Klinische Phase-1-Daten zeigen die Sicherheit und labordiagnostisch bestätigte Wirksamkeit einer CRISPR-Cas9-basierten Gentherapie bei der ATTR-Amyloidose. Die Erkrankung führt dazu, dass sich Transthyretin (TTR), ein Protein, im Körper anreichert; es gibt erbliche und erworbene Formen. Untersucht wurden Patienten mit Veränderungen im Erbgut. Laut Zwischenauswertung mit 6 Patienten verringert die Gentherapie NTLA-2001 den Serum-Spiegel von TTR dosisabhängig um bis zu 96%. Ob sich klinische Symptome bessern, ist unklar.
Details hat Dr. Julian D. Gillmore vom University College London zusammen mit Kollegen im NEJM veröffentlicht [1]. Sie planen auch eine Präsentation beim Peripheral Nerve Society Annual Meeting (PNS).
„Dies sind die ersten klinischen Daten, die darauf hindeuten, dass wir Zielzellen im Körper präzise verändern können, um genetische Erkrankungen mit einer einzigen intravenösen Infusion von CRISPR zu behandeln“, sagt Dr. John Leonard. Er ist Präsident und Chief Executive Officer von Intellia Therapeutics. Als weiterer Forschungspartner kommt Regeneron Pharmaceuticals mit hinzu. Leonard ergänzt, das Therapieprinzip öffne auch eine Tür zur Behandlung weiterer genetischer Krankheiten. „Mit diesen Daten glauben wir, dass wir wirklich eine neue Ära der Medizin einleiten“, lautet seine Hoffnung.
Die Transthyretin (ATTR)-Amyloidose – eine seltene Krankheit
Zum Hintergrund: Transthyretin-Amyloidose oder ATTR-Amyloidose ist eine seltene, fortschreitende und tödliche Krankheit. Die erbliche Variante, auch ATTRv-Amyloidose genannt, tritt auf, wenn eine Person mit Mutationen im TTR-Gen geboren wird. Bislang kennen Humangenetiker mehr als 80 Mutationen.
Bei Betroffenen stellt die Leber strukturell verändertes Transthyretin her. Es neigt zur Faltung und zur Verklumpung. Im Körper entstehen Amyloide. Sie verursachen schwerwiegende Komplikationen in verschiedenen Geweben, einschließlich des Herzens, der Nerven und des Verdauungssystems. Die ATTRv-Amyloidose manifestiert sich vorwiegend als Polyneuropathie, die zu Nervenschäden führen kann, oder als Kardiomyopathie, die zu Herzversagen führen kann. Bis zum Auftreten von Symptomen vergehen oft 20 bis 30 Jahre.
Daneben gibt es Personen ohne Mutation. Bei ihnen handelt es sich um eine Form der Altersamyloidose. Im Körper entstehen Wildtyp-TTR-Proteine, die instabil werden, sich falsch falten und zu Amyloid-Ablagerungen aggregieren. Diese Form betrifft hauptsächlich das Herz.
Weltweit leiden schätzungsweise 50.000 Menschen an ATTRv-Amyloidose und 200.000 bis 500.000 Menschen an ATTRwt-Amyloidose. Zur Therapie setzen Ärzte vor allem auf Lebertransplantationen.
Neue Therapie mit der „Genschere“
Seit Entwicklung der CRISPR/Cas9-Technologie hoffen Forscher weltweit, mit dieser „Genschere“ Krankheiten zu heilen. NTLA-2001 ist der erste CRISPR-basierte Therapiekandidat, der systemisch verabreicht wird, um das TTR-Gen in Leberzellen zu inaktivieren. Entsteht kein fehlgefaltetes Protein, schreitet die Erkrankung nicht fort, so die Hypothese.
Intellias nicht-virale Plattform arbeitet mit Lipid-Nanopartikeln, um ein zweiteiliges Genom-Editierungssystem in die Leber zu bringen: Guide-RNA, die spezifisch für das krankheitsverursachende Gen ist, und Boten-RNA, die für das Cas9-Enzym kodiert, um Präzisions-Editierungen durchzuführen. Präklinische Daten zeigten eine starke, langanhaltende Verringerung des Transthyretin-Spiegels nach Inaktivierung des Zielgens in vivo.
Klinische Studie der Phase 1 mit maximal 38 Teilnehmern
Daten kommen jetzt aus einer offenen, multizentrischen, zweiteiligen Studie zu NTLA-2001 bei Erwachsenen mit hereditärer Transthyretin-Amyloidose und mit Polyneuropathie. Primäres Ziel der Forscher war, die Sicherheit, Verträglichkeit, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von NTLA-2001 zu bewerten.
Patienten erhalten eine Einzeldosis von NTLA-2001 in intravenöser Form. Insgesamt sollen bis zu 38 Teilnehmer zwischen 18 und 80 Jahren rekrutiert werden. Am Beginn steht eine Phase mit Einzeldosis, gefolgt von einer Dosis-Erweiterungsphase, die voraussichtlich im Jahr 2021 beginnen wird.
Die geplante Zwischenauswertung umfasst Daten von 6 Patienten; 3 erhielten 0,1 mg/kg Körpergewicht, und 3 weitere 0,3 mg/kg. Dabei fanden die Wissenschaftler dosisabhängige Effekte. An Tag 28 hatte sich die Serum-TTR-Proteinkonzentration gegenüber dem Ausgangswert um 52% (Bereich 47% bis 56%) in der Niedrigdosis-Gruppe und um 87% (Bereich 80% bis 96%) in der Hochdosis-Gruppe verringert.
Beide Dosierungen wurden gut vertragen, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen und ohne Leberbefunde bis zum 28. Tag. Angesichts des bisherigen Sicherheits- und Verträglichkeitsprofils untersuchen die Hersteller NTLA-2001 jetzt im Dosiseskalationsteil weiter. Sie wollen herausfinden, ob eine noch höhere Dosis zu einer stärkeren Senkung der krankheitsverursachenden Proteinspiegel führt. Derzeit erhalten Patienten in Kohorte 3 genau 1 mg/kg NTLA-2001.
Nach der Identifizierung einer empfohlenen Dosis im Dosiseskalationsteil der Studie erwartet Intellia, noch in diesem Jahr mit Teil 2 der Phase-1-Studie mit einer Einzeldosis-Erweiterungskohorte zu beginnen. Danach plant das Unternehmen zulassungsrelevante Studien sowohl für Polyneuropathie- als auch für Kardiomyopathie-Manifestationen der ATTR-Amyloidose.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Erste klinische Ergebnisse mit der „Genschere“ bei Amyloidose machen Hoffnung – weitere Studien in Planung - Medscape - 1. Jul 2021.
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