„Eine Wohltat für die Praxis“ – wenn MFAs Azubis für die Praxis alleine aussuchen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

21. Juli 2021

Hausarzt Dr. Jörg Weißmann aus Emden hat bereits den Vertrag für die neue Auszubildende zur Medizinischen Fachangestellten in seiner Praxis unterschrieben, aber er kennt sie noch gar nicht. Denn die Ausschreibung der Stelle, die Bewerbungsgespräche und Auswahl der neuen Kollegin haben die MFAs in der Praxis in der Emder Innenstadt eigenständig erledigt. Und den Arbeitsvertrag haben sie Hausarzt Weißmann und seiner Kollegin Annette Püschel nur noch vorgelegt. Dieser neue Weg sei „eine Wohltat für die Praxis“, sagt Weißmann zu Medscape. Allerdings: Er ist nicht für jede Praxis geeignet.

In der Tat liegt praktisch das komplette Procedere in Händen der MFAs. „Wir rufen bei der Agentur für Arbeit an, wir geben die Stellenanzeige auf und posten die Stelle auch auf unseren privaten Instagram- und Facebook-Accounts“, berichtet die leitende MFA der Praxis, Insa Grensemann. Seit Jahresbeginn verfahren sie so. Liegen die Bewerbungen auf dem Tisch, verabreden Grensemann und ihre Kollegin Lena Eckardt die Vorstellungsgespräche, die sie auch selber führen und legen die Termine fürs Probearbeiten fest.

Den Bewerberinnen falle meistens ein Stein vom Herzen, wenn sie erfahren, dass beim Bewerbungsgespräch keine Ärzte dabei sind, sagt Grensemann. Am Ende treffen die MFAs in Absprache mit den Ärzten die Entscheidung. „Ungefähr 70 Prozent der Entscheidung liegt bei uns“, sagt Grensemann.

Ganz wichtig: Pünktlichkeit

Das Know-how zu Bewerbungsgesprächen und der passenden Auswahl haben die beiden MFA aus ihrem Praxisalltag mitgebracht und haben es sich aus den vorhergehenden Bewerbungsgesprächen abgeguckt, bei denen sie bisher nur beratend gefragt waren. Weitere Anregungen holten sie sich von der Website www.mfa-niedersachsen.de.

„Wir wissen jetzt, was eine Bewerberin mitbringen muss“, berichtet Grensemann: „Das ist vor allem Teamfähigkeit und die Gabe mit unseren vor allem älteren Patienten gut umzugehen“, ergänzt Eckardt. „Und – ganz wichtig – Pünktlichkeit.“ Auch ein gutes Händchen für die manchmal genervten Patienten braucht eine MFA. „Gerade die älteren Patientinnen und Patienten haben oft Schmerzen und sind entsprechend ungeduldig und beschweren sich dann. Da brauchen wir als MFAs ein dickes Fell“, sagt Eckardt. „Wir sind ein eingespieltes Team“, betonen die beiden MFAs. „Da gucken wir bei der ‚Neuen‘ natürlich auch, ob sie von ihrer Persönlichkeit her zu uns passt.“

Der Vorteil des Verfahrens liegt auf der Hand: Wer, wenn nicht das Team selber, könnte entscheiden, wer gut in die Kolleginnenschaft passt? Das sieht auch Weißmann so. Schließlich würden die MFAs vor allem mit den MFAs zusammenarbeiten.

Wenn die Fachangestellten selber ihre Kolleginnen aussuchen können, dürfte diese Aussicht auch den Arbeitsplatz deutlich attraktiver machen für begabte MFAs – für die Praxen ein wichtiger Aspekt. Laut Niedersächsischer Ärztekammer (ÄKN) liegt die Zahl der MFA-Auszubildenden im Land zwar relativ stabil bei etwa 4.600 pro Jahr. Und bundesweit gehörte das Berufsbild der MFA laut statistischem Bundesamt zu den beliebtesten Ausbildungsberufen bei Frauen. Es herrscht also kein Mangel. Aber es gibt trotzdem weniger Bewerberinnen.

„Während früher in der Regel mehrere Initiativbewerbungen pro Ausbildungsplatz eingingen, sind die Bemühungen, um überhaupt geeignete Auszubildende zu finden, vor allem bei niedergelassenen Praxen heute groß“, so die ÄKN auf Anfrage. Gerade im ambulanten Sektor sei es deshalb schwer geworden, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden, die auch langfristig bleiben, so die ÄKN. Grund genug, den MFAs mehr Einfluss in der Nachwuchsgewinnung zu geben.

Das Emder Modell funktioniert nur in harmonischen Teams

Allerdings ist das Modell so einfach nicht nachzubauen, wie Praxismitinhaber Weißmann berichtet. „Denn Voraussetzung ist, dass sich die Teammitglieder gut verstehen“, so Weißmann. „Und das ist bei uns glücklicherweise der Fall! Das Modell ist darum nur dort übertragbar, wo die Stimmung und Arbeitsatmosphäre gut sind und respektvoll miteinander umgegangen wird.“

 
Voraussetzung ist, dass sich die Teammitglieder gut verstehen. Dr. Jörg Weißmann
 

Das Emder Team verfüge denn auch über eine „funktionierende Hierarchie im besten Sinne“, wie Weißmann sagt. Dass dies nicht für jedes MFA-Team selbstverständlich ist, hat auch Weißmann in seiner jahrzehntlangen Arbeit in Emden erfahren. Auch in seiner Praxis gab es zerstrittene Teams und Fraktionsbildungen und manchmal musste eine Mitarbeiterin gehen. „Aber selbst, wenn man sich von einer Mitarbeiterin trennen muss, soll das respektvoll geschehen“, sagt der Hausarzt.

Wo das Miteinander indessen funktioniert, sei das Modell eine Alternative. Allen, die es machen wollen wie die MFAs in der Emder Praxis, raten Grensemann und Eckardt, keine zu feste Vorstellung davon zu haben, wie die neue Kollegin sein soll. Lieber ein paar Gespräche mehr führen und dann erst entscheiden. Diese Zeit sollte man sich lassen, meinen die beiden MFAs aus Emden: „Denn wir wissen, dass wir die Bewerberinnen am Schluss realistischer beurteilen.“

 

Kommentar

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