Speiseröhre, Leber, Brust: Alkohol für 4% der neu diagnostizierten Krebserkrankungen verantwortlich. Braucht es Verbote?

Liam Davenport

Interessenkonflikte

22. Juli 2021

Alkoholkonsum war im Jahr 2020 für 4% aller weltweit diagnostizierten Krebserkrankungen verantwortlich, wobei 3 Viertel der Erkrankungen bei Männern auftraten. Am häufigsten waren die Karzinome in der Speiseröhre, der Leber und in der Brust lokalisiert.

Das Ergebnis stammt aus einer Analyse, die von der International Agency for Research on Cancer (IARC) durchgeführt wurde. Sie ist in The Lancet Oncology veröffentlicht worden [1].

„Wir müssen dringend das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebsrisiko bei politischen Entscheidungsträgern und der allgemeinen Öffentlichkeit schärfen“, sagte die Hauptautorin Harriet Rumgay, Biologin am Cancer Surveillance Branch der IARC in Lyon.

„Strategien im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie z.B. die eingeschränkte Verfügbarkeit von Alkohol, die Kennzeichnung von alkoholischen Produkten mit einem Warnhinweis und Vermarktungsverbote könnten die Rate der durch Alkohol verursachten Krebserkrankungen senken“, fügte sie hinzu. Sie wies darauf hin, dass die in Europa bereits eingeführte Steuer- und Preispolitik weltweit umgesetzt werden könnte.

Prof. Dr. Mark Petticrew, der an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, London, Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit evaluiert, stimmt in seinem Kommentar zu, dass es notwendig ist, das öffentliche Bewusstsein für dieses Risiko zu erhöhen.

 
Wir müssen dringend das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebsrisiko bei politischen Entscheidungsträgern und der allgemeinen Öffentlichkeit schärfen. Harriet Rumgay
 

Es gibt „eine Menge Fehlinformationen da draußen, einige davon von der Alkoholindustrie selbst. Die Öffentlichkeit braucht klare, unabhängige Informationen, und diese große, robuste Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Risiken“, so Petticrew weiter. Die Analyse „liefert weitere klare Beweise dafür, dass Alkoholkonsum zu einer erheblichen Belastung durch Krebs beiträgt, insbesondere starker Alkoholkonsum.“

Studiendetails auch zu Länderunterschieden

Um die Belastung durch alkoholbedingte Krebserkrankungen abzuschätzen, erfassten Rumgay und ihre Kollegen die Inzidenzdaten für eine Reihe von Krebsarten aus GLOBOCAN 2020.

Die Forscher nahmen eine 10-jährige Latenzzeit zwischen Alkoholkonsum und Krebsdiagnose an und bezogen dazu Schätzungen des Pro-Kopf-Alkoholkonsums für 2010 aus dem Global Information System on Alcohol and Health ein. Die Schätzungen wurden nach Alter und Geschlecht stratifiziert.

Die Ergebnisse legen nahe, dass 741.300 (4,1%) aller Krebsfälle im Jahr 2020 auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind, wobei 568.700 (76,7%) dieser Fälle bei Männern auftreten.

Die altersstandardisierte Inzidenzrate für alkoholbedingte Krebserkrankungen betrug 13,4 pro 100.000 bei Männern und 3,7 pro 100.000 bei Frauen.

Die häufigsten Krebsarten, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind, waren:

  • Speiseröhrenkrebs: 189.700 Fälle; 31,6%,

  • Leberkrebs: 154.700 Fälle; 17,3% und

  • Brustkrebs: 98.300 Fälle; 4,4%.

Starker Alkoholkonsum (definiert als >60 g/d), machte 46,7% der auf Alkohol zurückzuführenden Krebserkrankungen aus. Riskanter Alkoholkonsum (definiert als 20 bis 60 g/Tag) machte 29,4% aus. Und mäßiger Alkoholkonsum (<20 g/d, was etwa 2 Getränken pro Tag entspricht) trug zu 13,9% der Fälle von durch Alkohol verursachten Krebserkrankungen bei.

Die Analyse ergab auch, dass die größten Anteile der Krebsfälle, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind, in Ostasien (5,7%) und in Mittel- und Osteuropa (5,6%) zu finden sind. Am geringsten war der Anteil in Westasien (0,7%) und Nordafrika (0,3%).

Auf Länderebene kamen die Forscher für den geschätzte Anteil der auf Alkohol zurückzuführenden Krebsfälle zum Beispiel auf folgende Ergebnisse:

  • Mongolei 10% (am höchsten)

  • China 6%

  • Indien, Frankreich je 5%

  • Deutschland, Brasilien und dem Vereinigten Königreich bei je 4%

  • USA 3%

  • Kuwait 0% (am niedrigsten)       

Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den Krebsraten schreibt das Team: „Vor dem Hintergrund, dass Frauen einen größeren Anteil der bezahlten Arbeit übernommen haben, wird von einem Anstieg des Alkoholkonsums unter Frauen berichtet. Dieser Befund spiegelt sich deutlich in Ländern mit hohem Entwicklungsstand wider, in denen wir die höchste Belastung durch alkoholbedingte Krebserkrankungen bei Frauen und die ähnlichsten Verhältnisse von Männern und Frauen bei den alkoholbedingten Krebsraten sahen. In diesen Regionen war Brustkrebs der Hauptgrund für die hohen alkoholbedingten Krebsinzidenzraten bei Frauen“, so die Autoren.

Möglicherweise Unterschätzung des Risikos

In einem begleitenden Kommentar bestätigte Dr. Amy C. Justice vom Department of Medicine and Health Policy and Management der Yale University, West Haven, Connecticut, dass die Ergebnisse „nützlich“ seien, aber sie stellt infrage, wie der Alkoholkonsum gemessen wurde [2].

„Solange wir uns nicht mit den Einschränkungen bei der Erfassung des Alkoholkonsums befassen, unterschätzen wir womöglich die Gesundheitsrisiken, insbesondere die Krebsrisiken, die mit Alkohol verbunden sind“, warnt sie.

 
Solange wir uns nicht mit den Einschränkungen bei der Erfassung des Alkoholkonsums befassen, unterschätzen wir womöglich die Gesundheitsrisiken, insbesondere die Krebsrisiken, die mit Alkohol verbunden sind. Dr. Amy C. Justice
 

Die Verwendung kommerzieller Alkoholverkäufe zur Schätzung des Konsums weise „große Einschränkungen“ auf, und die Verwendung von Selbstberichten sei „noch schlimmer“, sagte sie.

„Darüber hinaus spiegeln weder kommerzielle Verkäufe noch aktuelle Selbstberichte den tatsächlichen Alkoholkonsum in der Vergangenheit wider“, was „besonders wichtige Auswirkungen auf genetische Studien ... und auf das Verständnis von Zusammenhängen zwischen Alkoholkonsum und Krebserkrankungen hat, die üblicherweise längere Latenzzeiten haben. Sicherlich können wir da einen besseren Job machen“, so Justice.

Sie schlägt vor, direkte Alkohol-Biomarker zu messen, wie z. B. Phosphatidylethanol (PEth), ein „ungewöhnliches“ Phospholipid, das sich im Beisein von Ethanol bildet und an rote Blutkörperchen bindet.

 
Weder kommerzielle Verkäufe noch aktuelle Selbstberichte spiegeln den tatsächlichen Alkoholkonsum in der Vergangenheit wider. Dr. Amy C. Justice
 

Die Messung der Werte im Lauf der Zeit, „gekoppelt mit einer sorgfältigen Anamnese des Konsums“, z.B. auf der Grundlage eines Biomarkers, könnte helfen, nicht nur die aktuelle, sondern auch die vergangene Alkoholexposition zu bestimmen. „Wir fragen Menschen mit Diabetes ja auch nicht, wie hoch ihr glykosyliertes Hämoglobin ist, wir überprüfen es“, betonte Justice. „Dann besprechen wir ihr Risiko für nachteilige gesundheitliche Folgen auf der Grundlage der Testergebnisse und ihres persönlichen Risikoprofils. Wir sollten einen ähnlichen Ansatz bei der Beratung von Patienten bezüglich des Risikos durch Alkohol verwenden“, sagte sie.

Stärkere Aufklärung und mehr politische Maßnahmen nötig

In einem Kommentar für das UK Science Media Center beschrieb Dr. Sadie Boniface, Forschungsleiterin am Institute of Alcohol Studies des King's College London, die neue Analyse als „umfassend und gut durchdacht“. Sie fügte hinzu, dass die Ergebnisse „mit anderen Studien übereinstimmen und Wissenschaftler bereits wussten, dass Alkohol 7 Arten von Krebs verursacht“, darunter Brust-, Speiseröhren-, Mund- und Kehlkopfkrebs.

Allerdings sei dieses Risiko der Öffentlichkeit nicht gut vermittelt worden, sagte sie. In Großbritannien stelle eine mögliche künftige Alkoholkennzeichnung eine „echte Chance“ dar, den Verbrauchern zu helfen, „vollständig informierte Entscheidungen über ihren Alkoholkonsum zu treffen.“

Über die Kennzeichnung hinaus sind die Empfehlungen der Autoren zu politischen Maßnahmen, die auf die Preisgestaltung, die Verfügbarkeit und das Marketing von Alkohol abzielen, als „Teil einer umfassenden Alkoholstrategie im Zuge der Pandemie“ erforderlich, um die Belastung durch Alkohol anzugehen, fügte sie hinzu.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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