MEINUNG

Neuro-Talk: 6 neue Leitlinien zur Erstversorgung und Therapie bei Schlaganfall – inklusive Sinusvenen-Thrombosen

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

23. August 2021

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener stellt 5 frisch publizierte, europäische Leitlinien plus Expert-Opinion zu Sinusvenen-Thrombosen der ESO zur Erstversorgung und Therapie von Schlaganfall-Patienten vor.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich referiere diesmal 6 Leitlinien, die von der European Stroke Organisation (ESO) im Juli 2021 publiziert worden sind.

1. Management des Blutdrucks beim akuten Schlaganfall

Erhöhte Blutdruckwerte sollten auf dem Transport ins Krankenhaus nicht gesenkt werden [1]. Bei Patienten mit akutem ischämischem Insult und Blutdruckwerten unter 220/110 mmHg ist keine routinemäßige Blutdrucksenkung erforderlich. Bei Patienten mit ischämischem Insult und Blutdruckwerten über 220/120 mmHg sollte allerdings eine langsame und schonende Blutdrucksenkung erfolgen.

Bei Patienten mit akutem ischämischem Insult, bei denen eine intravenöse Thrombolyse durchgeführt werden soll, sollte der Blutdruck unter 185/110 mm Hg gehalten werden. Das gilt auch für die nächsten 24 Stunden. Dasselbe gilt auch für Patienten mit mechanischer Thrombektomie.

Bei Patienten mit intrazerebralen Blutungen, die innerhalb von 6 Stunden ins Krankenhaus kommen, sollte der Blutdruck unter 140 mm Hg gesenkt werden.

Es ist weiterhin ziemlich unklar, ob eine vorbestehende antihypertensive Therapie fortgeführt oder pausiert werden soll.

2. Management raumfordernder ischämischer Schlaganfälle

Die 2. Leitlinie beschäftigt sich mit dem Management raumfordernder ischämischer Schlaganfälle [2].

Bei Patienten im Alter unter 60 Jahren und raumforderndem Media-Infarkt wird in einem 48-Stunden -Fenster die Hemikraniektomie empfohlen. Dabei müssen allerdings Patienten und Angehörige darauf aufmerksam gemacht werden, dass als Folge dieses Eingriffs und des Schlaganfalls schwerwiegende neurologische Ausfälle bestehen bleiben können.

Bei Patienten im Alter über 60 Jahren mit raumforderndem Media-Infarkt kann eine chirurgische Dekompression erwogen werden. Das gilt auch für raumfordernde Kleinhirninfarkte.

Bei raumfordernden ischämischen Insulten sollte allerdings die Gabe von Kortikosteroiden vermieden werden, ebenso eine Behandlung mit Hyperventilation oder Hypothermie.

3. Management von TIAs

Die 3. Leitlinie beschäftigt sich mit dem Management von transitorischen ischämischen Attacken (TIAs) [3].

Patienten mit TIA sollten innerhalb von 24 Stunden von einem Schlaganfall-Spezialisten, einer Schlaganfall-Ambulanz oder einer Stroke-Unit gesehen werden. Zusätzlich zur zerebralen Bildgebung sollte grundsätzlich eine CT-Angiographie oder MR-Angiographie erfolgen, um hämodynamisch relevante Stenosen und Verschlüsse der hirnversorgenden Arterien auszuschließen.

4. Duale Plättchenhemmung nach Hochrisiko-TIA oder leichtem Schlaganfall

Die 4. Leitlinie beschäftigt sich mit der dualen Plättchenhemmung nach Hochrisiko-TIA oder leichtem Schlaganfall [4].

Bei Patienten mit Hochrisiko-TIA, definiert als ein ABCD2-Score von 4 oder größer, und einem leichten Schlaganfall mit einem NIHSS ≤ 3 wird eine 21tägige duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel plus ASS empfohlen. Anschließend sollte die ASS-Monotherapie fortgeführt werden.

Die Kombinationstherapie kann auch mit Ticagrelor plus ASS erfolgen. Diese Kombination hat allerdings ein höheres Blutungsrisiko als die Kombination aus Clopidogrel und ASS. Deshalb sollten Clopidogrel plus ASS bevorzugt werden.

5. Endarterektomie oder Stenting bei Karotisstenosen

Die 5. Leitlinie beschäftigt sich mit der Frage Endarterektomie oder Stenting bei hochgradigen Karotis-Stenosen [5].

Bei Patienten mit größer als 60%igen asymptomatischen Karotis-Stenosen und hohem Schlaganfallrisiko wird die Karotis-Endarterektomie empfohlen.

Bei Patienten mit schweren, definiert als 70-bis 99%igen symptomatischen Karotis-Stenosen wird eine Karotis-Endarterektomie empfohlen. Diese sollte möglichst innerhalb von 2 Wochen nach dem Ereignis durchgeführt werden.

Bei Patienten mit symptomatischen Karotis-Stenosen im Alter unter 70 Jahren kommt auch ein Stenting als Alternative zur Operation in Frage.

Die Indikation sollte jeweils durch ein interdisziplinäres Team aus Neurologen, Neuroradiologen und Gefäßchirurgen gestellt werden.

6. Zerebrale Sinusvenen-Thrombosen nach SARS-CoV-2-Impfung

Bei der 6. Publikation handelt es sich um eine Expert Opinion, es geht um zerebrale Sinusvenen-Thrombosen nach SARS-CoV2-Impfung [6].

Diese zerebralen Sinusvenenthrombosen gehen mit einer Thrombozytopenie und Antikörpern gegen Plättchen-Faktor 4 (PF4) einher. Die meisten Fälle wurden nach Impfung mit Vektor-Impfstoffen wie Vaxzevria® von Astra-Zeneca oder COVID-19-Vakzine von Johnson & Johnson beobachtet. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Bei den betroffenen Patienten sollte eine Therapie mit Heparin oder Heparinoiden auf jeden Fall vermieden werden.

Die Therapie erfolgt durch Steroide, hochdosierte Immunglobuline oder eine Plasmapherese.

Meine Damen und Herren, der Juli 2021 war bemerkenswert, weil 5 neue Leitlinien und eine Expert Opinion der European Stroke Organisation veröffentlicht worden sind.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuschauen und fürs Zuhören.
 

Kommentar

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