Schädel-Hirn-Traumata: Fahrradfahrer ohne Helm besonders gefährdet – Zahlen bei Pkw-Insassen rückläufig

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

9. Juli 2021

Schädel-Hirn-Verletzungen betreffen laut einer Auswertung von Daten mehrerer BG-Kliniken meist über 65-jährige Menschen. Ursache waren nicht Verkehrsunfälle, sondern Stürze. Bei den Verkehrsunfällen waren vor allem Fahrradfahrer ohne Helm betroffen und nicht mehr wie früher Pkw-Insassen. Das berichten Prof. Dr. Peter Schwenkreis vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, Ruhr-Universität Bochum, und Kollegen in BMJ Open[1].

Viele Schädel-Hirn-Traumata in Deutschland

Zum Hintergrund: Ursachen für ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) sind vielfältig. Sie reichen vom leichten Sturz mit dem Fahrrad bis zum schweren Verkehrsunfall mit einem Motorrad.

Betroffen seien in Deutschland Schätzungen zufolge jährlich 250 bis 350 Menschen pro 100.000, berichten die Autoren der Studie. Das Spektrum der Schädel-Hirn-Traumata reicht von den häufigen Gehirnerschütterungen über intrakranielle Blutungen (subdural, epidural, subarchnoidal, intrazerebral) mit Hirnödem bis hin zu massiven Hirnschäden ohne radiologisch sichtbare Blutungen, aber mit ausgeprägtem Hirnödem und Hirnstamm-Einklemmung. Insbesondere bei Hochgeschwindigkeit-Unfällen (Motorrad, Auto) kommt es auch häufig zu multiplen Verletzungen, etwa Frakturen der HWS und der Extremitäten.

Daten aus Deutschland

Epidemiologische Daten aus anderen Ländern können nicht einfach auf Deutschland übertragen werden, da es zu große Unterschiede bei der SHT-Inzidenz und auch der Klassifikation der Verletzungen gibt. Deshalb haben Neurologen und Neurochirurgen aus 7 BG-Kliniken (Bochum, Hamburg, Berlin, Halle, Frankfurt am Main, Ludwigshafen und Murnau) untersucht, ob es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Schwere eines Schädel-Hirn-Traumas, dem Lebensalter und der Ursache gibt.

In die Studie eingeschlossen wurden insgesamt 3.514 Personen (Frauen-Anteil 40,8 Prozent). Das Durchschnittsalter betrug knapp 55 Jahre. Sie wurden im Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2014 und dem 30. September 2015 in einer der beteiligten BG Kliniken versorgt. Voraussetzung war, dass die Versorgung innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Erleiden des Schädel-Hirn-Traumas stattgefunden hatte. Die Ergebnisse wurden mit zwei verschiedenen Verfahren erhoben: zum einen durch die Auswertung der Dokumentationsbögen von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation, zum anderen durch standardisierte Telefoninterviews mit den Patienten jeweils 3 und 12 Monate nach dem Trauma. Seit 2000/2001 wurde in Deutschland keine derart groß angelegte Studie zur Entstehung von Schädel-Hirn-Traumata mehr veröffentlicht.

Radfahrer besonders gefährdet

Zu den Ergebnissen: Stürze waren mit einem Anteil von 51,6 Prozent der häufigste Auslöser eines Schädel-Hirn-Traumas, gefolgt von Verkehrsunfällen mit 21,5 Prozent.

 
Wir registrieren eine deutliche Verschiebung der mehrheitlich betroffenen Altersgruppe hin zu der älteren Generation. Prof. Dr. Peter Schwenkreis
 

Bei den Verkehrsunfällen stellten nicht mehr Pkw-Insassen (28,3%), sondern Fahrradfahrer ohne Helm mit 32,1% die größte Gruppe dar.

Ein Viertel aller Patienten war 75 Jahre alt oder älter. Spitzenwerte wurden bei Männern in den frühen 20er- und in den mittleren 50er-Jahren und bei beiden Geschlechtern in den späten 70er-Jahren identifiziert.

Bei 14,4% der Patienten mit SHT war Alkohol-Konsum ein für das Trauma relevanter Kofaktor, bei 0,3% der Konsum illegaler Drogen; bei 0,5% spielten Alkohol und illegale Drogen eine Rolle.

Obwohl die meisten Verletzungen als leicht eingestuft wurden, berichtete ein Drittel der Patienten, die an der telefonischen Befragung nach 12 Monaten teilnahmen, immer noch über Beschwerden, die auf ein SHT zurückzuführen waren. Negative Prädiktoren bei leichtem SHT waren weibliches Geschlecht, intrakranielle Blutungen und Glasgow Coma Scale (GCS) 13/14.

Mehr ältere Patienten

„Wir registrieren eine deutliche Verschiebung der mehrheitlich betroffenen Altersgruppe hin zu der älteren Generation. Ein Phänomen, das man in nahezu allen Industriestaaten beobachten kann“, erklärt Schwenkreis in einer Mitteilung der BG-Klinik in Bochum.

 
Ältere Menschen sind deutlich anfälliger für Stürze und erleiden so schneller ein Schädel-Hirn-Trauma als andere Altersgruppen. Prof. Dr. Peter Schwenkreis
 

Erkennbar sei auch ein Zusammenhang mit dem Alter der Patienten. Gerade bei älteren Frauen und Männern seien Stürze die häufigste Ursache. „Ältere Menschen sind deutlich anfälliger für Stürze und erleiden so schneller ein Schädel-Hirn-Trauma als andere Altersgruppen. Zudem liegt der Schweregrad der Verletzung hier höher“, konkretisiert der Neurologe. „Das erklärt auch, warum wir in dieser Altersgruppe einen Anstieg von Todesfällen verzeichnen, die durch eine derartige Verletzung verursacht wurden.“

Da mittelschwere bis schwere Schädel-Hirn-Traumata häufiger bei älteren Menschen auftreten, sehen die Forscher hier einen gesonderten Bedarf für mehr Präventionsarbeit. „Vorstellbar sind hier Trainingsmaßnahmen zum sicheren Gehen, das geschulte Verwenden von Gehhilfsmitteln oder die Umgestaltung der Wohnung durch das Entfernen von Stolperfallen.

Darüber hinaus ist zudem verstärkt daran zu erinnern, dass Fahrrad-Helme ein notwendiger Schutz sind, von dem nicht nur Kinder, sondern selbstverständlich auch ältere Menschen profitieren können. Dies gilt gerade für ältere Menschen, die nach einigen Jahren der Rad-Abstinenz sich auf ein flottes E-Bike wagen.

Dieser Artikel ist zuerst bei univadis.de erschienen.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....