Eine großangelegte Querschnittsstudie untersuchte die Verwendung von Acetylsalicylsäure (ASS) bei über 7.000 älteren US-Bürgern mit und ohne Diabetes als Primär- oder Sekundärprävention, getrennt nach Alter, Geschlecht und kardiovaskulärem Risiko. Menschen mit Diabetes nahmen häufiger ASS ein, ungeachtet ihres Alters und kardiovaskulären Risikos. Menschen ohne Diabetes nahmen insgesamt seltener ASS, aber umso mehr, je älter und je höher ihr kardiovaskuläres Risiko war. Frauen nahmen allgemein seltener ASS als Männer.
Die Autoren um Dr. Elizabeth Y. Liu, Abteilung Endokrinologie und Diabetes der John Hopkins University, Baltimore, USA, rechneten aus den Daten der Befragung des National Health Institutes hoch, dass knapp 10 Millionen US-Bürger über 70 Jahren im betrachteten Zeitraum von 2011 bis 2018 regelmäßig ASS als Primärprävention ohne die Indikation eines vorhandenen kardiovaskulären Risikos einnahmen. Die Studie ist in JAMA Network open publiziert [1].

Prof. Dr. Ulrich Laufs
„ASS reduziert das Risiko einer Atherothrombose bei Fissuren oder Rupturen atherosklerotischer Plaques“, erläutert Prof. Dr. Ulrich Laufs, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie des Universitätsklinikums Leipzig. „ASS verhindert oder mildert damit akute vaskuläre Syndrome wie z.B. Herzinfarkte als Folgen arteriosklerotischer Plaque-Rupturen. ASS wirkt aber nicht gegen das Entstehen und Fortschreiten der Arteriosklerose selbst.“
Thrombozytenhemmung durch ASS verhindert keine Arteriosklerose
Niedrigdosierte Acetylsalicylsäure (ASS) wurde lange Zeit aufgrund ihrer thrombozytenhemmenden Eigenschaft als sinnvolle und nebenwirkungsarme Prävention vor den Folgen der Arteriosklerose propagiert. In den USA gibt es aber seit 2016 Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften, ASS zur kardiovaskulären Prävention nur bei Menschen mit Diabetes, einem zusätzlichen kardiovaskulären Risiko und geringem Blutungsrisiko einzusetzen. Seit 2016 hat ASS zur Prävention in Deutschland und Europa ebenfalls keine Leitlinienempfehlung mehr inne, wenn kein begründetes kardiovaskuläres Risiko vorliegt.
Somit macht nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie die Gabe von ASS für Menschen ohne Arteriosklerose keinen Sinn. Mehrere große Studien, darunter ASPREE, eine Metaanalyse von 13 Studien mit Teilnehmern ohne kardiovaskuläre Erkrankung zeigten keinen Vorteil von ASS für Gesunde. Um durch die Gabe von ASS ein kardiovaskulär bedingtes Ereignis (Tod, Infarkt oder Schlaganfall) unter 265 Patienten (NNT) zu verhindern, kam es auf der anderen Seite bei 210 Patienten zu einer schweren Blutung. Das Alter der über 160.000 Teilnehmer lag im Mittel bei 62 (53 bis 74) Jahren, 19% von ihnen litten an Diabetes, und die dokumentierten Patientenjahre lagen bei über einer Million.
Die Studie von Liu und ihren Kollegen schlüsselt dagegen lediglich auf, wer in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Diabetes, kardiovaskulärer Vorerkrankung oder geschätztem hohem oder geringem kardiovaskulärem Risiko über Jahre ASS eingenommen hat. Ergebnisse der Prävention bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse, Krebserkrankung oder Blutungen zeigt die Studie nicht. Trotzdem folgern die Autoren, dass weitaus zu viele US-Bürger jahrelang ASS als Prävention einnehmen, obschon dafür keine Indikation gegeben ist. Somit überwögen bei diesen die Risiken von Blutungen gegenüber dem vorhandenen, aber sehr geringen Vorteil von weniger kardiovaskulären Ereignissen.
Zu viele Ältere erhalten niedrigdosiertes ASS ohne berechtigte Indikation
In seinem parallel veröffentlichten Editorial unterstreicht Dr. Wilson D. Pace, Chief Medical Officer des DARTNet Institutes, Aurora, USA, das Ergebnis, dass nicht nur über 20% der Teilnehmer mit nur geringem kardiovaskulärem Risiko täglich ASS einnehmen, sondern dass deren Anteil bei den über 80-Jährigen auf über 50% steigt [2]. Bei diesen befürchtet er, dass die negativen Wirkungen von ASS die positiven übersteigen könnten.
Aber er sieht hier die behandelnden Ärzte in dem Dilemma, langjährige bestehende, akzeptierte Therapien ändern zu müssen, ohne in jedem Fall ihren Patienten eine konkrete Begründung geben zu können. Deshalb fordert er weitere Dokumentationen und Diskussionen in Fachverbänden zu diesem Thema.
„Wie müssen einsehen, dass ASS nicht mehr in jedem Fall eine gute und sichere Wahl zur Prävention vor kardiovaskulären Ereignissen ist“, stimmt Laufs zu. „Es gilt, in jedem einzelnen Fall die Risiken gegeneinander abzuwägen. Liegt ein erhöhter LDL-Spiegel vor, bietet ein niedrigdosiertes Statin wahrscheinlich eine sichere Möglichkeit. Eine nach Einbeziehung aller Faktoren nicht indizierte präventive Gabe von ASS sollte beendet werden.“
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: ASS zur kardiovaskulären Prävention? Gerade bei Älteren fraglich, wenn keine Risikofaktoren bestehen - Medscape - 12. Jul 2021.
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