Nahrungsmittelallergien werden in der westlichen Welt zunehmend relevant. Bedrohlich sind nicht nur häufig schwere allergische Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen nach Konsum von Nahrungsmitteln mit hoher allergischer Potenz wie Erdnüssen, Kuhmilch oder Hühnereiern. Nicht selten entwickeln Menschen auch erst im Erwachsenenalter Symptome. Die Sensibilisierung geben Nahrungsmittelallergene ist auch inhalativ über Aerosole oder kreuzreaktiv über Pollen oder Hausstaubmilbenallergene möglich.
Beim Hybrid-Kongress der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) 2021 zogen Experten Bilanz und informierten über Möglichkeiten der Prävention und das Management von Patienten mit multiplen Sensibilisierungen gegen Nahrungsmittelallergene [1].
„Sowohl Häufigkeit als auch Schweregrad und Persistenz von Nahrungsmittelallergien nehmen zu“, wie Dr. Alexandra Santos vom King´s College London berichtet hat. Rund 8% der Bevölkerung in westlichen Industrienationen im Alter bis 17 Jahre haben derzeit eine orale Nahrungsmittelallergie, oft gegen mehrere Allergene, und rund 40% von ihnen entwickeln schwere Symptome bis hin zur Anaphylaxie. Als mögliche Gründe für den Anstieg der Zahlen nannte die pädiatrische Allergologin die zunehmende Exposition gegenüber Allergenen, Mikroben und weiteren ungünstigen Umgebungsfaktoren sowie die Ausbreitung von atopischen Ekzemen bei Kleinkindern.
„Primäre Nahrungsmittelallergien beruhen auf einer Sensibilisierung gegenüber Nahrungsmittelallergenen via Gastrointestinaltrakt und Haut“, erklärte Prof. Dr. Barbara Ballmer-Weber, Allergologin am Kantonsspital St. Gallen. Sekundäre Nahrungsmittelallergien werden hingegen getriggert durch Sensibilisierungen z.B. gegenüber Pollen oder Hausstaubmilbenallergenen. Bekannt sind Kreuzreaktionen von Patienten mit Birkenpollenallergien oder Polysensibilisierungen, die zu Nahrungsmittelallergien führen können.
Aber auch regelmäßiger Cannabis-Konsum wurde nach Angaben von Ballmer-Weber in einer US-Studie bei 2.671 Personen im Alter von 20 bis 59 Jahren mit einer Hypersensitivität gegenüber multiplen Allergenen assoziiert, darunter auch Sensibilisierungen gegen Eiweiß- und Kuhmilchallergene.
In der Prävention im Fokus steht die IgE-vermittelte Allergiekarriere bei Kleinkindern und Säuglingen, die zur primären Klasse-I-Nahrungsmittelallergie führt. Symptome werden am häufigsten bei Konsum von Erdnüssen, Eiern oder Kuhmilch ausgelöst. Zu den Hauptrisikofaktoren zählt das frühzeitige Auftreten eines atopischen Ekzems, das die Tür weit öffnet für Sensibilisierungen über die Haut.
Bei solchen Risikokindern werde aber nicht zur Meidung von Nahrungsmittelallergenen geraten, betonte Santos. Im Gegenteil: Mit der Einführung allergener Kost, vor allem hartgekochten Hühnereiern und Erdnüssen, sollte nach einer Leitlinie der EAACI bei Säuglingen generell frühzeitig begonnen werden, nach Angaben von Santos am besten bereits im 4. bis 6. Lebensmonat, spätestens beim Abstillen nach 6 Monaten. In Studien wurde belegt, dass die frühzeitige Einführung von Erdnüssen in die Diät mit einer verringerten Erdnussallergie-Prävalenz im Alter von 5 Jahren korreliert.
Diskussion über Hygiene-Hypothese
Deutliche Hinweise gibt es auch dafür, dass in großen Familien und in Haushalten mit Hunden das Risiko für Nahrungsmittelallergien verringert ist. Ähnlich wie bei der Pathogenese von allergischem Asthma wird auch bei der Entstehung von Nahrungsmittelallergien die Hygiene-Hypothese diskutiert. Der frühzeitige Kontakt zu Mikroben und Allergenen erhöht vermutlich die Diversität des Mikrobioms und bewirkt eine Immunmodulation – diese Effekte könnten zur Vorbeugung von Nahrungsmittelallergien beitragen. Allerdings gebe es bisher keine Studien, die einen positiven Effekt einer aktiven Beeinflussung des Mikrobioms belegten, zum Beispiel durch Gabe von Pro- oder Präbiotika, berichtete Santos.
Das Gleiche gilt für die Hypothese, dass ein Vitamin-D-Mangel zum Auftreten von Nahrungsmittelallergien beitragen könnte. Zwar gebe es hierfür indirekte Hinweise, etwa eine verringerte Prävalenz in Regionen mit intensiver Sonnenlichtexposition, aber Interventionsstudien hätten ebenfalls keinen Nutzen gezeigt, so die Allergologin weiter.
Fazit: Die Präventionsmöglichkeiten sind im Kleinkindesalter begrenzt. Eindeutig belegt rar und beschränken sich auf den Rat zur frühzeitigen Beikost von allergenen Nahrungsmitteln. Von einer prophylaktischen oralen Immuntherapie wird in der EAACI-Leitlinie abgeraten.
Allergien im Erwachsenenalter
Nicht selten entwickeln sich Nahrungsmittelallergien erst im Erwachsenenalter. Bis zu 10% der Erwachsenen hätten eine Nahrungsmittelallergie, und etwa die Hälfte von ihnen bekämen erst im fortgeschrittenen Alter Symptome, berichtete Prof. Dr. Andreas Lopata, Townsville, Australien. Bis zu einem Viertel dieser Allergien würden durch Allergene von Meerestieren hervorgerufen, vor allem von Crustaceen (Krebs- oder Krustentieren); häufig seien Menschen mit einer Allergie gegen Hausstaubmilben betroffen.
Bestimmte Berufsgruppen, etwa in der Fisch- oder Krustentier-verarbeitenden Industrie, sind durch Aerosolbildung von Nahrungsmittelallergenen am Arbeitsplatz gefährdet. „Inhalierte Nahrungsmittelallergene können der primäre Sensitizer sein“, betonte der Leiter der molekularen Allergologie an der James Cook-Universität. Sie verursachten eine Klasse-3-Nahrungsmittel-Allergie, bei der es nur selten zu allergischen Symptomen bei oraler Aufnahme, aber immer zu Symptomen bei Inhalation der Allergene kommt. Als Auslöser wurden bereits viele Proteine identifiziert, z.B. Tropomyosin, ein für Krustentiere typisches Allergen, das sehr hitzesensitiv ist und beim Kochen seine Allergenität verliert. Dies ist nicht immer gegeben: Parvalbumin etwa, ein Fischallergen, ist hitzestabil.
Auch Sensibilisierungen geben Pollen können kreuzreaktiv den Weg zu einer Nahrungsmittelallergie der Klasse 2 bahnen. Zu Symptomen kommt es immer bei oraler Aufnahme der sekundär allergenen Nahrungsmittel, aber selten bei Inhalation.
Der Schutz vor inhalativen Nahrungsmittelallergenen am Arbeitsplatz hat ein erhebliches Präventionspotential, das über die Vermeidung von Nahrungsmittelallergien hinausgeht. Nach Einschätzung von Lopata sind bis zu einem Viertel aller beruflich bedingten Rhinitis- und Asthmaerkrankungen auf Nahrungsmittel und Nahrungsmittelprodukte zurückzuführen.
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Das vertrag ich nicht! Die Zunahme der Nahrungsmittel-Allergien ist bedrohlich – warum sie schlimmer werden und was zu tun ist - Medscape - 26. Jul 2021.
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