Neuer Immun-Test für Darmkrebs hat deutliche Vorteile; Patienten von Krebszentren leben länger; S3-Leitlinie Komplementärmedizin

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

27. Juli 2021

Im Onko-Blog dieser Woche geht es u.a. um die Früherkennung des Kolonkarzinoms – mit einem immunologischen Multitarget-Test können fortgeschrittene Neoplasien wie Adenome oder Polypen besser erkannt werden als mit dem Standard-Test. In klinischen Studien mit Immuncheckpoint-Inhibitoren korreliert die Ansprechrate als Endpunkt schlecht mit dem harten Endpunkt Überleben. Patienten, die in zertifizierten Krebszentren behandelt werden, haben höhere Überlebenschancen und werden kostengünstiger therapiert. Und: es gibt nun eine S3-Leitlinie zur komplementären Therapie von Krebserkrankungen.

  • Kolonkarzinom: Immunologischer Multitarget-Test besser als Standard

  • B-Zell-Lymphom: Tafasitamab als neue Therapieoption

  • Immuncheckpoint-Inhibitoren: Endpunkt Ansprechrate als Endpunkt korreliert schlecht mit Überleben

  • Zertifizierte Krebszentren: längeres Überleben, geringere Kosten

  • Komplementärmedizin in der Onkologie: Neue S3-Leitlinie erschienen

Krebs: Warum lösen identische Mutationen unterschiedliche Erkrankungen aus?

Kolonkarzinom: Immunologischer Multitarget-Test besser als Standard

Ein fäkaler immunologischer Multitarget-Test (mtFIT) war diagnostisch genauer bei der Erkennung von fortgeschrittenen Neoplasien im Darm als ein immunologischer Standard-Test (FIT). Eine holländische Arbeitsgruppe hatte die Tests in einer Studie verglichen und die Ergebnisse in den Annals of Internal Medicine publiziert.

Der fäkale immunologische Test (FIT) dient zum Nachweis von Hämoglobin im Stuhl. Er detektiert zwar Kolonkarzinome gut, aber fortgeschrittene Vorstufen wie Adenome und Polypen weniger zuverlässig.

Daher wurde ein neuer immunologischer Test entwickelt, der verschiedene Biomarker im Stuhl erkennen kann wie Hämoglobin Calprotectin und Serpin-Familie F-Member 2. Dieser mtFIT wurde bei 1.284 Personen mit unterschiedlichen Läsionen und 769 Kontrollpersonen mit dem Standard-FIT verglichen.

Der mtFIT hatte im Vergleich zum FIT eine kreuzvalidierte Sensitivität für ein Kolorektalkarzinom von 78,7% versus 80,9% und für eine fortgeschrittene Neoplasie von 42,9% versus 37,3% (p = 0,025). Der signifikante Unterschied beim Nachweis einer fortgeschrittenen Neoplasie war vor allem durch den besseren Nachweis eines fortgeschrittenen  Adenoms (37,8% versus 28,1%) bedingt.

Würden Patienten alle 2 Jahre den mtFIT mit einer Adhärenz von 73% anwenden, könnte das im Vergleich zum Standard FIT die Inzidenz für ein Kolorektalkarzinom und Tod um 12% bzw. 8% verringern. Bei einer Adhärenz von 100% würden diese Raten 17% bzw. 11% betragen. Eine prospektive Studie wird derzeit vorbereitet.

B-Zell-Lymphom: Tafasitamab als neue Therapieoption

Patienten mit rezidiviertem oder therapieresistenten diffus großzelligen B-Zell-Lymphom sprechen dauerhaft sehr gut auf eine Kombinationstherapie mit dem Antikörper Tafasitamab und dem Immunmodulator Lenalidomid an. Dr. Johannes Düll, Medizinische Klinik II des Uniklinikums Würzburg, veröffentlichte mit einer internationalen Arbeitsgruppe Ergebnisse einer Langzeitbeobachtung zur multizentrischen Phase-2-Studie L-MIND in Haematologica .

Tafasitamab ist ein humanisierter Fc-modifizierter zytolytischer gegen CD19 gerichteter Antikörper. In der offenen, einarmigen Phase-2-Studie L-MIND war er zusammen mit Lenalidomid bei 80 Patienten mit rezidiviertem oder refraktären großzelligen B-Zell-Lymphom eingesetzt worden. Wie in Lancet Oncology berichtet, sprachen 43% der Patienten nach einer Nachbeobachtungszeit von 13,2 Monaten im Median komplett und 185 partiell an.

Die guten Ansprechraten wurden nun nach mehr als 35 Monaten Nachbeobachtungszeit bestätigt: 40% der Patienten sprachen komplett und 17,5% partiell an Die mediane Ansprechdauer lag bei 43,9 Monaten, das mediane progressionsfreie Überleben bei 11,6 Monaten und das mediane Gesamtüberleben bei 33,5 Monaten.

„Im Gegensatz zu anderen Antikörper-Therapien sieht es so aus, als könnte Tafasitamab plus Lenalidomid für lang anhaltende Remissionen sorgen“, so Düll in einer Pressemitteilung. Weitere Vorteile seien, dass die Behandlung Chemotherapie-frei, sofort einsetzbar und ambulant anwendbar sei.

Die Food and Drug Administration (FDA) hat Tafasitamab Ende Juli 2020 zugelassen, die Europäische Zulassungsbehörde (EMA) hat Ende Juni 2021 eine bedingte Zulassung empfohlen.

Immuncheckpoint-Inhibitoren: Endpunkt Ansprechrate korreliert schlecht mit Überleben

Das Ansprechen eines Tumors (ORR), ein über 6 Monate anhaltendes Ansprechen (6-Monats-DR) und das komplette Ansprechen (CR) sind schlechte Surrogat-Endpunkte für das Gesamtüberleben (OS) in Studien mit Immuncheckpoint-Inhibitoren. Wie eine australische Arbeitsgruppe im JCO Precision Oncology berichtete, war jedoch bei Auswertung nach Studienarmen eine Korrelation zwischen ORR und 6-Monats-DR mit dem 12-Monats-OS festzustellen. Dieser Befund belege, dass das Ansprechen als Endpunkt in frühen nicht randomisierten Studien zum Screening der Aktivität neuer Substanzen eingesetzt werden könne, so die Autoren.

Die australischen Forscher analysierten 58 randomisierte kontrollierte und 20 nicht randomisierte kontrollierte Studien mit Immuncheckpoint-Inhibitoren bei soliden Tumoren, die zwischen Januar 2000 und März 2020 publiziert worden waren. 63% waren Studien der Phase 3, das Gesamtüberleben war in 40% der Studien primärer Endpunkt.

Bei relativen Therapievergleichen waren die Korrelationen zwischen der ORR-Risk-Ratio und der OS-Hazard-Ratio (HR) mit r= 0,58, zwischen der 6-Monats-DR-Risko Ratio und der OS-Hazard-Ratio mit r = 0,62 und der CR-Risk Ratio und der OS-Hazard-Ratio mit r = 0,42 schlecht.

Wurden nur die Ergebnisse in den Immuncheckpoint-Inhibitor-Armen betrachtet, war die Korrelation zwischen Ansprechen und 12-Monats-Überleben mit 0,76 sowie zwischen 6-Monats-DR und 12-Monats-Überleben mit 0,84 besser.

„Das Gesamtüberleben bleibt der klinisch wichtigste Endpunkt in Immuntherapie-Studien. Ansprechrate und Dauer des Ansprechens können zum Screening neuer Substanzen in nichtrandomisierten Studien in frühen Entwicklungsphasen sinnvolle Parameter sein“, so das Fazit der Autoren.

Zertifizierte Krebszentren: längeres Überleben, geringere Kosten

Patienten, die in zertifizierten Krebszentren behandelt wurden, überleben nicht nur länger als Patienten in nicht-zertifizierten Kliniken, sondern verursachen auch geringere Kosten.

Dies ermittelten Gesundheitsökonomen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) gemeinsam mit Versorgungsforschern der TU Dresden am Beispiel Darmkrebs. Ihre im International Journal of Cancer publizierte Studie zeigt, dass der mit der Zertifizierung von Krebszentren verknüpfte Aufwand durch die effizientere Versorgung überkompensiert wird: Die Behandlung von Darmkrebspatienten in zertifizierten Zentren ist geeignet, die Prognose zu verbessern, ohne eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung für das Gesundheitssystem zu schaffen.

Zur Verbesserung der medizinischen Versorgung onkologischer Patienten wurde in den 2000er Jahren in Deutschland ein Stufenmodell der onkologischen Versorgungsstrukturen etabliert. Die Basis bilden Organkrebszentren, die auf eine bestimmte Krebsart spezialisiert sind („Cs“). Die zweite Ebene stellen Onkologische Zentren („Cancer Centers“, „CCs“) dar, die für die Behandlung mehrerer Tumorentitäten zertifiziert sind.

Dazu kommen die von der Deutschen Krebshilfe akkreditierten „Onkologischen Spitzenzentren“ (Comprehensive Cancer Centers, „CCCs“), die an Universitätsklinika die multidisziplinäre Versorgung eines sehr breiten Spektrums von Krebserkrankungen mit Forschung und Entwicklung neuer Krebstherapien kombinieren.

Weil in den zertifizierten Zentren zusätzliche Kosten für die die höhere Versorgungsqualität anfallen, analysierte nun die Arbeitsgruppe anhand der Daten von 6.186 Patienten mit Darmkrebs die Kosten-Effektivität.

Die annualisierten Netto-Behandlungskosten für Dickdarmkrebs zeigten eine U-Form mit hohen Kosten in der Anfangsphase mit einem Mittelwert von 26.855 € und in der Endphase mit einem Mittelwert von 30.096 €.

Die Ergebnisse des Kosten-Effektivitätsanalyse und alle Sensitivitätsanalysen ergaben durchweg ein längeres Überleben und niedrigere Kosten für die Patienten mit Kolonkarzinom, die in einem zertifizierten Zentrum im Vergleich zu nichtzertifizierten Zentren behandelt wurden.

Komplementärmedizin in der Onkologie: Neue S3-Leitlinie erschienen

Das Leitlinienprogramm Onkologie hat unter Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient*innen“ erarbeitet. Es wurden 155 Empfehlungen bzw. Statements formuliert, die nicht nur Onkologen, sondern allen Haus- und Fachärzte, die Krebskranke begleiten und behandeln, wichtige Empfehlungen und Informationen zur vorliegenden Evidenz bieten.

Die S3-Leitlinie beurteilt nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin die wichtigsten zur komplementären und alternativen Medizin zählenden Methoden, Verfahren und Substanzen, die derzeit in Deutschland genutzt bzw. angeboten werden, so eine Pressemitteilung .

Die umfangreiche Dokumentation der Leitlinie zeigt, dass für die meisten Methoden der komplementären Medizin nur wenig wissenschaftliche Daten vorliegen. Hinzu kommt, dass in vielen Studien nur wenige Probanden aufgenommen worden waren oder dass eine adäquate Vergleichsgruppe fehlte.

Solche Studien sind methodisch kritisch zu betrachten und die Interpretation der Ergebnisse ist damit eingeschränkt. Während einige Studien zeigen, dass sich die Anwendung komplementärmedizinischer Methoden günstig auf bestimmte Nebenwirkungen der onkologischen Therapie oder auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken kann, gibt es nur in wenigen Studien systematisch erfasste Daten zu potenziellen Schäden wie Nebenwirkungen und Interaktionen komplementärer oder alternativer Methoden.

Potenzielle Arzneimittelinteraktionen sind jedoch in der Onkologie von Bedeutung, denn sie können unter anderem die Wirksamkeit der Tumortherapie oder der supportiven Therapie verringern oder auch verstärkte Nebenwirkungen zur Folge haben.

Hinzu kommen Nebenwirkungen, z. B. von Phytotherapeutika, die sich in einer Organtoxizität äußern können. Diese werden ggf. nicht als primäre Folge der komplementären Therapie, sondern als Folge der Tumortherapie gedeutet. Dies kann zu Therapieentscheidungen führen, die für die Krebsbetroffenen erhebliche Konsequenzen haben, wenn z. B. Tumortherapien geändert, reduziert oder abgesetzt werden.

An der S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient*innen“ waren insgesamt 72 ehrenamtlich arbeitende Experten aus 46 Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt. Die Leitlinie ist online abrufbar.

Krebs: Warum lösen identische Mutationen unterschiedliche Erkrankungen aus?

Zellen, die aus verschiedenen Organen stammen, sind unterschiedlich empfänglich für aktivierende Mutationen in krebstreibenden Genen: Die gleiche Mutation in Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse führt zu grundlegend anderen Ergebnissen als im Gallengang.

Wissenschaftler vom Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung (DKTK), der Technischen Universität München (TUM) und der Universitätsmedizin Göttingen entdeckten erstmals, dass gewebespezifische genetische Interaktionen für die unterschiedliche Anfälligkeit von Gallengangs- und Bauchspeicheldrüsengewebe für krebstreibende Mutationen verantwortlich sind. Die in Cancer Discovery publizierten Ergebnisse können nach Ansicht der Autoren dabei helfen, in Zukunft präzisere Therapien gegen diese Krebsarten zu entwickeln.

Das Team untersuchte die Entwicklung von Gallengangs- und Bauchspeicheldrüsenkrebs in Mäusen, bei denen die normalen Onkogene PIK3CA und KRAS durch mutierte Versionen ersetzt wurden. Diese Mutationen waren mit denen identisch, die die beiden Krebsarten beim Menschen antreiben.

Die Expression der mutierten Onkogene in den gemeinsamen Vorläuferzellen des Gallengangs und in der Bauchspeicheldrüse führte jedoch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Mäuse mit dem mutierten PI3K-Gen entwickelten überwiegend Gallengangkrebs, Mäuse mit dem mutierten KRAS-Gen dagegen ausschließlich Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Dies war unerwartet, da beide Gene in beiden menschlichen Krebsarten mutiert sind. Weitere Analysen des Teams deckten die zugrundeliegenden genetischen Prozesse auf, die zu der unterschiedlichen Empfindlichkeit gegenüber den krebstreibenden Mutationen führen.

Zum Beispiel konnte das Team in den Mäusen genetische Programme identifizieren, die die Entwicklung der beiden Krebsarten vorantreiben. So kooperieren verschiedene genetische Ereignisse und überaktivieren dadurch den PI3K-Signalweg, was die Zellen bösartig entarten lässt. Andere Mutationen setzten regulatorische Proteine außer Kraft, so dass sie ihre Fähigkeit verlieren, das Fortschreiten der Erkrankung zu bremsen.

„Das Verständnis der genetischen Wechselwirkungen in verschiedenen Krebsarten kann in Zukunft zu präziseren therapeutischen Entscheidungen führen", erläuterte Prof. Dr. Günter Schneider von der Universitätsmedizin Göttingen in einer Pressemitteilung.

„Das Konzept, dass gewebespezifische genetische Interaktionen die Krebsentwicklung vorantreiben, zeigt, dass kein einzelnes Gen das Ansprechen einer Krebserkrankung auf eine bestimmte Therapie vorhersagen kann", so Prof. Dr. Dieter Saur, Universitätsklinikum rechts der Isar, München. „Um die Präzisionsmedizin auf die nächste Stufe zu heben, müssen wir in Zukunft besser verstehen, welche gewebespezifischen Determinanten ein therapeutisches Ansprechen oder eine Resistenz bestimmen.“

 

Kommentar

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