MEINUNG

Burnout-Prophylaxe: Was Ärzte von den Luftfahrt-Regeln für Piloten lernen können, um stressfreier zu arbeiten

Dr. Jennifer L. Lycette

Interessenkonflikte

14. Juli 2021

Dr. Jennifer L. Lycette ist Hämatologin und Onkologin auf dem Land im US-Staat Oregon, Mutter von 3 Kindern und Perfektionistin, die sich Wort für Wort aus dem ärztlichen Burnout zurückschreibt. Ihre Essays wurden u.a. in The New England Journal of Medicine, JAMA, JAMA Oncology, Journal of Clinical Oncology und The ASCO Post. Hier vergleicht sie für Medscape die Arbeitsbelastung und die Burnout-Rate von Piloten und Ärzten.

Sicherheit ist in der Luftfahrt und im Gesundheitswesen von zentraler Bedeutung. Als einzige Ärztin in einer Familie mit mehreren Berufspiloten denke ich oft darüber nach.

Während die Luftfahrtindustrie als Modell für Sicherheit im Gesundheitswesen herangezogen wird, habe ich keine Daten gesehen, die Burnout zwischen den beiden Branchen vergleichen. Ich fragte mich, ob dies nützlich sein könnte.

Als Gedankenexperiment habe ich mir Situationen überlegt, die für Ärzte im Job alltäglich geworden sind – und nach vergleichbaren Szenarien bei Piloten gesucht.

Googeln Patienten vor jedem Flug, um Piloten Tipps zu geben?

Was wäre zum Beispiel, wenn Passagiere jede Handlung des Piloten in Frage stellen würden, weil sie 5 Minuten damit verbracht haben, zu googeln, wie man ein Flugzeug fliegt? Oder was wäre, wenn Piloten vorab eine Genehmigung einholen müssten, um Notfallmaßnahmen durchzuführen, um das Leben ihrer Passagiere (Patienten) zu retten?

Während Ärzte jede medizinische Entscheidung dokumentieren müssen und oft Stunden ihrer Freizeit damit verbringen, dieser Pflicht nachzukommen, haben Piloten eine automatische Software, die Flugdaten aufzeichnet.

Es gibt noch weitere Bereiche, in denen sich das Leben von Piloten und Ärzten ähnelt, etwa die Auswirkungen auf Familien. Wie Ärzte arbeiten auch Piloten zu ungewöhnlichen Zeiten, nachts und an Feiertagen, und verbringen viel Zeit fern von zu Hause, fern von ihren Familien.

Aber Familien von Piloten erhalten oft Flugrabatte oder Freiflüge. Warum bekommen Familien von Ärzten (oder Ärzte selbst) keine vergünstigte oder kostenlose Gesundheitsversorgung?

Arbeitsbelastung bei Ärzten und bei Piloten

Ich überlegte, dass wir in der Luftfahrtindustrie nicht nur nach einem Modell für Sicherheit, sondern auch nach einer Strategie zu Burnout-Prävention suchen sollten.

So begann ich, die Arbeitszeitbeschränkungen von Piloten mit denen von Ärzten zu vergleichen. Die Federal Aviation Administration (FAA) ist die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten. Seit 2011 begrenzen die FAA-Regeln die Arbeitsbelastung von Piloten:

  • Pro Woche sind maximal 60 Stunden Flugdienst (an jedem aufeinanderfolgenden 7-Tages-Zeitraum) möglich.

  • Die maximale Flugzeit beträgt 9 Stunden, wenn nur 1 Pilot auf dem Flug ist. Sind 3 Piloten auf dem Flug, kann das Limit auf 13 Stunden erhöht werden, bei 4 Piloten erhöht sich das Limit auf 17 Stunden.

  • Die Mindestruhezeit für Piloten liegt bei 10 Stunden ohne zulässige Verkürzung, und Piloten müssen die Möglichkeit haben, während der Ruhepause 8 Stunden zu schlafen.

  • Piloten müssen jede Woche mindestens 30 aufeinanderfolgende Stunden dienstfrei haben.

  • In jedem aufeinanderfolgenden Zeitraum von 28 Tagen darf ein Pilot 290 Stunden nicht überschreiten, wovon nicht mehr als 100 Flugstunden sein dürfen.

  • Innerhalb von 365 aufeinanderfolgenden Tagen dürfen Piloten 1.000 Flugstunden nicht überschreiten.

Im Gegensatz dazu sehen die Dienstzeitbeschränkungen für medizinische Assistenzärzte gemäß Accreditation Council for Graduate Medical Education (ACGME, eine Stelle zur Akkreditierung aller medizinischen Ausbildungsprogramme für Ärzte in den USA) vor:

  • Ein wöchentliches Limit von 80 Stunden, gemittelt über 4 Wochen;

  • eine angemessene Ruhezeit, die aus 10 Stunden Ruhe zwischen den Dienstperioden bestehen sollte;

  • ein 24-Stunden-Limit für den Dauerdienst und bis zu 6 zusätzliche Stunden für die Kontinuität der Pflege und Ausbildung;

  • ein Tag in 7 Tagen frei von Patientenpflege- und Ausbildungsverpflichtungen im Durchschnitt über 4 Wochen;

  • Hausbesuch nicht mehr als einmal alle 3 Nächte im Durchschnitt über 4 Wochen.

Ich habe diese Tabelle zusammengestellt, um die Unterschiede leichter vergleichen und gegenüberstellen zu können:

 

Piloten

Niedergelassene Ärzte

Maximale Stunden pro Woche

60 (garantiert)

80 (nicht garantiert wegen des gebildeten Durchschnitts)

Maximale Stunden im Dauerbetrieb

17

30

Ruhezeit zwischen den Dienstzeiten (Stunden)

10

10

Dienstfreie Stunden pro Woche

30 (garantiert)

24 (nicht garantiert wegen des gebildeten Durchschnitts)

Maximale Dienstzeit pro 28-Tage-Intervall

290

320

Jahresmaximum vorhanden?

Ja

Nein

Und natürlich gibt es keine Arbeitszeitbeschränkungen mehr, sobald ein Arzt seine Assistenzzeit beendet hat und in die Praxis geht.

Gibt es Unterschiede beim Burnout?

Ich hatte erwartet, dass die Burnout-Rate bei Piloten niedriger ist als bei Ärzten, aber bei weiteren Recherchen stellte ich fest, dass dies nicht der Fall ist. Eine aktuelle Studie fand eine Burnout-Rate von 40% bei Piloten, die fast identisch mit der 42%-Rate bei Ärzten ist.

Assistenzärzte arbeiten mehr Stunden pro Woche und haben längere Zeiten im Dauerdienst als Piloten. Aber Piloten haben trotz der besonderen Regelungen nicht unbedingt eine geringere Burnout-Rate als Ärzte.

Sowohl Piloten als auch Ärzte arbeiten unter hohem Stress und hohen Anforderungen. Ich finde es interessant, dass der Luftfahrtindustrie als Sicherheitsmodell für das Gesundheitswesen viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, obwohl es den Anschein hat, dass beide Branchen beim Schutz ihrer qualifiziertesten und wichtigsten Mitarbeiter vor Burnout weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben: denjenigen, die – teils sprichwörtlich – das Flugzeug fliegen.

 

Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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