Bei seiner Sitzung Ende Juni empfahl der EMA-Ausschuss für Humanarzneimittel 8 Arzneimittel zur Zulassung. Darunter sind neue Gentherapien beim multiplen Myelom, neue Behandlungsmöglichkeiten bei Kleinwüchsigkeit und weitere Strategien bei Plaque-Psoriasis [1]. Die Details im Überblick.
Abecma® (Idecabtagene Vicleucel) beim multiplen Myelom
Der Ausschuss empfiehlt, eine Genehmigung für Abecma® (Idecabtagene Vicleucel) zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplem Myelom zu erteilen, die ohne Erfolg mindestens 3 vorherige Therapien erhalten haben, darunter ein immunmodulatorisches Pharmakon, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper.
Plasmazellen befinden sich im Knochenmark und sind ein wichtiger Teil des Immunsystems. Sie stellen die Antikörper her, die es dem Körper ermöglichen, Krankheitserreger zu erkennen und anzugreifen. Beim multiplen Myelom gerät die Teilung der Plasmazellen außer Kontrolle, was dazu führt, dass sich abnorme, unreife Plasmazellen vermehren und das Knochenmark ausfüllen. Wenn Plasmazellen entarten, schützen sie den Körper nicht mehr vor Infektionen und produzieren abnorme Proteine, die Probleme in den Nieren, den Knochen oder im Blut verursachen können.
Trotz der Entwicklung und Zulassung einer Reihe neuer Medikamente zur Behandlung des Multiplen Myeloms in den letzten Jahren gibt es nur begrenzte Therapiemöglichkeiten für Patienten, die bereits die genannten Hauptklassen von Medikamenten erhalten haben und nicht mehr darauf ansprechen. Daher werden neue Medikamente für Patienten benötigt, deren Krankheit nach der Behandlung zurückkehrt.
Abecma® ist eine gentechnisch veränderte autologe chimäre Antigenrezeptor (CAR)-T-Zelltherapie, und zwar die 1. zellbasierte Gentherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit multiplem Myelom. Jede Dosis wird durch die Entnahme von patienteneigenen T-Zellen und deren genetische Modifikation hergestellt, so dass sie ein neues Gen enthalten, das dem Körper hilft, die Myelom-Zellen anzuvisieren und abzutöten. Diese modifizierten Immunzellen werden dann wieder in das Blut des Patienten infundiert.
Die Hauptstudie, auf der die Empfehlung für eine Marktzulassung basiert, war eine multizentrische, offene, einarmige klinische Studie der Phase 2. Untersucht wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Abecma® bei 140 erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myelom, die mindestens 3 vorangegangene Therapien erhalten hatten, darunter einen immun-modulatorischen Wirkstoff, einen Proteasom-Inhibitor und einen Anti-CD38-Antikörper, und die auf das letzte Behandlungsschema nicht angesprochen hatten. Etwa 67% der Patienten, die an der Studie teilnahmen, sprachen auf die Behandlung an; die Remission hielt im Durchschnitt für etwa 11 Monate an. Von den untersuchten Patienten zeigten 30% eine komplette Remission.
Als unerwünschte Effekte nennt der Ausschuss das Zytokin-Freisetzungssyndrom, neurologische Toxizitäten, Zytopenien und Infektionen, die lebensbedrohlich sein können.
Voxzogo® (Vosoritid) bei Achondroplasie
Außerdem verabschiedete der CHMP eine positive Stellungnahme für Voxzogo® (Vosoritid) zur Behandlung der Achondroplasie bei Patienten ab 2 Jahren, deren Epiphysen nicht geschlossen sind. Achondroplasie ist eine Erkrankung, die das Knochenwachstum beeinträchtigt und Kleinwüchsigkeit verursacht.
Menschen mit Achondroplasie haben typischerweise eine kurze Statur. Bei einigen kann es auch zu ernsten gesundheitlichen Komplikationen kommen, wie Kompression des Rückenmarks, krumme Beine, Ohrinfektionen oder Herzprobleme, was das Risiko eines vorzeitigen Todes erhöhen kann.
Bislang waren nur unterstützende Maßnahmen möglich, etwa chirurgische Eingriffe zur Verlängerung der Gliedmaßen, zur Korrektur der Wirbelsäulenkompression oder der verkrümmten Beine. Die meisten Patienten werden im frühen Säuglingsalter oder bei der Geburt diagnostiziert. Die EMA schätzt, dass in der EU jedes Jahr 350 Kinder mit Achondroplasie geboren werden.
Bei Patienten mit Achondroplasie ist das Gen für den Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor 3 (FGFR3) dauerhaft aktiv, was ein normales Knochenwachstum verhindert. Vosoritide, der Wirkstoff in Voxzogo®, wirkt, indem er sich an einen Rezeptor namens natriuretischer Peptidrezeptor Typ B (NPR-B) auf der Oberfläche von Zellen anlagert. Durch die Aktivierung dieses Rezeptors wird die Aktivität von FGFR3 reduziert und dadurch das normale Wachstum der Knochen angeregt und die Symptome der Krankheit werden verbessert.
Die Stellungnahme des Ausschusses stützt sich hauptsächlich auf eine Studie, in der 121 Patienten mit Achondroplasie im Alter zwischen 5 und 18 Jahren untersucht wurden. Im Verlauf der Studie wurde bei den mit Vosoritid® behandelten Patienten im Vergleich zu Placebo eine statistisch signifikante Verbesserung des Wachstums beobachtet, wobei die Patienten nach einem Jahr Behandlung durchschnittlich 1,57 cm an Körpergröße zulegten. Die beobachtete Wachstumssteigerung trat proportional sowohl an der Wirbelsäule als auch an den unteren Gliedmaßen auf. Längerfristige Daten bei einer Reihe von Patienten deuten darauf hin, dass das verbesserte Wachstum erhalten bleibt. Eine separate laufende Studie mit Probanden im Alter von 2 bis 5 Jahren deutet ebenfalls auf eine konsistente Verbesserung des Wachstums hin.
Die in klinischen Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Hypotonie (niedriger Blutdruck), Reaktionen an der Injektionsstelle und Erbrechen.
Minjuvi® (Tafasitamab) bei B-Zell-Lymphomen
Der Ausschuss empfiehlt zudem eine Genehmigung für Minjuvi® (Tafasitamab) zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL), die nicht für eine autologe Stammzelltransplantation infrage kommen.
Tafasitamab, ein monoklonaler Antikörper zielt auf das CD19-Antigen ab, das auf der Oberfläche von Vorläufer- und reifen B-Lymphozyten exprimiert wird. Bei Bindung an CD19 vermittelt Tafasitamab die B-Zell-Lyse durch Effektorzellen des Immunsystems, wie natürliche Killerzellen, Gammadelta-T-Zellen und Phagozyten, und leitet den Zelltod (Apoptose) direkt ein.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Infektionen, Neutropenie, Thrombozytopenie, Anämie, Leukopenie, Hypokaliämie, verminderter Appetit, Atemnot, Husten, Durchfall, Verstopfung, Erbrechen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Hautausschlag, Asthenie, Müdigkeit, periphere Ödeme und Fieber.
Bimzelx® (Bimekizumab) bei Plaque-Psoriasis
Grünes Licht gab es auch für Bimzelx® (Bimekizumab) zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Plaque-Psoriasis. Bimekizumab, ein rekombinanter humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper wirkt durch die Hemmung der Interleukin (IL)-17A- und IL-17F-Signalgebung.
Die Vorteile des Pharmakons sind seine Fähigkeit, den Hautzustand zu verbessern, gemessen an den Verbesserungen des Investigator's Global Assessment (IGA) 0/1 und des Psoriasis Area and Severity Index 90 (PASI 90) sowie die Verringerung von Juckreiz, Schmerzen und Schuppung der Haut bei Patienten mit Plaque-Psoriasis. Als häufigste Nebenwirkungen traten Infektionen der oberen Atemwege und orale Candidosen auf.
Byooviz® (Ranibizumab) bei Makulaödemen
Ein positives Votum erhielt auch Byooviz® (Ranibizumab) zur Behandlung der neovaskulären (feuchten) altersbedingten Makuladegeneration, der Sehbehinderung aufgrund eines diabetischen Makulaödems, der proliferativen diabetischen Retinopathie, der Sehbehinderung aufgrund eines Makulaödems infolge eines Netzhautvenenverschlusses und der Sehbehinderung aufgrund einer choroidalen Neovaskularisation.
Ranibizumab, ein monoklonales Antikörperfragment, inhibiert die Angiogenese durch Hemmung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors A. Das Arzneimittel ist dem Referenzarzneimittel Lucentis®, das am 22.01.2007 in der EU zugelassen wurde, sehr ähnlich. Daten zeigen, dass Byooviz® in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit Lucentis® vergleichbar ist.
Evrenzo® (Roxadustat) bei Anämie
Evrenzo® (Roxadustat) wird ein positives Gutachten zur Behandlung von Anämiesymptomen bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung erteilt.
Roxadustat ist ein Inhibitor der Prolylhydroxylase des Hypoxie-induzierbaren Faktors (HIF), der eine Anämie korrigiert, indem er eine natürliche Reaktion aktiviert, die bei niedrigem Sauerstoffgehalt im Blut auftritt, die Erythropoese fördert und die Sauerstofftransportkapazität des Blutes erhöht.
Die Vorteile von Evrenzo® sind seine Fähigkeit, den Hämoglobinspiegel zu korrigieren und die Notwendigkeit einer Notfalltherapie sowohl bei nicht-dialyseabhängigen als auch bei dialyseabhängigen (DD) Patienten zu reduzieren. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Bluthochdruck, Gefäßzugangsthrombose, Durchfall, periphere Ödeme, Hyperkaliämie und Übelkeit.
Neue Generika
Abirateron Mylan® (Abirateronacetat) zur Behandlung von metastasierendem Prostatakrebs und Fingolimod Mylan® (Fingolimod) zur Behandlung von schubförmig remittierender Multipler Sklerose mit hoher Krankheitsaktivität werden künftig als Generika verfügbar sein.
Negative Empfehlung zu Flynpovi® (Eflornithin/Sulindac).
Der CHMP verabschiedete ein negatives Gutachten zum Antrag auf Genehmigung für Flynpovi® (Eflornithin/Sulindac). Es wurde zur Behandlung von Erwachsenen mit familiärer adenomatöser Polyposis (FAP) entwickelt.
Laut CHMP sei Flynpovi® nicht mit der Standardtherapie oder mit einem Placebo verglichen worden. Und weder Eflornithin noch Sulindac hätten allein einen Nutzen gezeigt. Der CHMP ist außerdem der Ansicht, dass keine ausreichenden Daten zur Langzeitsicherheit von Flynpovi vorgelegt wurden, inklusive der Frage einer möglichen Gentoxizität.
Eweiterung bestehender Indikationen
Edistride® (Dapagliflozin, bei Typ-2-Diabetes), Forxiga® (Dapagliflozin, bei Typ-2-Diabetes), Galafold® (Migalastat, bei der der lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Fabry), Opdivo® (Nivolumab, bei Melanomen), Rinvoq® (Upadacitinib, bei rheumatoider Arthritis) und Xeljanz® (Tofacitinib, bei rheumatoider Arthritis) erhielten Zulassungserweiterungen.
Überprüfung von Stresam® (Etifoxin)
Die EMA hat eine Überprüfung von Stresam® (Etifoxin) eingeleitet, einem in einigen EU-Ländern zugelassenen Arzneimittel zur Behandlung von Angststörungen. Die Ergebnisse der Studie AMETIS legen nahe, dass Stresam® ähnliche Wirkungen wie Placebo hat.
Darüber hinaus ergab eine Analyse der verfügbaren Sicherheitsdaten einschließlich Daten aus der AMETIS-Studie und Daten aus der Sicherheitsüberwachung, dass trotz der 2014 ergriffenen Maßnahmen zur Risikominimierung noch einige seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen auftraten. Dazu gehören schwere Hautreaktionen, Leberschäden, Uterusblutungen zwischen den Monatsblutungen (hauptsächlich bei Frauen, die orale Kontrazeptiva anwenden) und Darmentzündungen (lymphozytäre Kolitis).
Deshalb beantragte die französische Arzneimittelbehörde eine Überprüfung. Die EMA wird nun die verfügbaren Daten bewerten und empfehlen, ob die Zulassungen für dieses Produkt aufrechterhalten, geändert, ausgesetzt oder widerrufen werden sollten.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: EMA: Neue Gentherapie beim multiplen Myelom, eine neue AMD-Therapie – und weitere Empfehlungen - Medscape - 25. Jun 2021.
Kommentar