Klinische Studien sind Klimakiller – Lancet erklärt, wie Forscher und Gesundheitseinrichtungen CO2-Emissionen reduzieren können

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

13. Juli 2021

Klinische Studien haben einen nicht geringen Anteil an CO2-Emissionen. Überlegungen dazu, wie sich der CO2-Fußabdruck verringern lässt, stellten Dr. Fiona Adshead, Chair der Sustainable Healthcare Coalition, und ihre Kollegen in einem Kommentar im Lancet vor [1].

Vor fast 14 Jahren kam die Sustainable Clinical Trials Group zu dem Schluss, dass „klinische Studien erheblich zu den Treibhausgasemissionen beitragen“, insbesondere durch den Energieverbrauch in Forschungseinrichtungen und Flugreisen. Die Gruppe entwickelte Richtlinien zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks von Studien. Dafür wurde der CO2-Verbrauch von 2 Studien verglichen – CRASH-1 und CRASH-2.

Für CRASH-1 wurden insgesamt 924,6 Tonnen CO2 verbraucht, für CRASH-2 508,5 Tonnen CO2. Der Vergleich zeigte, dass sich schon bei der Patientenrekrutierung erheblich CO2 einsparen lässt. In CRASH-1 wurden 10.008 Patienten über 5,1 Jahre aufgenommen, in CRASH-2 20.211 Patienten über 4,7 Jahre. Der CO2-Verbrauch dafür betrug bei CRASH-1 92 kg CO2 pro aufgenommenen Patienten, für CRASH-2 waren es hingegen nur 25 kg.

Die Autoren schreiben, dass eine schnellere und effizientere Rekrutierung von Patienten, leichtere Studienmaterialien und eine webbasierte Dateneingabe statt Papier CO2 einsparen können.

Eine retrospektive Analyse aus dem Jahr 2009 schloss 12 randomisierte Studien mit 4.800 Patienten ein. Die Auswertung zeigte, dass der durchschnittliche Kohlenstoffausstoß der Studien in etwa dem von 9 Personen in Großbritannien in einem Jahr entsprach.

Doch seitdem scheint wenig passiert zu sein, schreiben die Autoren. Eine Ausnahme stelle nur die Entwicklung von Richtlinien des britischen National Institute for Health Research (NIHR) zur Reduzierung des CO2-Verbrauchs dar. Die Dringlichkeit der Bedrohung durch die Klimakrise habe aber stark zugenommen. Regierungen, Unternehmen und viele Organisationen, einschließlich des National Health Service (NHS) England, haben sich dazu verpflichtet, bis Mitte des Jahrhunderts einen CO2-neutralen Betrieb zu erreichen.

CO2-Verbrauch durch Studien liegt bei 27 Millionen Tonnen

Auf ClinicalTrials.gov sind etwa 350.000 nationale und internationale Studien registriert. Das ergibt bei Anwendung des von der Sustainable Clinical Trials Group errechneten Durchschnittswerts insgesamt einen CO2-Verbrauch von schätzungsweise 27,5 Millionen Tonnen. Das wiederum entspricht knapp einem Drittel der gesamten jährlichen CO2-Emissionen von Bangladesch, einem Land mit 163 Millionen Einwohnern. Fast die Hälfte der Studien sind Arzneimittelstudien.

Die meisten Arzneimitteltests werden von Pharmaunternehmen durchgeführt; klinische Studien sind ein wichtiger Teil des CO2-Fußabdrucks der Unternehmen, der z.B. bei GlaxoSmithKline – das sich wie viele andere zur Dekarbonisierung verpflichtet hat – 17,7 Millionen Tonnen beträgt.

Deutschland setzt auf „Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen“

Vergleichbare Richtlinien wie die der Sustainable Clinical Trials Group zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks von klinischen Studien gibt es in Deutschland nicht, bestätigt PD Dr. Christian Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). „Es gibt meines Wissens auch keine Berechnungen dazu, wie stark einzelne klinische Studien für den CO2-Fußabdruck zu Buche schlagen“, sagt Schulz.

„Wir sind dabei, den Planeten unbewohnbar zu machen. Schon jetzt haben wir durch den Klimawandel eine hohe Krankheitslast durch Hitzetote – wie jetzt aktuell in Kanada. In Europa sterben mehr als 400.000 Menschen jährlich vorzeitig durch von Luftverschmutzung verursachte Krankheiten, in Deutschland sind das mehr als 70.000 Todesfälle pro Jahr“, zählt Schulz auf.

„Der ethische Imperativ, der sich daraus ergibt, betrifft jeden Menschen und natürlich auch jeden Forscher und wirft die Frage auf: Wie gehe ich im Alltag damit um? Auch wenn man sich klar macht, dass über 60% des Energiebedarfs noch immer durch fossile Energieträger gedeckt wird oder umweltschädliche Subventionen von zum Beispiel Kerosin stattfinden, ist der Kommentar von Adshead et al. ist in dieser Hinsicht wichtig. Denn er zeigt, wie jeder in seinem eigenen Handlungsfeld anfangen kann, Verantwortung zu übernehmen und sich Gedanken zu machen, was er selbst tun kann“, sagt Schulz.

Die Vorschläge der Sustainable Clinical Trials Group – schnellere Patientenrekrutierung, leichtere Studienmaterialien und webbasierte Dateneingabe – hält er für sinnvoll. Denn es ist wichtig, dass Forschungsbetriebe und damit auch Unikliniken sich systematisch auf den Weg zur Nachhaltigkeit begeben. „Muss man Pipetten aus Plastik kaufen? Gibt es recycelbare Alternativen? Auf wie viele Kongresse muss man fahren, wo ist auch eine virtuelle Teilnahme möglich?“, nennt Schulz ein paar Beispiele, die sich leicht umsetzen lassen.

Schulz´ Einschätzung nach kommen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen „langsam in Bewegung“. Mit dazu beitragen dürfte das Rahmenwerk „Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen“, das KLUG gemeinsam mit anderen Experten verfasst und am 24. Juni herausgegeben hat. Auf 58 Seiten stellen die Autoren zusammen, wie Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen ihre Treibhausgasemissionen senken können. „Wäre das globale Gesundheitssystem ein Land, wäre es der fünftgrößte Treibhausgasemittent“, schreiben sie.

Ein Drittel der Emissionen entsteht in und rund um die Kliniken und kann von diesen selbst maßgeblich reduziert werden. 2 Drittel entstehen hingegen in den Lieferketten und können nur indirekt über die Art der Beschaffung beeinflusst werden. Es gebe bereits viele geringinvestive oder sogar geldsparende Maßnahmen, die schnell umgesetzt werden könnten. Allerdings braucht es für viele Änderungen dann doch die Entscheidungsträger – etwa für die Bereiche Gebäude, Baumaterialien, Beschaffung, Digitalisierung, Medizinprodukte, Arzneimittel und Finanzierung.

Die Autoren des Rahmenwerks schlagen vor, Anreize für eine ÖPNV-Nutzung zu setzen, ausreichend Fahrrad-Stellplätze sowie Ladepunkte für Elektroautos und -räder einzurichten. Für einen Teil der Beschäftigten ließe sich die Arbeit im Homeoffice realisieren, manche Besprechungen könnten virtuell abgehalten, Flugreisen auf das Nötigste beschränkt werden.

Vorgeschlagen wird auch, dass Kliniken regionale und saisonale Lebensmittel einsetzen, lokal produzieren und kochen, den Anteil fleischhaltiger Speisen reduzieren und Strategien gegen die Lebensmittelverschwendung festlegen. Auch wird empfohlen, auf unnötige Produkte zu verzichten und auf Mehrweg- und Recyclingprodukte zu setzen.

Budgetausgaben und CO2-Fußabdruck gegenüber Geldgebern begründen

Der erste Schritt zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks klinischer Studien ist, eine zuverlässige Messung des CO2-Verbrauchs von Studien zu entwickeln und die kohlenstoffintensiven Elemente von Studien zu ermitteln. Die Sustainable Healthcare Coalition hat dazu ein Tool entwickelt, das nun in Studien getestet werden soll. Tools zur Messung des CO2-Fußabdrucks sind nie perfekt, aber das Werkzeug, das von der Sustainable Healthcare Coalition getestet wird, soll zuverlässig genug sein, um Fortschritte zu messen und ein Benchmarking zu etablieren.

Entsprechend der NIHR-Richtlinien sollten Forscher, die eine Studie planen, u.a.:

  • vorab prüfen, ob zu der Studienfrage nicht schon ausreichend Evidenz vorhanden ist,

  • überlegen, ob es möglich ist, mehrere Fragen durch eine Studie zu klären,

  • Ressourcen wie Patientenpopulation und Patientenzeit gut nutzen,

  • Methodiker in das Forschungsdesign einbeziehen.

Im Idealfall würden Studienleiter bei Beantragung der Förderung bereits Angaben zum veranschlagten CO2-Verbrauch machen (bislang ist das noch nicht der Fall). So ließen sich nach Einschätzung der Autoren Wege finden, den CO2-Verbrauch von Studien so gering wie möglich zu halten.

Ziel der Kampagne ist, Verschwendung in der Forschung zu verringern, die Anzahl der Studien zu reduzieren oder zumindest den Wert der durchgeführten Studien zu erhöhen. Die Autoren schreiben, dass dazu Anreize gesetzt werden müssen, den CO2-Verbrauch in Studien zu reduzieren, z.B. durch die vorrangige Finanzierung von Studien mit geringerem CO2-Fußabdruck. Alle Beteiligten, einschließlich Sponsoren und Geldgebern, spielten dabei eine wichtige Rolle.

Genauso wie Forscher das Budget für eine Studie gegenüber den Geldgebern rechtfertigen müssen, sollten sie auch den CO2-Fußabdruck gegenüber ihren Auftraggebern rechtfertigen und nachweisen müssen, dass dieser so gering wie möglich ausfällt. Geldgeber sollten verlangen, dass Förderanträge über den CO2-Fußabdruck und die Maßnahmen informieren, die ergriffen wurden, um ihn so gering wie möglich zu halten.

Die Geldgeber müssen dann entscheiden, ob die aus der Studie zu gewinnenden Erkenntnisse den CO2-Verbrauch rechtfertigen. Die Bewertung des CO2-Fußabdrucks von Studien erfordere neue Kompetenzen. Dazu gehöre, Methoden zur Messung des CO2-Abdrucks zu verstehen, den noch akzeptablen Bereich des CO2-Verbrauchs zu bestimmen, Stellen zu identifizieren, an denen der CO2-Verbrauch reduziert werden kann, und den Wert der Studie im Vergleich zum verbrauchten CO2 abzuschätzen.

Nicht alle klinischen Studien erfordern eine Finanzierung, aber alle brauchen eine forschungsethische Genehmigung. Ethikkommissionen oder institutionelle Prüfungsausschüsse sollten Kompetenzen entwickeln, um sicherzustellen, dass der CO2-Verbrauch durch die Studie minimiert und begründet wird, schlagen Adshead und ihre Kollegen vor.

Zeitschriften und Organisationen wie das International Committee of Medical Journal Editors können ebenfalls eine Rolle spielen, wie sie es bei der Förderung der Registrierung klinischer Studien getan haben. So könnten Fachzeitschriften verlangen, dass der CO2-Verbrauch der Studiendurchführung berichtet wird. Diskutiert werden könnte dann, ob die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse den CO2-Verbrauch rechtfertigen.

„Getrieben durch die COVID-19-Pandemie haben wir rasche Veränderungen und ein Umdenken, wie Studien konzipiert und durchgeführt werden, erlebt. Möglicherweise sind einige Studieninitiatoren bestürzt über eine weitere Bürokratisierung und sehen dadurch die Durchführung der Studie behindert. Aber die Dringlichkeit der Klimakrise rechtfertigt, dass wir Maßnahmen ergreifen. Und die beeindruckende Reaktion auf COVID-19 zeigt, dass dies möglich ist.“

Die Autoren betonen, dass die Finanzierer von Forschung und pharmazeutische Unternehmen die Netto-Null bei der CO2-Produktion nicht erreichen können, ohne sich um den CO2-Abdruck von Studien zu kümmern. „Obwohl es nicht möglich sein wird, den CO2-Verbrauch bei klinischen Studien auf Null zu drücken, ist es doch wichtig zu verstehen, wie sich die Verbesserung unserer Gesundheit auf die Umwelt auswirkt.“
 

Kommentar

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