Eine personalisierte Krebstherapie mit genomic profiling „macht Hoffnung für die Zukunft“ – PD Dr. Georgia Schilling diskutiert, ob einen darauf Therapie den Patienten wirklich Vorteile bringt.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Georgia Schilling, ich bin Chefärztin der internistisch-onkologischen Rehabilitation in der Asklepios-Nordsee-Klinik in Westerland auf Sylt und ich bin auch leitende Oberärztin im Asklepios-Tumorzentrum in Hamburg.
Heute habe ich einen Artikel mitgebracht, der schon am 25. Februar 2021 von Cobain und Mitarb. in JAMA Oncology veröffentlicht worden ist. Den Beitrag hatte ich etwas „auf Halde“ liegen. Es gab zwischendurch so viele andere aktuelle Nachrichten, zuletzt vom ASCO-Kongress, dass ich diesen Artikel erst heute vorstellen möchte.
Es geht um das ganz aktuelle Thema: personalisierte Medizin. Die Untersuchung des klinischen Nutzens eines Genomic Profiling bei fortgeschrittenen soliden Tumoren.
Next Generation Sequencing – Ja oder Nein?
Das ist sehr aktuell, weil wir uns bei jedem Tumorpatienten, der schon mehrere Therapielinien durchlaufen hat, fragen, ob wir ein NGS (Next-Generation Sequencing) veranlassen und wie sinnvoll das ist.
NGS wird zunehmend eine Routine-Diagnostik in der Therapie fortgeschrittener solider Tumoren, weil man Ziele identifizieren möchte, z.B. Driver-Mutationen, die dann mit neuen molekular und zielgerichtet wirkenden Medikamenten behandelt werden können.
Der klinische Nutzen dieses Verfahrens ist aber weiterhin noch unklar.
Welche Patienten haben einen klinischen Nutzen von NGS?
Ziel der Studie von Cobain und Mitarb. war es, herauszufinden, welche Patienten den größten klinischen Nutzen durch NGS haben.
Zum Hintergrund: Es gibt einige Studien, die mit umfassendem genomischem Sequencing eine große Bandbreite an klinisch nutzbaren Zielen in 40 bis 94% gezeigt haben. Aber die Zahl der Patienten, die daraufhin eine entsprechende Therapie erhalten hat, lag nur bei 10 bis 25%. Deshalb müssen wir uns fragen, warum das so ist.
Die einzige randomisierte Studie, die eine auf NGS-basierte Therapie untersucht hat, ergab leider keinerlei Verbesserung im progressionsfreien Überleben (PFS), es war also eine negative Studie.
Es gibt auch mehrere nicht randomisierte Studien, die ebenfalls einen eher bescheidenen Erfolg durch die molekulare Typisierung, durch die Panel-Testung zeigen konnten.
Die aktuelle Studie ist eine prospektive Kohortenstudie innerhalb des Michigan Oncology Sequencing Program (Mi-ONCOSEQ) mit einer retrospektiven Analyse des klinischen Outcomes.
Innerhalb dieses Sequenzierung-Programms wurden 1.015 Tumorbiopsien im X-ten Rezidiv erfolgreich sequenziert. Dadurch identifizierte somatische und Keimbahn-Mutationen wurden kommentiert und hinsichtlich ihrer klinischen Bedeutung klassifiziert. Die Ergebnisse wurden den behandelnden Onkologen zur Verfügung gestellt, damit diese entsprechende molekular stratifizierte Therapien einleiten konnten.
Die Datensammlung reicht weit zurück von Mai 2011 bis Februar 2018. Es kann sein, dass sich in diesem Zeitraum im therapeutischen Verhalten schon etwas verändert hat.
Die nach der Sequenzierung folgenden Therapien wurden den Patientenakten entnommen. Man wollte den Nutzen einer NGS-stratifizierten zielgerichteten Therapie nach 6 Monaten evaluieren. Man prüfte auf außerordentliches Ansprechen, das bedeutete, dass die Patienten auf die Behandlung über 12 Monate und mehr ansprachen.
Ergebnisse
Potenziell angreifbare klinisch nutzbare Targets wurden bei 817 Patienten (80,5%) identifiziert. Von diesen wurden leider nur 132 Patienten (16,2% von 817 Patienten) gemäß des Sequenzierungsergebnisses behandelt. Davon befanden sich 74 Patienten in einer Therapiestudie, 43 off-label und 15 on-label.
Von diesen 132 behandelten Patienten hatten 49 (37,1%) einen klinischen Nutzen. Außergewöhnlich sprachen 26 Patienten (19,7%) an. Sie litten vor allem unter defekten Reparaturmechanismen wie DNA-Doppelstrang-Defekten oder DNA-Mismatch-Repairs. Sie wurden dann mit PARP-Inhibitoren oder einer Immuntherapie erfolgreich behandelt.
Die Entitäten, die am häufigsten von der molekular stratifizierten Therapie profitiert haben, waren Sarkome, CUP-Syndrome und Adenokarzinome der Prostata.
Es wurden auch pathologische Keimbahn-Varianten bei 160 Patienten (15,8%) identifiziert, die vorher nicht bekannt waren. Von diesen waren 49 (4,8%) therapeutisch relevant.
Bei 55 Patienten mit einem CUP-Syndrom hat das NGS dazu geführt, dass man in 28 Fällen, also über der Hälfte, den Primärtumor identifizieren konnte. Diese Patienten wurden dann entsprechend des Primarius behandelt.
13 Patienten mit CUP-Syndrom (20,6%) haben eine zielgerichtete Therapie erhalten. Davon hatten 7 einen klinischen Nutzen, 5 davon zeigten ein außergewöhnliches Ansprechen. Das ist beim CUP-Syndrom schon bemerkenswert.
Fazit der Autoren
Die Autoren kommen zu dem Fazit, dass die hohe Rate an pathologischen Keimbahnvarianten über alle Tumorentitäten hinweg für eine Testung aller Patienten mit einem fortgeschrittenen soliden Tumor spricht. Dies hat natürlich hinsichtlich der Nachkommen und der genetischen Beratung Konsequenzen für die Familienangehörigen.
Die hohe Rate an therapeutisch relevanten Veränderungen, die bei CUP-Syndromen oder auch bei den Sarkomen erzielt werden konnte, spricht für den routinemäßigen NGS-Einsatz bei den Entitäten.
Herausforderungen durch das NGS
Aber es gibt natürlich eine Reihe von Herausforderungen, wenn wir uns mit NGS und molekular stratifizierter Therapie befassen. Das Ganze ist ein absolut dynamischer Prozess. Man muss auf dem aktuellen Stand der Kenntnisse sein. So muss man wissen, ob es neue Medikamente gibt, die dann ein bestimmtes Ziel, eine Driver-Mutation, erreichen können.
Oft werden mehrere molekulare Veränderungen in einem Tumor gefunden, welche hat aber die höchste Relevanz? Welche von diesen Veränderungen therapieren wir dann?
Die verschiedenen Entitäten verhalten sich unterschiedlich. Hier handelte es sich um eine sehr groß angelegte Studie mit sehr vielen Entitäten. Wir haben aber nicht für jede Veränderung eine Biomarker-gesteuerte Studie. Oft sind die Patienten dann zuvor behandelt worden oder vom Allgemeinzustand zu schlecht, um sie in eine klinische Studie einzuschließen – auch das sind Herausforderungen.
Wenn wir dann was finden, was wir off-label behandeln möchten, kommen auch noch die Kostenträger ins Spiel, die den Off-Label-Einsatz nicht immer übernehmen.
Wir sehen also viele Herausforderungen, aber auch ein m.E. großes Potenzial durch diese neue Medizin, die uns zur Verfügung steht.
Wir müssen daran arbeiten, dass die Veranlassung eines NGS auch therapeutische Konsequenzen für die Patienten hat. Das heißt, wir müssen z.B. verfügbare Studien suchen, innerhalb von Studien-Plattformen therapieren und, wenn es sein muss, auch die Off-Label-Anträge stellen.
Ich glaube, insgesamt ist das ein Verfahren, was viel Potenzial für uns Ärzte und natürlich für die Patienten birgt. Diese Studie konnte sogar zeigen, dass es außergewöhnliche Ansprechraten gibt, wenn wir Patienten so behandeln.
Das macht sehr viel Mut und gibt viel Hoffnung für die Zukunft.
In diesem Sinne - Tschüss bis zum nächsten Mal
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Blick ins Genprofil „macht Mut!“ Next-Generation-Sequencing bei soliden, fortgeschrittenen Tumoren kann Therapie verbessern - Medscape - 16. Aug 2021.
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