verringert, während sie ohne kontinuierliches Feedback leicht gestiegen war. Schlüter merkt dazu an: „Ein zu niedriger Glukosespiegel kann die Patienten in ziemlich kritische Situationen bringen, besonders bei Typ-1-Diabetes. Zum Glück lässt sich durch Essen effektiv gegensteuern.“
Anders bei Hyperglykämien: Hier ermittelten die Kaiser-Permanente-Forscher keine wesentlichen Unterschiede. „Ein erhöhter Blutzucker wirkt sich nicht so gravierend aus, die Patienten bleiben handlungsfähig“, sagt Schlüter. „Nachteil ist allerdings, dass es nach einer Insulininjektion, die ja üblicherweise ins untere Fettgewebe erfolgt, mindestens 2 bis 3 Stunden bis zum Normalzustand dauert. Man müsste schon physiologischere Zugänge fürs Insulin nutzen können, um effektiver zu steuern.“
Die Daten ermöglichen eine Online-Beratung
Die Kohortenstudie brachte einen weiteren Pluspunkt der CGM ans Licht: Pro Jahr wandten sich die Patienten signifikant seltener an eine Ambulanz, nahmen dafür jedoch häufiger eine Beratung per Telefon in Anspruch.
Vorschlag des Editorials: Eine solche Mischung aus zunächst persönlichen, dann virtuellen Konsultationen biete ein gutes Modell für Hausärzte, zumal in Kooperation mit spezialisierten Fachkräften. An sie könnten die Patienten dann ihre CGM-Daten senden und eventuelle Schwierigkeiten besprechen.
In der Karter-Studie bestätigte sich, dass unterprivilegierte Menschen seltener eine CGM verschrieben bekommen. Diese „bemerkenswerten Unterschiede“ seien eine Quelle für eine potenzielle Verfälschung der Ergebnisse, schreiben die Autoren. Sie plädieren dafür, zu erforschen, „welche Barrieren Ärzte und Patienten auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung überwinden müssten“.
Mehr Kulanz bei der Bewilligung – aber die Kosten
Peek und ihre Kollegin betonen, der in den Studien erwiesene breite Nutzen der CGM habe bedeutende Implikationen für die Gesundheitspolitik, etwa die strengen Richtlinien der American Diabetes Association oder der Versicherung Medicare. „Es ist an der Zeit, die Kriterien für die Bewilligung der CGM so zu überarbeiten, dass sie die wissenschaftliche Evidenz widerspiegeln“, fordern sie.
Schlüter wendet ein: „Natürlich wäre eine CGM für alle Menschen mit Diabetes zu begrüßen – aber ist das auch bezahlbar? Allein die Sensoren kosten pro Monat über 100 Euro, hinzukommt, dass die interstitielle CGM mit Bluttests überprüft werden sollte. Hohe Kosten also, wenn man bedenkt, dass nicht einmal bei allen Diabetesformen die Blutzucker-Teststreifen erstattet werden.“
Kontinuierliche Glukosemessung (CGM)
Die kontinuierliche Glukosemessung in Echtzeit CGM bedeute einen Paradigmenwechsel – ähnlich wie 1983 die Einführung eines Messgeräts für den Hausgebrauch, heißt es in einem AGDT-Statement. Die Methode werde sich immer mehr durchsetzen, denn noch sei sie nicht allzu verbreitet.
Die Schätzungen für Typ-1-Diabetes: maximal die Hälfte der Patienten mit intensivierter Pen-Insulintherapie, vermutlich mehr bei Nutzern einer Insulinpumpe, Jüngeren und Kindern.
Patienten mit Typ-2-Diabetes bedienen sich der CGM zwar prozentual deutlich seltener, aber durch die enorme Prävalenz der Erkrankung liegt die absolute Zahl der Anwender höher – mehr als 1,5 Millionen weltweit.
Die Methode steigert die Sicherheit, weil sich Insulin genauer dosieren lässt als mit der episodischen Bestimmung in Kapillarblut. So hat die deutsche HypoDE-Studie 2018 eine Reduktion von Hypoglykämien und HbA1c nachgewiesen. Seit dem G-BA-Beschluss vom Juni 2016 werden die Geräte in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen vergütet, sofern die Patienten – Kinder und Erwachsene – eine intensivierte Insulin- oder Insulinpumpentherapie benötigen und eine GCM-Schulung erhalten.
2 Prinzipien sind verwirklicht: entweder Nadelsensoren, die das in Polymer eingebettete Enzym Glukoseoxidase enthalten, oder implantierbare Sensoren, die optisch mit Fluoreszenz funktionieren. Damit messen die Geräte alle 5 Minuten den Glukosegehalt in der Zwischenzellflüssigkeit und schicken die Daten über einen Transmitter an ein Smartphone, von wo aus eine Weiterleitung etwa an Arzt, Betreuer oder Freunde möglich ist.
Die Anwender können gegenwärtige, retro- und prospektive Infos ablesen: den aktuellen Wert des Zuckers als Ziffer, die früheren Daten als Kurve und den künftigen Trend per Pfeil. Hinzu kommen Vorschläge zur Insulindosis je nach Mahlzeit und Aktivität, zum Zeitpunkt der Applikation und ein individuell einstellbarer Alarm, der vor Unter- oder Überzuckerung warnt. Auf dieser Basis können die Patienten ihre Entscheidungen treffen (Replacement Claim).
Allerdings dürfen sie nicht blind auf Autopilot schalten. So können bei schnellen Glukoseänderungen die Konzentrationen in Blut und Interstitium erheblich voneinander abweichen. Manchmal ist zusätzlich ein konventioneller Test ratsam, zum Beispiel bei Einnahme von Medikamenten wie Paracetamol oder Substanzen wie Vitamin C. Einen sachgerechten Umgang vermittelt das Schulungsprogramm SPECTRUM der AGDT.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Ständige Zucker-Kontrolle für alle? Mehr Diabetiker könnten von CGM-Geräten profitieren – unabhängig von ihrer Insulintherapie - Medscape - 29. Jul 2021.
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