MEINUNG

Neuro-Talk: Neue Studien zur Sinusvenenthrombose nach COVID-Impfung, akuten Migränetherapie und Langzeit-EKG nach Schlaganfall

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

19. Juli 2021

Sinusvenenthrombosen nach COVID-Impfung, Monitoring nach Schlaganfall, optimale Aktubehandlung bei Migräne und Clusterkopfschmerz und mehr - Dr. Hans-Christoph Diener fasst die wichtigsten neurologischen Erkenntnisse aus dem Monat Juni zusammen.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Heute berichte ich Ihnen, was sich in der Neurologie im Juni 2021 getan hat.

Langzeit-Monitoring nach Schlaganfall

Ich beginne mit dem Langzeit-EKG-Monitoring nach einem ischämischen Insult. Das ist für Patienten mit kryptogenem Schlaganfall relativ gut untersucht und die erhöhte Detektionsrate für Vorhofflimmern ist dort klar belegt worden.

Jetzt gab es 2 neue Studien, beide publiziert in JAMA.

Die PER-DIEM-Studie randomisierte 300 Patienten nach Schlaganfall zu einem implantierten Event-Recorder oder einem 30tägigen EKG-Monitoring [1]. Die Patienten wurden über 1 Jahr weiterverfolgt. Primärer Endpunkt war neu entdecktes Vorhofflimmern.

Dieser Endpunkt wurde bei 15,3% der Patienten mit einem implantierten Device und bei 4,7% in der Kontrollgruppe beobachtet. Aber hieraus resultierte kein Unterschied bei den erneuten Schlaganfällen mit 5 bzw. 8 in den beiden Gruppen mit je 150 Patienten.

Die 2. Studie STROKE-AF hat 492 Patienten mit extrakraniellen Stenosen und Verschlüssen und mit Mikroangiopathie randomisiert [2]. Hier wurde ein implantierbares Device mit Standard of Care über 1 Jahr verglichen. Die Detektionsrate für Vorhofflimmern betrug 12,1% versus 1,8%. Aber auch hier fand sich kein Unterschied in der Zahl erneuter Schlaganfälle mit 16 versus 23.

Was ist das Dilemma?

Das Dilemma ist, dass diese implantierbaren Devices ganz eindeutig häufiger klinisch stummes Vorhofflimmern entdecken. Aber in einer ganzen Reihe von Ländern sind die Erstattungs-Agenturen nicht bereit, dafür zu bezahlen, weil sie sagen, ihr habt zwar gezeigt, dass ihr Vorhofflimmern entdecken könnt, aber ihr habt nicht gezeigt, dass ihr erneute Schlaganfälle verhindert.  

Stimulation des Nervus occipitalis bei Cluster-Kopfschmerz

Eine besonders schwer betroffenen Patientengruppe sind Patienten mit chronischem Cluster-Kopfschmerz. 30% sprechen nicht auf eine Therapie an, z.B. mit Verapamil, Lithiumsalzen, Topiramat oder was auch immer.

Eine Studiengruppe in den Niederlanden hat bei diesen Patienten eine randomisierte Studie zum Einsatz der bilateralen chronischen Stimulation des Nervus occipitalis major durchgeführt [3]. 131 Patienten mit chronischem Cluster-Kopfschmerz wurden operiert und in 2 Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt 100% der Stimulationsamplitude, die Kontrollgruppe 30%.

Für beide Gruppen ergab sich eine signifikante Reduktion der Cluster-Attacken pro Monat. Es zeigte sich jedoch kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Leider weiß man nun nicht, ob diese Behandlung wirklich wirksamer ist als Placebo, aber die Erfahrungen aus der Klinik zeigen, dass diese schwerst betroffenen Patienten von dieser Methode tatsächlich profitieren. Die Operation darf allerdings nur in Neurochirurgischen Abteilungen durchgeführt werden, die über eine langjährige Erfahrung mit dieser Prozedur verfügen.

Akuttherapie bei Migräne

Nun komme ich zu einer weiteren Publikation im JAMA [4]. Die Metaanalyse untersuchte die Wirksamkeit der Akuttherapie bei Migräneattacken. Die Autoren haben dazu 15 systematische Reviews für Triptane und nichtsteroidale antientzündliche Substanzen und 115 randomisierte Studien ausgewertet. Sie haben 2 Endpunkte, nämlich „schmerzfrei nach 2 Stunden“ und „schmerzfrei nach 24 Stunden“ analysiert.

Das passiert, wenn Nicht-Kliniker Metaanalysen machen. Es ist völlig sinnlos, Ergebnisse nach 24 Stunden zu berichten, weil diese alle durch „Rettungsmedikation“ kontaminiert sind.

Was sich in diesen indirekten Vergleichen zeigt ist, dass Triptane wahrscheinlich wirksamer sind als Gepante. Leider haben die Autoren völlig vergessen, dass es noch das Triptan Eletriptan gibt.

Was ich ihnen wirklich ankreide ist, dass sie keinerlei Statements dazu abgeben, dass Opioide, deren Wirksamkeit sie beschreiben, nicht zur Behandlung von Migräneattacken gegeben werden sollen.

Zerebrale Sinusvenenthrombose nach COVID-19-Impfung

Zum Schluss zum Thema zerebrale Sinusvenenthrombose nach COVID-19-Impfung. Ich hatte Ihnen vor 2 Monaten schon berichtet, dass wir in Deutschland 43 Fälle mitgeteilt haben, die nach der Impfung mit Vaxzevria (AstraZeneca) aufgetreten sind.

Jetzt gibt es, in JAMA publiziert, 12 Fälle in den USA mit zerebralen Sinusvenenthrombosen und Thrombozytopenie nach der Impfung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson [5]. Das waren alles Frauen im Alter unter 60 Jahren. Die Prognose war leider sehr schlecht.

Zusammengefasst heißt das, dass diese Komplikation offenbar nur bei den Vektor-basierten Impfstoffen, nämlich den Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson auftritt und nicht bei den mRNA-Impfstoffen. Betroffen sind möglicherweise vor allem Frauen und nicht Männer.

Aber – ganz wichtig – der Nutzen der Impfung ist immer noch sehr viel höher als das kleine Risiko einer zerebralen Sinusvenenthrombose.

Wie kann man eine zerebrale Sinusvenenthrombose behandeln? Im New England Journal of Medicine sind 3 Fälle beschrieben, die eine venöse Thrombose nach Impfung mit AstraZeneca-Impfstoff erlitten. Die Patienten wurden mit hoch dosierten Immunglobulinen behandelt und bei allen 3 kam es zu einem raschen Abfall der Antikörper-induzierten Plättchenaktivierung, so dass die Therapie der Wahl in diesen Fällen hochdosierte Immunglobuline sind.

Meine Damen und Herren, das war es, was es in der Neurologie im Juni 2021 Neues gab.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuschauen und fürs Zuhören.
 

Kommentar

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