Erstmals konkreter Nachweis im MRT: Cannabis-Konsum hinterlässt bleibende Schäden im Gehirn von Heranwachsenden

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

28. Juni 2021

Für Jugendliche unter 25 Jahren, deren Gehirn noch nicht vollständig ausgereift ist, ist der Konsum von Cannabis besonders gefährlich. Das haben in der Vergangenheit bereits einige Studien gezeigt. Nun ist Wissenschaftlern mithilfe von MRT-Bildern erstmals der ganz konkrete Nachweis gelungen, welche bleibenden negativen Effekte die Droge im Gehirn von Heranwachsenden haben kann.

Wie das Team um Dr. Matthew Albaugh, klinischer Psychologe in der Abteilung für Psychiatrie am University of Vermont Medical Center, in JAMA Psychiatry berichtet, ist bei Jugendlichen, die Cannabis mehr oder weniger regelmäßig konsumieren, die Hirnrinde im Bereich des präfrontalen Kortex auffällig verdünnt [1]. Der beobachtete Effekt war umso stärker, je mehr Cannabis die Jugendlichen nach eigenen Angaben zu sich genommen hatten.

PET-Aufnahmen zeigten zudem, dass Veränderungen besonders deutlich an Stellen auftraten, die viele Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1) aufweisen. Hirnmorphologische Effekte von Cannabis beeinflussten der Studie zufolge auch das Verhalten der Jugendlichen. Ihre Aufmerksamkeit sei reduziert und die Impulsivität erhöht gewesen, schreiben Albaugh und seine Kollegen.

Ausdünnung der Hirnrinde im präfrontalen Kortex

„Das ist eine qualitativ hochwertige und somit auch verdient hochrangig publizierte Studie“, kommentiert Prof. Dr. Maximilian Gahr, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm, im Gespräch mit Medscape. Gahr, der sich ebenfalls wissenschaftlich mit den Folgen des Cannabiskonsums bei Jugendlichen beschäftigt, nennt vor allem 2 Stärken der Untersuchung: die Größe der Kohorte und der Einsatz bildgebender Verfahren.

 
Das ist eine qualitativ hochwertige und somit auch verdient hochrangig publizierte Studie. Prof. Dr. Maximilian Gahr
 

„Frühere Studien hatten bereits darauf hingedeutet, dass der Gebrauch von Cannabinoiden insbesondere bei Adoleszenten möglicherweise zu anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen führt – die selbst dann weiter bestehen, wenn der Konsum beendet wird“, sagt Gahr. Die aktuelle Studie bestätige dies nun und zeige darüber hinaus die wahrscheinliche Ursache der geistigen Veränderungen auf: eine Ausdünnung der Hirnrinde im präfrontalen Kortex.

„Dieser Bereich des Gehirns ist ganz wesentlich an kognitiven Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Planen, Problemlösen, Priorisieren und Fokussieren beteiligt“, erläutert Gahr. Zugleich sei das Frontalhirn ein Bereich, dessen Entwicklung erst sehr spät abgeschlossen sei – bei Frauen mit Mitte 20, bei Männern vermutlich noch später. „Das ist möglicherweise der Grund, warum das Gehirn von Heranwachsenden so besonders empfindlich auf Drogen und andere Störungen von außen reagiert“, sagt der Psychiater.

Weitere Argumente für Ärzte

Gahr selbst veröffentlichte Ende 2020 gemeinsam mit seinem Ulmer Kollegen Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona im Journal of Clinical Psychopharmacology eine Studie, der zufolge die Zahl cannabisinduzierter Psychosen bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist – vermutlich aufgrund des immer höheren THC-Gehalts moderner Cannabiszüchtungen. THC (Tetrahydrocannabiol) ist der wichtigste psychoaktiv wirkende Inhaltsstoff der Hanfpflanze.

 
Dieser Bereich des Gehirns ist ganz wesentlich an kognitiven Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Planen, Problemlösen, Priorisieren und Fokussieren beteiligt. Prof. Dr. Maximilian Gahr
 

„Die aktuelle Studie von Albaugh und seinem Team liefert Fakten, die uns Behandler stark motivieren, die Betroffenen davon zu überzeugen, ihren Cannabiskonsum zu beenden“, sagt Schönfeldt-Lecuona gegenüber Medscape. Die Folgen eines längeren Cannabiskonsums seien für die Entwicklung des Gehirns fatal und manchmal irreversibel. „Das sind Argumente, die man bei der Motivationsbehandlung stets aufgreifen sollte“, betont Schönfeldt-Lecuona.

Fast 1.600 MRT-Bilder ausgewertet

Albaugh und seine Kollegen werteten für ihre Untersuchung Daten der IMAGEN-Studie aus, die derzeit an 8 europäischen Standorten durchgeführt wird. Ziel ist, mithilfe bildgebender Verfahren und genetischer Untersuchungen neue Möglichkeiten zur Prävention und Therapie psychischer Störungen zu entwickeln. Das Team um Albaugh nutzte Verhaltens- und Neuroimaging-Daten von 799 IMAGEN-Probanden, die zu Beginn der Studie angegeben hatten, bislang kein Cannabis konsumiert zu haben. 56,3% von ihnen waren weiblich.

 
Die aktuelle Studie … liefert Fakten, die uns Behandler stark motivieren, die Betroffenen davon zu überzeugen, ihren Cannabiskonsum zu beenden. Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona
 

Die Basisdaten der Längsschnittstudie wurden vom 1. März 2008 bis zum 31. Dezember 2011 und die Folgedaten vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 erhoben. Das mittlere Alter der Probanden lag zu Beginn der Studie bei 14,4 Jahren und beim 5-Jahres-Follow-up bei 19 Jahren. Der Cannabiskonsum der Teilnehmer wurde zu beiden Zeitpunkten mit dem „European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs“ erfasst.

Untersuchungen per MRT und PET

Insgesamt wertete das Team um Albaugh 1.598 MRT-Bilder der Teilnehmer aus. Wie die Forscher berichten, war zum Zeitpunkt des Follow-ups bei denjenigen Probanden, die in den vergangenen 5 Jahren begonnen hatten, Cannabis zu konsumieren, die Hirnrinde sowohl im rechten als auch im linken präfrontalen Bereich signifikant verdünnt. Die kortikalen Veränderungen waren umso stärker, je mehr Cannabis die Probanden zu sich genommen hatten.

Keine signifikanten Assoziationen habe es hingegen zwischen dem Lebenszeit-Cannabiskonsum bei der 5-Jahres-Nachbeobachtung und der kortikalen Ausgangsdicke gegeben, schreiben die Forscher. Das deute darauf hin, dass die beobachteten neuroanatomischen Unterschiede nicht schon vor dem Beginn des Cannabiskonsums aufgetreten seien.

In einem nächsten Schritt verglichen Albaugh und seine Kollegen das räumliche Muster der kortikalen Ausdünnung mit einer – bei einer separaten Stichprobe von Teilnehmern – per Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gewonnenen Karte, auf der die Verteilung der Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 sichtbar war. Die Analyse habe ergeben, dass die Ausdünnung besonders stark an Stellen gewesen sei, die reich an CB1-Rezeptoren seien, schreiben die Wissenschaftler.

Die cannabisbedingte Ausdünnung im rechten präfrontalen Kortex war zudem mit Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer bei der Nachuntersuchung assoziiert: Die betroffenen Probanden reagierten impulsiver als andere und hatten größere Schwierigkeiten, sich auf eine bestimmte Aufgabe zu konzentrieren.

Jüngere Konsumenten – schwerwiegendere Folgen

„Nach unserem Wissen stellt die vorliegende Untersuchung die bisher größte longitudinale Neuroimaging-Studie zum jugendlichen Cannabiskonsum dar“, schreiben die Forscher in ihrem Fazit. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Cannabiskonsum während der Adoleszenz mit einer veränderten Neuroentwicklung verbunden ist – insbesondere in Kortizes, die reich an Cannabinoid-1-Rezeptoren sind.“ Zudem würden ihre Resultate zeigen, wie wichtig weitere Längsschnittstudien zum jugendlichen Cannabiskonsum seien, vor allem angesichts zunehmender Trends zur Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis.

Unklar ist beispielsweise noch, auf welche hirnmorphologischen Veränderungen das erhöhte Psychoserisiko zurückgehen könnte – das dem Ulmer Psychiater Gahr zufolge selbst bei einem gelegentlichen, manchmal sogar einmaligen Cannabiskonsum zu beobachten sei. „Als gesichert gilt hingegen, dass das Risiko für negative Langzeitfolgen des Cannabisgebrauchs umso größer ist, je jünger die Konsumenten sind“, sagt Gahr. „Und nach allem, was man bisher weiß, müssen wir grundsätzlich davor warnen, die vermeintlich so harmlose Freizeitdroge außerhalb ärztlicher Verordnungen zu konsumieren.“
 

Kommentar

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