Preisunterschiede bei Krebs-Therapien: Ähnlicher Markt aber in den USA viel teurer. Warum? Was Deutschland besser macht

Pam Harrison

Interessenkonflikte

14. Juli 2021

Zum Zeitpunkt der Markteinführung sind Preise neuer Krebsmedikamente in den USA wesentlich höher als in vergleichbaren, einkommensstarken Ländern Europas, darunter Deutschland, die Schweiz und England. Das zeigt eine neue Analyse in JAMA Oncology[1]. Außerdem steigen Kosten nach der Markteinführung in den USA stärker an als die nationale Inflationsrate. In wirtschaftlich vergleichbaren Staaten war das nicht der Fall.

„Hohe Preise bedeuten nicht automatisch, dass spezifische Medikamente einen großen klinischen Wert haben“, sagt die Erstautorin Dr. Kerstin Vokinger aus Zürich. „Sowohl bei den anfänglichen Kosten als auch bei den Preisen nach der Zulassung im Laufe der Zeit gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem klinischen Nutzen von Krebsmedikamenten und ihren Preisen.“ Aufgrund begrenzter Ressourcen sei es wichtig, Medikamente mit großem Benefit zu priorisieren.

 
Hohe Preise bedeuten nicht automatisch, dass spezifische Medikamente einen großen klinischen Wert haben. Dr. Kerstin Vokinger und Koautoren
 

Daten zu 65 Onkologika ausgewertet

Die jetzt veröffentlichte Analyse umfasst 65 Pharmaka. Sie haben in den USA, in Deutschland, der Schweiz und England Zulassungen bei soliden Tumoren oder hämatologischen Neoplasien. Alle Preisangaben wurden währungs- und inflationsbereinigt.

Nach dieser Korrektur ergaben sich zum Zeitpunkt der Markteinführung monatliche Pro-Kopf-Kosten:

  • im US-Markt von 11.755 USD (9.899 Euro),

  • verglichen mit 8.305 USD (6.994 Euro) in Deutschland,

  • 6.955 USD (5.857 Euro) in der Schweiz und

  • 7.355 USD (6.194 Euro) in England.

Außerdem berichten Vokinger und ihre Kollegen von steigenden Kosten im Laufe der Zeit, gemessen anhand der niedrigsten monatlichen Behandlungskosten:

  • USA: 14.580 USD (12.278 Euro) 2018 bis 2019 versus 5.790 USD (4.876 Euro) 2009-2010

  • Deutschland: 5.888 USD (4.958 Euro) 2018 bis 2019 versus 4.289 USD (3.612 Euro) 2009 bis 2010

  • Schweiz: 6.593 USD (5.552 Euro) 2018 bis 2019 versus 6.867 USD (5.783 Euro) 2009 bis 2010

  • England 6.867 USD (5.783 Euro) 2018 bis 2019 versus 3.939 USD (3.317 Euro) 2009 bis 2010

Die medianen monatlichen Behandlungskosten waren in den USA 2,5-fach höher in den USA als in Deutschland und mehr als 2-fach höher als in der Schweiz oder in England.

Darüber hinaus stiegen Preise bei 74% aller neuen Krebsmedikamente schneller als die Inflation in den USA. Dies galt nur für 2% der Onkologika in England, für kein Krebsmedikament in Deutschland und für 13% der Pharmaka in der Schweiz – jeweils gemessen an der nationalen Inflationsrate.

Kosten-Nutzen-Analysen

Als die Autoren Preissteigerungen neuer Krebsmedikamente mit dem klinischen Nutzen verglichen, fanden sie in keinem der 4 untersuchten Länder Zusammenhänge.

Ein möglicher Benefit wurde anhand von Kriterien des American Society of Clinical Oncology Value Framework (ASCO-VF) und der European Society for Medical Oncology Magnitude of Clinical Benefit Scale (ESMO-MCBS) ermittelt.

Zum Zeitpunkt der Produkteinführung lag der ASCO-VF-Score für Präparate zur Therapie solider Tumoren bei 46,4. Für den ESMO-MCBS ergab sich im Median 3,0. Am Ende des Studienzeitraums lagen die Scores bei 52,8 bzw. 4,0. Die Zahlen deuteten darauf hin, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Preis nach der Markteinführung und dem klinischen Nutzen gebe, so die Autoren.

Mehr Preisverhandlungen in Europa

Vokingers Team fiel zudem auf, dass Preise bei der Markteinführung neuer Onkologika in den USA höher sind als in Europa.

Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die USA nicht über den gleichen Mechanismus wie andere Länder verfügen, um Kosten bzw. Nutzen neuer Medikamente zu bewerten und Erkenntnisse daraus als Grundlage für Preisverhandlungen zu verwenden.

In Europa werde die Preisgestaltung oft von der Regierung beaufsichtigt oder direkt reguliert, schreiben die Autoren. Viele Länder hätten eigene Agenturen mit großem Spielraum, um Medikamente hinsichtlich ihres Nutzens zu bewerten – oder um sogar Erstattungen mit Herstellern auszuhandeln.

„Die USA kann von Erfahrungen anderer Länder lernen, wie z.B. Deutschland, das ein transparentes und evidenzbasiertes System zur Bewertung des klinischen Nutzens neuer Medikamente hat“, heißt es in der Veröffentlichung. Gesetzesinitiativen in den USA sehen vor, die Preissteigerungen für Medikamente auf die Inflationsrate begrenzen. Entsprechende Vorschläge wurden im Repräsentantenhaus verabschiedet und im Senat erörtert.

 
Die USA kann von Erfahrungen anderer Länder lernen, wie z.B. Deutschland, das ein transparentes und evidenzbasiertes System zur Bewertung des klinischen Nutzens neuer Medikamente hat. Dr. Kerstin Vokinger und Koautoren
 

„Die Biden-Administration hat die Forderung des Gesetzgebers nach einer Begrenzung der Arzneimittelpreiserhöhungen aufgegriffen und könnte möglicherweise die bestehenden gesetzlichen Befugnisse nutzen, um Preisgrenzen im Medicare-Programm umzusetzen“, schreiben die Autoren.

Sowohl in den USA als auch in Europa debattieren politische Entscheidungsträger über Reformen der Kostenstruktur bei Neueinführungen oder zu späteren Zeitpunkten. Reformen sind definitiv notwendig: Die Ausgaben für Krebsmedikamente werden bis 2022 in den USA auf 100 Milliarden Dollar (84 Milliarden Euro) und in Europa auf 50 Milliarden Dollar (42 Milliarden Euro) ansteigen.

 

Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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