Diese Studienergebnisse minimieren die Folgen eines Schlaganfalls: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener fasst die wichtigsten Erkenntnisse vom Kongress der Europäischen Schlaganfall-Organisation zusammen zusammen.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Mein Thema in diesem Monat ist der Kongress der Europäischen Schlaganfall-Organisation (ESO), der vom 1. bis 3. September 2021 stattfand. An diesem virtuellen Kongress nahmen mehr als 4.000 Personen teil.
MR-ASAP-Studie
Lassen Sie mich mit dem akuten Schlaganfall beginnen. Fast 2 Drittel bis 3 Viertel aller Patienten, die einen akuten Schlaganfall erleiden, haben erhöhte Blutdruckwerte. Große randomisierte Studien haben gezeigt, dass eine Blutdrucksenkung im Krankenhaus keinen therapeutischen Nutzen hat.
Deswegen wurde erwogen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, den Blutdruck schon auf dem Transport ins Krankenhaus zu senken. Das hat die holländische Studie MR ASAP untersucht, in die Patienten mit Schlaganfall eingeschlossen worden sind, deren systolischer Blutdruck über 140 mm Hg lag [1]. Sie wurden entweder mit einem Nitroglycerin-Patch oder Placebo behandelt. Nachdem 380 Patienten eingeschlossen waren, wurde die Studie vom Sicherheitskomitee abgebrochen.
Das ist auch nicht erstaunlich, da es bereits 2 Jahr zuvor in Großbritannien eine viel größere Studie gegeben hat, die gezeigt hat, dass eine Blutdrucksenkung auf dem Weg ins Krankenhaus eher schädlich ist. Es entzieht sich also etwas dem Verständnis, warum man diese Studie nicht schon zu diesem Zeitpunkt abgebrochen hat.
SWIFT-DIRECT-Studie
Die wichtigste Studie zur Akuttherapie war m. E. die SWIFT-DIRECT-Studie, die aus der Schweiz organisiert wurde [2]. Sie hat eine direkte Thrombektomie (n = 201) mit einer Thrombektomie in Kombination mit systemischer Lyse (n = 207) verglichen. Drei Viertel der Patienten hatten einen Verschluss der Arteria cerebri media.
Primärer Endpunkt der Nichtunterlegenheitsstudie war die Funktionsfähigkeit auf der modifizierten Rankin-Skala zwischen 0 und 2. Das wurde bei 65% in der Kombinations- und 57% in der Monotherapie erreicht. Damit konnte dieses Ergebnis die Nichtunterlegenheit nicht nachweisen.
Was besonders erstaunlich war, war die extrem hohe Rekanalisierungsrate von über 90%. Erstaunlich war auch der gute funktionelle Outcome gemessen an der Schwere der Schlaganfälle.
Das wäre jetzt meiner Meinung nach ein ganz klares Urteil zugunsten der Kombinationstherapie. Auch wenn die Blutungsrate etwas höher ist, ist der Nutzen doch höher als das Risiko.
APACHE-AF- und SOSTART-Studie
2 Studien haben die Frage untersucht, ob Patienten mit Vorhofflimmern, die unter Antikoagulation eine zerebrale Blutung erleiden, erneut antikoaguliert werden sollen oder ob die Antikoagulation vermieden werden soll, sie also entweder Acetylsalicylsäure oder keine Therapie erhalten.
Die holländische APACHE-AF-Studie hat Apixaban (2 x 5 mg) mit keiner Antikoagulation verglichen [3]. Die Studie hatte 2 x 50 Patienten und es erstaunt nicht, dass kein Unterschied für den primären Endpunkt gefunden wurde, nämlich nicht tödlicher Schlaganfall und vaskulärer Tod.
Die 2. Studie aus UK, die SOSTART-Studie, war mit 203 Patienten doppelt so groß [4]. Hier war der primäre Endpunkt erneute intrakranielle Blutung. Es kam zu 8 Blutungen, wenn die Patienten erneut antikoaguliert wurden und 4 Blutungen, wenn nicht. Meiner Meinung nach ist aber das viel wichtigere Ergebnis die Zahl der ischämischen Insulte. Bei erneuter Antikoagulation kam es zu 3, ohne Antikoagulation zu 19 ischämischen Insulten.
Auch wenn diese beiden Studien nicht signifikant waren, wäre das für mich ein ziemlich starkes Argument, diese Patienten erneut zu antikoagulieren.
RESTART-Studie
Die RESTART-Studie, auch in Großbritannien durchgeführt, hat Patienten eingeschlossen, die unter einer Therapie mit Thrombozyten-Funktionshemmern wegen vaskulärer Erkrankungen eine intrakranielle Blutung erlitten hatten [5]. Die Ergebnisse wurden erstmals nach einer Beobachtungszeit von 3 Jahren publiziert. Dort fand sich ein sehr überraschendes Ergebnis, nämlich, dass unter erneuter Thrombozyten-Funktionshemmung nicht nur ischämische Ereignisse seltener waren, sondern auch Blutungskomplikationen.
Jetzt gibt es 5-Jahres-Ergebnisse, hier ist kein Unterschied mehr in den Blutungskomplikationen zu sehen, was ja auch pathophysiologisch erklärbar ist.
TIMING-Studie
Eine kleine randomisierte Studie mit fast 900 Patienten mit ischämischem Insult und Vorhofflimmern in Schweden hat untersucht, ob eine Antikoagulation innerhalb von 4 Tagen oder jenseits von 4 Tagen begonnen werden sollte [6]. Hier ergab sich ein Trend zugunsten der frühen Antikoagulation. Diese Studie hat allerdings die wichtigste Frage nicht beantwortet, nämlich ob Patienten, die einen schweren Insult erlitten haben, verzögert antikoaguliert werden sollten.
2 weitere, sehr wichtige Studien
Eine der Studien kommt aus Holland zu asymptomatischen Aneurysmen und dem Risiko, dass es zu einer Ruptur kommt [7].
Dort wurden bei 5.166 Personen mit asymptomatischen Aneurysmen Prädiktoren für eine Größenzunahme gefunden, nämlich Größe über 7 mm, irreguläre Form des Aneurysmas und eine Lokalisation an der Arteria cerebri media.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann noch eine ganz wichtige Information für unsere Patienten mit Vorhofflimmern, wenn wir versuchen wollen, sie zu antikoagulieren. Eine Studie mit 142.000 Patienten mit Vorhofflimmern, die über einen Zeitraum von 5 Jahren beobachtet worden waren, hat eindeutig gezeigt, dass man das Risiko der Entwicklung einer Demenz um 10% reduzieren kann, wenn diese Patienten antikoaguliert werden [8]. Das repliziert Daten, die in anderen Studien und Registern gefunden wurden.
Meine Damen und Herren, es war ein aufregender Kongress und es waren einige Studien dabei, die durchaus unsere klinische Praxis beeinflussen.
Es zeigt sich aber auch, dass es extrem schwierig ist, Investigator-initiierte Studien zu machen, die über die Landesgrenzen hinausgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin Christoph Diener von der Universität Duisburg-Essen und ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: 7 Mal Fortschritt für Schlaganfallpatienten – die wichtigsten Studien des ESO-Kongress – vom Profi kommentiert - Medscape - 13. Sep 2021.
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