MEINUNG

„Zahlen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss“: Therapie-Erfolg beim metastasierten HER2+ Mammakarzinom – bald Standard?

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

4. Oktober 2021

Die Auswahl ihrer Lieblingsstudie vom ESMO fiel PD Dr. Georgia Schilling nicht schwer. In der DESTINY-Breast03-Studie war ein alter Bekannter, Trastuzumab deruxtecan (T-DXd), deutlich überlegen. 

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling, ich bin leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg und auch Chefärztin der internistisch-onkologischen Rehabilitation in der Asklepios-Nordsee-Klinik in Westerland auf Sylt.

Ich freue mich, dass ich Ihnen mein ganz persönliches ESMO-2021-Highlight vorstellen darf. Dabei ist mir die Entscheidung in diesem Jahr sehr leicht gefallen. Ich möchte Ihnen den Late-Breaking-Abstract Nr. 1 vorstellen, der im ersten Präsidentensymposium präsentiert worden ist [1].

Es geht um Trastuzumab deruxtecan (T-DXd), ein Antikörper-Drug-Konjugat, eine Substanzklasse, mit der wir schon lange arbeiten. Das Prinzip ist erstmals in der Hämatologie erfolgreich angewendet worden. Wir sind alle seit 10 Jahren mit T-DM1 – Trastuzumab emtansin – vertraut. Mittlerweile gibt es schon 3.-Generations-ADCs.

T-DXd versus TD-DM1

In der DESTINY-Breast03-Studie wurde T-DXd Head-to-Head mit T-DM1 bei Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem HER2-positivem Mammakarzinom verglichen.

Zwischen dem 1.- und 3-Generations-ADC gibt es natürlich Unterschiede in der „Payload“. Die Chemotherapie-Moleküle sind unterschiedlich, bei T-DXd ist ein Topoisomerase-1-Inhibitor angekoppelt, bei T-DM1 ein Mikrotubulus-Hemmer. Das heißt, die Linker unterscheiden sich. Auch das Verhältnis Antikörper zu Chemotherapie ist unterschiedlich, es ist bei T-DXd fast doppelt so hoch wie bei T-DM1.

T-DXd verfügt zudem über einen Bystander-Effekt, den T-DM1 nicht hat. Das bedeutet, dass auch HER2-negative Zellen in der Umgebung der HER2-positiven Zelle, die nach Endozytose des Deruxtecans zugrunde geht, durch frei werdendes Deruxtecan abgetötet werden. Dieser Bystander-Effekt trägt sicher entscheidend zur Wirksamkeit bei.

DESTINY-Breast03-Studie

Die Studie ist schnell erklärt. Es ist eine 1:1 randomisierte Studie, in der T-DXd gegen T-DM1 in der Second-Line-Therapie untersucht worden ist. Die beiden Gruppen waren sehr gut ausgeglichen, auch in der früheren Gabe von Trastuzumab und Pertuzumab.

Was gezeigt wurde war eine Kurve mit progressionsfreiem Überleben nach unabhängiger Beurteilung, wie wir sie m.W. noch nie gesehen haben. Mein Chef, der in Paris vor Ort war, hat mir gleich ein Foto mit der beeindruckenden Kurve des PFS geschickt und hat dazu kommentiert: „This ist he end of EMILIA“.

Wenn Sie gleich die Zahlen hören, werden Sie mir auch zustimmen, dass dies wahrscheinlich das Ende von T-DM1 in der Second-Line-Therapie.

Zum Zeitpunkt der Analyse war das mediane PFS unter T-DXd noch nicht erreicht, bei T-DM1 betrug es 6,8 Monate. Wir reden über eine Hazard-Ratio von 0,28. Das hat bislang keiner von uns in einer Studie im metastasierten Setting in der Second Line gesehen. Der p-Wert hat so viele Nullen, dass man es gar nicht mehr ausschreiben kann: 7,8 x 10-22

Das sind Zahlen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Das 12-Monats-PFS betrug fast 76%, im T-DM1-Arm 34,1%. Es war also verdoppelt, das sind wahnsinnige Zahlen.

Ich kann mir vorstellen, wäre der ESMO-Kongress als Präsenzveranstaltung abgehalten worden, wäre bestimmt ein ehrfurchtsvolles Schweigen im Saal gewesen wie vor gut 10 Jahren, als die CLEOPATRA-Daten in Madrid präsentiert worden sind, die damals auch sensationell waren.

Ich denke, damit ist T-DM1 in der Second Line tatsächlich abgelöst.

Der PFS-Vorteil konnte in allen Subgruppen gezeigt werden, sogar in der Subgruppe der Patientinnen mit stabilen Hirnmetastasen, die eingeschlossen werden durften.

Daten zum Gesamtüberleben sind sicher noch nicht reif. Wir hoffen natürlich, dass sich der PFS-Vorteil ins Gesamtüberleben übersetzt.

Wir reden hier aber über ein Medikament mit einer Clinical-Benefit-Rate von 97%. Das ist hervorragend. Das bestätigte Gesamtansprechen war fast 80% gegenüber 34,2% mit T-DM1.

Kurz ein Blick auf die Nebenwirkungen. Es gab mehr Therapieabbrüche und mehr Dosismodifikationen unter T-DXd, das ist einer neuen Toxizität geschuldet, die wir von anderen Antikörpern noch nicht kannten. Das ist eine interstitielle Lungenerkrankung, die in der Vorstudie, der DESTINY01-Studie allerdings noch viel häufiger war. Da waren aber mehr Patientinnen vorbehandelt.

Auch eine gastrointestinale Toxizität möchte ich erwähnen, es gab zwar wenig Grad-3-Nebenwirkungen unter T-DXd, aber eine Grad-1- oder Grad-2-Übelkeit, die die Patientin über den ganzen Tag verspürt und sie schwer belasten kann. Dies ist durch ein gutes Supportivmanagement aber gut zu handhaben.

Zusammenfassung

In allen Endpunkten war T-DXd dem Standard T-DM1 in der Second-Line überlegen, also in der Clinical-Benefit-Rate, im Gesamtansprechen, im progressionsfreien Überleben in allen Subgruppen. Damit kann man auch dem Fazit der Autoren zustimmen, dass T-DXd der neue Standard in der Second-Line-Therapie des metastasierten oder lokal fortgeschrittenen HER2-positiven Mammakarzinoms wird.

Die Substanz ist noch nicht zugelassen. Wir müssen es also beantragen. Der Antrag lohnt sich im Sinne unserer Patientinnen.

Natürlich sind viele Fragen noch offen. Was ist, wenn T-DM1 jetzt hinter T-DXd rutscht? Ist es überhaupt noch wirksam? Welche Rolle wird T-DM1 in der Zukunft spielen? Was kommt nach T-DXd? Vielleicht ein anderes ADC?

Vorgestellt wurde z.B. SYD985 (Trastuzumab duocarmazin), das allerdings beträchtliche Nebenwirkungen hat und auch nicht so beeindruckend war, was die Zahlen angeht.

Rückt T-DXd vielleicht in die First-Line vor und löst CLEOPATRA, also die duale Blockade in der First-Line ab? Was passiert, wenn wir T-DXd neo- oder postneoadjuvant einsetzen?

Das wird die Zukunft zeigen. Die entsprechenden Studien sind zum großen Teil bereits begonnen.

Ich freue mich auf die nächsten Kongresse, weil dann wieder ganz spannende Daten im Sinne unserer Patienten präsentiert werden.

Das sind sehr gute Aussichten für die Zukunft.

In diesem Sinne – danke fürs Zuhören und Tschüss bis zum nächsten Mal.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....