Atherosklerose und Nierenfunktionsstörung: IL-6-Antikörper senkt Entzündungs- und Thrombosemarker deutlich

Die Hemmung von Interleukin(IL)-6 mit Ziltivekimab senkt bei Patienten mit hohem atherosklerotischem Risiko und mittelschwerer bis schwerer chronischer Nierenerkrankung (CKD) und erhöhtem CRP-Werten verschiedene Biomarker für Entzündungen und Thrombose. Das ist das Ergebnis der Phase-2-Studie RESCUE. Die Ergebnisse wurden auf dem virtuellen Jahreskongress 2021 des American College of Cardiology (ACC) vorgestellt und gleichzeitig im Lancet veröffentlicht [1,2].

Unter der 4-wöchentlichen Gabe von 7,5 mg, 15 mg bzw. 30 mg Ziltivekimab sanken nach 12 Wochen die durchschnittlichen Werte für das hochsensitive C-reaktiven Protein (hsCRP) um 77%, 88% bzw. 92%. Unter Placebo gingen die Werte im Mittel um 4% zurück (p < 0,0001 für alle).

Ein dosisabhängiger Anstieg wurde bei den Patienten, die sowohl eine Senkung des hsCRP um mindestens 50% als auch einen hsCRP-Wert von unter 2 mg/l unter der Behandlung erreichten, ausgemacht (66%, 80% und 93% gegenüber 4% bei Placebo; p < 0,001 für alle).

Ziltivekimab noch effektiver als Canakinumab

„Das Ausmaß der Veränderung des hsCRP durch Ziltivekimab war in der RESCUE-Studie fast doppelt so groß wie in der CANTOS-Studie, in der Canakinumab zu einer 15- bis 20%igen Reduktion der Ereignisraten führte“, sagte Dr. Paul Ridker vom Brigham and Women's Hospital in Boston.

 
Das Ausmaß der Veränderung des hsCRP durch Ziltivekimab war in der RESCUE-Studie fast doppelt so groß wie in der CANTOS-Studie, in der Canakinumab zu einer 15- bis 20%igen Reduktion der Ereignisraten führte. Dr. Paul Ridker
 

Die wegweisende CANTOS-Studie zeigte, dass die Beeinflussung der Entzündungskaskade der angeborenen Immunität von IL-1 über IL-6 zu CRP mit dem monoklonalen Antikörper Canakinumab (Ilaris), der gegen IL-1β gerichtet ist, das hsCRP um 35% bis 40% reduzierte und das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herztod unabhängig von der LDL-Senkung verminderte.

Der klinische Benefit war bei Patienten mit starkem IL-6-Abfall größer, was darauf hindeutet, dass IL-6 selbst das primäre Ziel der Atheroprotektion sein könnte, so Ridker. Weitere Unterstützung kam über eine jüngere Mendel-Randomisierung und aus Tierversuchen, die zeigen, dass Anti-IL-6-Rezeptor-Antikörper das Fortschreiten einer Atherosklerose verlangsamen.

Hochrisikopatienten mit CKD und erhöhtem hsCRP als Studienteilnehmer

RESCUE konzentrierte sich auf Hochrisikopatienten mit CKD und erhöhtem hsCRP, weil dies eine Gruppe mit einem erheblichen ungedeckten Versorgungsbedarf sei und bei der IL-6 mit dem Schweregrad der Nierenfunktionsstörung und dem Grad des atherosklerotischen Risikos korreliere, erklärte er.

264 Patienten mit einer CKD im Stadium 3 bis 5 und einem hsCRP von mindestens 2 mg/l wurden zufällig einer Ziltivekimab-Gabe von 7,5 mg, 15 mg oder 30 mg im Abstand von 4 Wochen über bis zu 24 Wochen oder einer subkutanen Placebo-Injektion mit demselben zeitlichen Muster zugeteilt.

Der Durchschnittswert für die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate lag bei 38 ml/min pro 1,73 m2, für das hsCRP bei 5,7 mg/l und für den IL-6-Spiegel bei 5,6 pg/ml. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 66 Jahre, 2 Drittel nahmen Statine ein.

Dosisabhängige Effekte auf verschiedene Laborparameter

Neben dem Rückgang des hsCRP-Wertes als primären Endpunkt wurden zusätzliche dosisabhängige Veränderungen unter 7,5 mg, 15 mg und 30 mg Ziltivekimab im Vergleich zu Placebo beobachtet (Tab.1).

Tab. 1 Dosisabhängige Veränderungen unter Ziltivekimab im Vergleich zu Placebo

 

Ziltivekimab 7,5 mg

Ziltivekimab 15 mg

Ziltivekimab 30 mg

Placebo

Fibrinogen

-25%

-25%

-37%

-2%

Haptoglobin

-30%

-40%

-56%

-3%

Serum-Amyloid A

-40%

-50%

-42%

+2%

sekretorische Phospholipase

-27%

-41%

-49%

0%

Lipoprotein(a)

-16%

-20%

-25%

0%

 

Auch der Rückgang der Lipoprotein(a)-Werte sei „sehr bedeutsam, weil bisherige IL-6-Hemmer und andere IL-6-Medikamente dafür bekannt sind, dass sie die atherogenen Lipide erhöhen. Diesen Effekt konnten wir mit Ziltivekimab nicht beobachten“, so Ridker. Der ApoB-/ApoA-1-Quotient war unverändert: 0%, 0%, -5% versus -2%.

Für Kardiologen sei vielleicht das Risiko unerwünschter Ereignisse bei Entzündungshemmern ebenso wichtig, insbesondere bei IL-6-Therapien, merkte Ridker an. Es gebe keine Hinweise auf eine anhaltende Neutro- oder Thrombozytopenie des Grades 2, 3 oder 4 und keine AST- oder ALT-Werte, die das Dreifache der oberen Normalwerte übersteigen würden.

Von schwerwiegenden Infektionen wurde bei 5 Patienten in der Placebo-Gruppe und bei 11, 5 und 3 Patienten unter Ziltivekimab in der 7,5-mg-, 15-mg- bzw. 30-mg-Gruppe berichtet.

„Ziltivekimab ist ein monoklonaler IL-6-Ligand und kein IL-6-Rezeptor-Inhibitor. Man hat angenommen, dass sich dadurch die Spezifität erhöhe und somit Off-target-Probleme verringert würden, was sich bis hierhin auch zu bewahrheiten scheint“, sagte Ridker gegenüber Medscape. „Es ist zudem ein gänzlich humaner monoklonaler Antikörper, sodass keine Reaktionen an der Injektionsstelle zu erwarten sind.“

Groß angelegten Outcome-Studie startet

„Die Studie erstreckte sich lediglich über 24 Wochen und die Patientenzahlen sind relativ klein. Entscheidend ist jedoch, dass wir keinen Anstieg bei den Leberfunktionsstörungen und keine Neutropenie oder Thrombozytopenie im Vergleich zu Placebo sehen“, sagte er. „Und die Lipidwerte sind stabil, was eine sehr gute Nachricht ist. All diese Dinge weisen also in die richtige Richtung, sodass wir jetzt mit einer groß angelegten Outcome-Studie beginnen können.“

Novo Nordisk, die sich mit der 725-Millionen-Dollar-Übernahme des französischen Unternehmens Corvida Therapeutics auch die Rechte an diesem Wirkstoff gesichert hat, unterstützt die doppelblinde kardiovaskuläre Outcome-Studie ZEUS. Dabei erhalten über 6.000 CKD-Patienten mit ähnlichen Risikomerkmalen wie in der Pilotstudie alle 4 Wochen 15 mg Ziltivekimab.

Hoffnung für Nierenpatienten

Obwohl die CANTOS-Ergebnisse zu Canakinumab für Aufsehen sorgten, schränken die damit verbundenen jährlichen Behandlungskosten von rund 77.000 $ den Einsatz des Medikaments außerhalb seines Orphan-drug-Status zur Behandlung eines Kryopyrin-assoziierten periodischen Syndroms ein. Ziltivekimab hingegen wird von Novo Nordisk speziell für Atherosklerose entwickelt, so Ridker. „Man muss ihnen zugutehalten, dass sie sich auf eine weitverbreitete Erkrankung richten und somit auch einen vernünftigen Preis finden müssen.“

Der Nephrologe Dr. Joel Topf von der Oakland University William Beaumont School of Medicine in Detroit sagte gegenüber Medscape, dass Ziltivekimab eine gewisse biologische Wirkung entfalte, doch fehle es noch an Outcome-Daten, um zu sehen, ob der „dramatische IL-6-Rückgang“ auch zu besseren kardiovaskulären Ergebnissen führe.

„Ich hoffe es sehr“, fügte er hinzu, „meine Nierenpatienten haben sehr unter ihren kardiovaskulären Problemen zu leiden, und trotz all unserer Bemühungen mit Herzkatheteruntersuchungen in der ISCHEMIA-CKD-Studie, implantierbaren Herzdefibrillatoren in der ICD2-Studie und Statinen in der 4D-Studie haben wir noch keine messbaren Auswirkungen erzielen können.“

 
Ich würde prophezeien, dass wir in 5 bis 10 Jahren jedem eine aggressive Lipidsenkung und eine aggressive Entzündungshemmung anbieten können. Wir müssen nur noch die richtigen Kombinationen herausfinden. Dr. Paul Ridker
 

Nach der offiziellen Präsentation gratulierte zunächst Dr. Pradeep Natarajan vom Massachusetts General Hospital und der Harvard University in Boston bei der anschließenden Diskussionsrunde Ridker zu den Ergebnissen: „Ich finde es großartig, dass sich die ZEUS-Studie auf CKD-Patienten konzentriert. Diese Patientengruppe mit ihren hohen Entzündungsmarkern und einem hohen kardiovaskulären Risiko wird wegen konkurrierender Risiken oft aus kardiovaskulären Studien ausgeschlossen.“

Natarajan stellte fest, dass aktuell mehrere NLRP-Inflammasom-Inhibitoren für kardiovaskuläre Erkrankungen verfügbar oder in der Entwicklung seien, die das Inflammasom selbst hemmen oder auf IL-1β oder IL-6 abzielen, und erkundigte sich, welcher dieser Ansatzpunkte am intensivsten verfolgt werde. „Und eine ganz ähnliche Frage: Glauben Sie, dass es für all diese verschiedenen Entzündungshemmer einen Platz geben wird, so wie wir auch das Cholesterin auf mehreren verschiedenen Wegen ins Visier nehmen?“

Ridker antwortete, dass es orale Wirkstoffe gebe, die das NLRP3 zu Beginn der Entzündungskaskade angreifen könnten, aber seit einigen Jahren nicht mehr mit Blick auf die Atherosklerose verfolgt würden. Sie könnten jedoch das Risiko für unerwünschte Wirkungen im unteren Kaskadenbereich senken. Die IL-1β-Wirkung konnte in CANTOS gezeigt werden, aber es werde wegen seiner Wirkungen beim Lungenkarzinom hauptsächlich als onkologisches Mittel betrachtet.

„IL-6 ist wahrscheinlich der eigentliche Ansatzpunkt und wahrscheinlich auch der Grund, warum die IL-1-Hemmung in CANTOS funktionierte. Daher werden wir uns mit diesem Medikament direkt auf IL-6 konzentrieren“, sagte er, „aber Sie haben völlig recht: Letztlich werden wir durch diese neuen Studien eine Menge über die Biologie der Entzündung lernen und es ist eine sehr aufregende Zeit für die kardiovaskuläre Community. Ich würde prophezeien, dass wir in 5 bis 10 Jahren jedem eine aggressive Lipidsenkung und eine aggressive Entzündungshemmung anbieten können. Wir müssen nur noch die richtigen Kombinationen herausfinden“, sagte er.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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